Chris Nikic: Triathlet mit Down-Syndrom
Erst der Ironman Hawaii, dann die Blondine

Chris Nikic (21) ist der erste Ironman mit Down-Syndrom. Jetzt will er ins Triathlon-Mekka Hawaii und «im Ziel eine grosse Party feiern».
Publiziert: 31.03.2021 um 16:57 Uhr
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Aktualisiert: 03.05.2021 um 09:48 Uhr
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Mythos Hawaii: Der Traum jedes Triathleten (im Bild die Schweizerin Daniela Ryf 2015).
Foto: keystone-sda.ch
Daniel Leu

Chris Nikic weiss, was er will. Und zwar ganz genau. «Ein eigenes Auto, ein eigenes Haus, eine richtig heisse Blondine heiraten und am Ironman Hawaii teilnehmen», erklärt er SonntagsBlick. So steht es auch in seinem Zimmer. Geschrieben auf einer weissen Pinwand, auf der er all seine Ziele, Pläne und Gedanken festhält.

Am 9. Oktober 2021 soll einer seiner Wünsche in Erfüllung gehen: der Start beim legendären Ironman Hawaii. Der 21-Jährige wäre der erste Mensch mit Down-Syndrom, der auf der Vulkaninsel die 3,86 km Schwimmen, 180,2 km Radfahren und 42,195 km Laufen zurücklegen würde.

«Ich werde am 9. Oktober am Ironman Hawaii teilnehmen, und im Ziel werde ich eine grosse Party feiern», sagt er selbstbewusst. Dass der Amerikaner seinen grossen Worten auch grosse Taten folgen lässt, hat er im vergangenen November eindrucksvoll bewiesen.

Als erster Mensch mit Down-Syndrom beendete er damals einen Ironman. In Panama City Beach (Florida) erreichte er nach 16 Stunden, 46 Minuten und 9 Sekunden mitten in der Nacht das Ziel. Die Erinnerungen an diesen denkwürdigen Tag sind Chris noch alle präsent. «Ich startete gut in den Wettkampf. Doch auf der Radstrecke hatte ich mit den Feuerameisen zu kämpfen. Deren Bisse waren sehr schmerzhaft.»

Es wurde ein Wettlauf gegen die Zeit, da der Kontrollschluss wie ein Damoklesschwert über Chris hing. «Auf der Laufstrecke lief ich voll gegen die Wand. Alles tat so weh. Ich wollte aufhören. Doch dann kam mein Vater auf mich zu, umarmte mich und fragte: ‹Wer soll gewinnen: Dein Traum oder die Schmerzen?› Ich antwortete ihm: ‹Mein Traum!› Daraufhin sagte mein Dad: ‹Also gut, dann werde ich hinter der Ziellinie auf dich warten.›»

Stunden später war es so weit: Chris und sein Vater Nik konnten sich im Ziel umarmen. Chris war endlich am Ziel seiner Träume. Der junge Mann mit dem Down-Syndrom hatte es allen gezeigt und bewiesen, dass er sich von nichts und niemandem behindern lässt.

Beim Radfahren fällt er regelmässig runter

Rückblende. Chris kommt im Juni 1999 zur Welt. Mit drei Löchern im Herzen. Mit fünf Monaten muss er sich deshalb einer Operation am offenen Herzen unterziehen. Erst mit drei Jahren fängt er an zu laufen. Er hat Probleme mit seinen Ohren. Nimmt während der Pubertät stark zu. Wird von der Gesellschaft ausgegrenzt.

Heute spricht Chris offen über seine dunklen Jahre: «Wenn du anders bist, wissen die Leute nicht, wie sie dich behandeln sollen. Deshalb schliessen sie dich aus.»

Für die Familie Nikic ist das eine schwierige Zeit. «Ich habe mich immer an meine eigene Jugend zurückerinnert», erklärt Vater Nik SonntagsBlick, «ich war auf Partys, hatte viel Spass, war Teil einer Clique und unabhängig. All das hatte Chris nie. Als Eltern ist es hart zu sehen, wie dein eigenes Kind ausgeschlossen und diskriminiert wird.»

2018 sollte sich das Leben von Chris grundlegend ändern. Er entdeckt den Triathlon-Sport für sich. Trotz seiner körperlichen Gebrechen, denn Menschen mit Trisomie 21 haben oft eine Muskelschwäche und keinen sehr ausgeprägten Gleichgewichtssinn. Doch Aufgeben war und ist für Chris nie eine Option. Chris beginnt mit dem Training. Akzeptiert, dass er beim Radfahren regelmässig runterfällt. Steht wieder auf. Trainiert noch härter. Stopft den Kritikern, die seine Ziele für unrealistisch halten, das Maul.

Durch das Training verändert sich nicht nur sein Körper, sondern auch seine Psyche, sagt sein Vater. «Der Chris von 2019 und der Chris von 2021 sind zwei verschiedene Personen.» Geändert hätten sich vor allem drei Sachen: «Erstens: Chris ist jetzt integriert, er hat Freunde, ist Teil eines Teams und wird in alles einbezogen. Zweitens: Er hat einen Weg gefunden, um seine Träume zu verwirklichen. Vor zwei Jahren war er finanziell vom Staat und von uns abhängig. Jetzt nicht mehr, da er als Redner bei Vorträgen Geld verdient. Und drittens: Er hat einen Sinn für sein Leben gefunden. Mit dem Triathlon-Sport hat er eine Lebensaufgabe entdeckt. Er ist jetzt ein Vorbild für andere. Er kann anderen Behinderten Hoffnung geben, dass auch sie ihre Träume erfüllen können.»

Ein Platz in den Geschichtsbüchern

Dass Chris auf seinem Weg zum Ironman dabei immer mal wieder an seine Grenzen kommt, ist verständlich. Vor allem das Radfahren bereitet ihm wegen des Gleichgewichts Probleme. Erst mit 15 erlernte er es. Noch heute kann er aber nicht alleine auf- und absteigen. Und gleichzeitig fahren und essen geht auch nicht. «Es ist für mich schwierig, die Balance zu halten. Ausserdem habe ich nicht das schnellste Reaktionsvermögen. Um das zu verbessern, hilft nur Training, Training, Training.»

Das ist keine Floskel, sondern sein Alltag. Unter der Woche trainiert er täglich zwischen drei und fünf Stunden. «Am Samstag fahre ich bis zu acht Stunden Fahrrad, und am Sonntag renne ich etwa vier bis fünf Stunden.»

Wo sind seine Limiten? Vater Nik antwortet für seinen Sohn: «Natürlich wird er irgendwann an seine Grenzen stossen. Aber der Unterschied zu früher besteht darin, dass diese Limiten nicht mehr von der Gesellschaft vorgegeben sind, sondern von ihm selber. Sie hängen von seiner Bereitschaft ab, wie fest er sich selber pushen kann.»

Sich pushen – das kann Chris. «Es macht mich stolz, ihm dabei zuzuschauen. Es ist unglaublich, wie hart er an sich arbeitet, ohne sich zu beschweren», schwärmt sein Vater, «diese Hartnäckigkeit, wow! Er hat sich so einen Platz in der Geschichte geschaffen. Ein Platz, den ihm niemand mehr wegnehmen kann.

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