Welch. Eine. Machtdemonstration!
Rasenkönig Carlos Alcaraz bleibt in Wimbledon auf dem Thron. Lieferte er sich im Vorjahr mit Novak Djokovic noch ein legendäres, umkämpftes Duell über fünf Sätze, ist es diesmal eine bloss zwei Stunden und 27 Minuten dauernde (Zauber-)Show. Alcaraz siegt vor den Augen von Prinzessin Kate, die erst ihren zweiten öffentlichen Auftritt seit ihrer Krebserkrankung hat, 6:2, 6:2, 7:6 (7:4).
Der 21-jährige Spanier führt den 16 Jahre älteren Serben phasenweise richtiggehend vor. Mal kracht die Vorhand in irrwitziger Geschwindigkeit übers Netz, mal streichelt er die Filzkugel so gefühlvoll rüber, als müsste er einen aufgebrachten iberischen Stier zähmen.
Alcaraz in eigener Liga
Djokovic hingegen wirkt schon nach dem 14-minütigen ersten Game, das Alcaraz mit dem fünften Breakball für sich entscheidet, geknickt und ratlos. Der 24-fache Grand-Slam-Sieger, der jahrelang den Nimbus des Unbesiegbaren getragen hat, nimmt die Rolle des Underdogs ein. Verrückt, aber wahr. Djokovic bleibt in diesem Wimbledon-Endspiel chancenlos. Alcaraz entwaffnet ihn – und lässt ihn bei seiner Rekordjagd komplett verzweifeln. Nix wird es vorerst mit dem 25. Major-Titel, mit dem er die Australierin Margaret Court endlich abgehängt hätte. Nix wird es aus der Egalisierung der Wimbledon-Bestmarke, die nun weiterhin Roger Federer (42) mit seinen acht Trophäen hält.
Was ein geschichtsträchtiger Tag für Djokovic und den Tennissport überhaupt hätte werden können, endet für den Rekordmann im Final-Debakel. Wobei allerdings allein schon sein Endspieleinzug eine beachtliche Leistung darstellt, nachdem sein Antreten in Wimbledon aufgrund seiner an den French Open erlittenen Knieverletzung lange unklar war.
Drei Matchbälle vergeben – und doch gewonnen
Und Alcaraz? Der fliegt nach dem Triumph in Paris auch zur Titelverteidigung an der Church Road. Nur einmal flattern seine Nerven, als er im dritten Satz beim Stand von 5:4, 40:0 und einem störenden Zwischenruf aus dem Publikum drei Matchbälle versemmelt und dann das Break kassiert. Kurz darauf macht er im Tiebreak aber alles klar – und unterstreicht damit seinen Stellenwert in den Geschichtsbüchern dieses Sports immer mehr. In der Ära der Profis ist der Mann aus El Palmar erst der fünfte Spieler, der das prestigeträchtige Sand-Rasen-Double French Open/Wimbledon im gleichen Jahr gewinnen kann. Nach Rod Laver, Björn Borg (dreimal), Rafael Nadal (zweimal), Djokovic und Federer.
Besonders mit Letzterem bringt sich Alcaraz zunehmend in Verbindung. Auch Federer hatte seine ersten beiden Wimbledon-Finals gewonnen (ja sogar die ersten fünf). Vor allem aber ist Alcaraz der erste Spieler seit dem Maestro, der in seinen ersten vier Grand-Slam-Endspielen siegreich ist. Federer war dies zwischen 2003 und 2004 gelungen.
Jetzt macht es sich Alcaraz im Londoner Wohnzimmer des Baselbieters gemütlich – und festigt die allgemeine Wahrnehmung, dass er aktuell der beste Spieler auf dem Planeten ist. Auch wenn es die Weltrangliste mit Position drei gerade nicht ausweist.
Und zum Abschluss seines triumphalen Sonntagnachmittags lässt sich der Spanier, der grosser Fussballfan ist, auch noch zu einem Scherz hinreissen in Richtung seiner Landsleute, die am Abend gegen England um den EM-Pokal spielen: «Also ich habe nun meinen Job gemacht. Mal sehen, wie es jetzt an der Euro läuft.»