Er hat hierzulande den Status eines Nationalheiligen. Wer Roger Federer (38) kritisiert, kann sich auf steifen Gegenwind gefasst machen. Der 20-fache Major-Sieger – verheiratet, vierfacher Vater, stets freundlich und anständig – ist der Inbegriff dessen, wie sich die Schweizer gerne sehen.
Und doch bekommt er es mit einer Schweizer Gruppe von Klima-Aktivisten der «Fridays for Future»-Bewegung um Greta Thunberg zu tun. Grund: Federers Werbevertrag mit der «Credit Suisse». Laut dem «Rainforest Action Network» hat die Schweizer Grossbank in den letzten drei Jahren 57 Milliarden US-Dollar im Bereich der fossilen Energien wie Kohle oder Fracking investiert. Deutlich mehr als alle anderen Schweizer Banken.
«Wir machen darauf aufmerksam, dass die CS extrem klimaschädlich investiert», sagt Aktivistin Cora Tampe (21). «Ich denke, Federer zu kritisieren macht Sinn», so Mitstreiter Andri Gigerl (19). «In der Schweiz ist er ein Idol, eine unglaubliche Vorbildfigur und hat einen riesigen Einfluss darauf, wie Menschen denken und leben. Muss er sich dazu positionieren, wäre das stark.»
Federer hat sich Gedanken gemacht
Bisher hat sich Federer nicht zu seinem CS-Engagement geäussert. Aber BLICK befragte ihn bereits im Dezember in Dubai zum Klimawandel. Es zeigt sich: Roger hat sich seine Gedanken sehr wohl gemacht.
«Das Thema ist für mich als guter Tennisspieler, der viel reist, sehr heikel», sagt er. «Wir leben ein völlig abnormales Leben, ich weiss, dass ich diesbezüglich kein ‹normales› Vorbild sein kann. Ich kann ja schlecht allen sagen ‹Seid aufmerksam!› und dann gleich wieder nach Australien fliegen. Gleichzeitig kann ich kaum alle Grand Slams nach Basel holen…»
Weiter fliegen oder aufhören
Kennt Vielflieger Federer so etwas wie Flugscham? «Ja und nein», sagt der Baselbieter, der 2019 nach Schätzungen dreimal die Welt umkreiste. Es sei derzeit leider unmöglich, zufriedenstellend auf die Frage zum schlechten Gewissen zu antworten. «Wenn ich mich für Ja entscheide, muss ich meine Karriere sofort beenden.»
Immerhin: Die vielen Flugreisen werden durch Zahlungen in CO2-Kompensationsprojekte abgegolten. «Mirka und ich versuchen auf jeden Fall zuhause und auf Reisen Umwelt-Prinzipien zu respektieren und unsere Kinder damit vertraut zu machen.»
Den Klima-Aktivisten geht es denn auch nicht unbedingt um den Flugmeilen-Fresser Federer. «Für uns ist es immer schwierig, Individuen anzuklagen und gleichzeitig allgemeine Probleme aufzuzeigen», sagt Gigerl. «Die Emissionen durch Flüge im Weltsport sind zum Beispiel verschwindend klein im Vergleich zu dem, was der Finanzplatz verursacht.»
Darum versucht man nun, den Schadenersatz-Prozess um rund 21 000 Franken zwischen CS und einer Gruppe von Aktivisten, die 2018 in einer Lausanner Bank Tennis spielten, zu nutzen, um auf die Praktiken der Bank aufmerksam zu machen. Unter dem Hashtag #rogerwakeupnow wird in einer konzertierten Aktion Wirbel gemacht. «Wenn sich Roger nicht dazu äussert, dass sein Hauptsponsor klimaschädlich agiert, kann man auch nicht von der Bevölkerung erwarten, dass sie sich des Problems bewusst ist.»