Er war die Nummer A2923EV. «Im Gefängnis bist du ein Niemand, nur eine Nummer. Es interessiert sie einen Scheissdreck, wer du bist.» So spricht Tennis-Ikone Boris Becker nach seiner harten Zeit im Knast und der vorzeitigen Entlassung beim Privatsender Sat.1. Er soll für das Interview rund eine halbe Million Euro bekommen – genug, um spannende Details auszupacken. Und er hält, was er verspricht.
Wie hart die 230 Nächte in den zwei Gefängnissen waren, ist ihm gar nicht so sehr anzusehen. Boris Becker wirkt im TV-Interview Moderator Steven Gätjen schlanker als zuvor. «Ich habe sieben Kilo Gewicht verloren. Es gab keinen Alkohol, geraucht habe ich auch nicht. Meiner Gesundheit hat es insofern gutgetan.»
Seine geröteten Augen verraten dennoch, wie sehr ihn das Erlebte berührt. Eine entscheidende Frage fällt gleich zu Beginn: War Becker unschuldig? «Nein, ich war schuldig», so der 55-Jährige. Er habe nur in 25 von 29 Punkten der Anklage gewonnen, weil er gewisse Zahlungen verschwiegen habe. Seine Gefühlslage vor dem Urteilsspruch: «Da ging es fast um Leben und Tod.» Denn die Haftstrafe hätte deutlich höher ausfallen können.
Seine Kinder und Lilian de Carvalho Monteiro seien in der Zeit für ihn da gewesen. Zu seiner aktuellen Freundin habe er damals gesagt: «Du musst nicht auf mich warten.» Dann kommen ihm die Tränen. An diesem Punkt dankt Becker seinen Anwälten für ihre Arbeit. «Vielleicht hätte ich mehr Reue zeigen sollen. Es hätte besser herauskommen können – aber auch viel schlechter.»
Viel schlechter habe es im ersten Gefängnis – einem der schlimmsten Englands – nicht kommen können. «Es war extrem schmutzig, extrem gefährlich.» Von Mördern über Kinderschänder und Drogenhändler sei dort alles gewesen. «Hose runter, Taschenlampe rein», deutet er den Horror des Einrückens an. «Die Nächte waren ein Gräuel. Wie im Irrenhaus. Er sei zunächst als High-Risk-Häftling behandelt worden, sogar das Gefängnis habe Angst um ihn gehabt.
Zwei lebensbedrohliche Situationen – Becker weint
Drei Häftlinge, sogenannte «Listener», sollten ihn beschützen. «Die haben vielleicht mein Leben gerettet.» War der Schutz nötig? Und ob! In zwei Fällen habe er Angst um sein Leben gehabt: Ein lebenslänglich sitzender Mörder wollte an seine Kohle, habe ihn erpresst. «Sonst werde er es mir zeigen», so Becker. Im zweiten Gefängnis habe ihn ein anderer umbringen wollen. «Er wollte mir an die Wäsche, hat gesagt, was er alles mit mir machen wird.» Einen Tag später habe dieser Häftling um Vergebung gebeten, sich auf den Boden geworfen, seine Hand geküsst. Becker weint wieder.
Nach der Werbepause gehts weiter mit etwas leichterer Kost. Nachdem er im Knast Englisch und Mathematik unterrichten durfte, sei sein Leben leichter geworden. «In der Zelle wirst du wahnsinnig.» Auch, weil Besuche sehr rar sind. Sein Freund Jürgen Klopp beispielsweise durfte nicht zu ihm. Der Liverpool-Trainer sei zu bekannt, hiess es. Es habe Wochen gedauert, bis er erstmals mit seiner 87-jährigen Mutter Elvira sprechen und sie beruhigen durfte. Er log, sagte, alles sei in Ordnung.
Für manche Häftlinge war Becker eine Art Vater
Trotz allem kann er «der schlimmsten Zeit meines Lebens» auch Gutes abgewinnen. «Im Gefängnis sind alle gleich, man braucht einander. Das schweisst ein Leben lang zusammen.» Mit einigen Häftlingen werde er deshalb sicher den Kontakt halten. Für manche sei er gar eine Art Vaterfigur gewesen, habe Philosophie unterrichtet – während der Haft habe er zum Stoizismus gefunden.
Zusammengeschweisst sei auch das Verhältnis zu seinen Kindern. Noch nie habe er so viel mit seiner Tochter Anna telefoniert. Die Liebe zu den Söhnen Noah und Elias sei nur grösser geworden. Wie auch zum Jüngsten, dem 12-jährigen Amadeus, dem er einen Besuch ersparen wollte und den er «zu wenig gehört» habe.
Täglich «Dutzende an Briefen» berührten ihn
Hat die Zeit hinter Gittern Boris Becker zum besseren Menschen gemacht? «In gewisser Hinsicht hat mich der Aufenthalt geläutert, zurückgeholt.» Fast jeden Tag gab es Dutzende an Briefen, die ihm Hoffnung gegeben haben. «Ich werde über Weihnachten jeden einzelnen beantworten», verspricht er. «Ich bin wirklich so dankbar.»
Seit dem 15. Dezember ist der berühmteste deutsche Tennisspieler wieder frei. Mit einem Privatjet, den ihm ein Freund gezahlt habe, flog er heimlich nach Stuttgart, wo ihn die Öffentlichkeit nicht erwartet hatte. Und nun? Geht es darum, seine fetten Schulden weiter abzuzahlen. «Geld war mir noch nie wichtig», versucht Becker zu erklären, wie es zum finanziellen Debakel kommen konnte. Das habe mit seinem Status zu tun gehabt, mit den gescheiterten Ehen, mit falschen Beratern und Freunden auch. Nun habe er seine Pläne – unter anderem wünsche er sich noch Nachwuchs – genaues darüber verrät er aber nicht.
Sicher ist nur: «Das erste Bier in Freiheit war das beste Bier in meinem Leben!»
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Boris Becker packt über seine Zeit im Gefängnis aus – hier gibts den Ticker