Im Gespräch mit dem internen Ringier-Magazin DOMO erklärte Toni Nadal in der letzten Dezember-Ausgabe, wie er seinen Neffen mit harter Hand zu einem der besten Tennisspieler der Geschichte geformt hat. Gegenüber SonntagsBlick ergänzt die Trainer-Legende nun Rafael Nadals Absichten und Perspektiven in der aktuellen Krisenzeit. Lesen Sie hier das gesamte Interview über Vergangenheit und Gegenwart einer spanischen Erfolgssaga.
SonntagsBlick: Toni Nadal, Ihr Deutsch soll ziemlich gut sein. Könnten wir das Interview auf Deutsch führen?
(Nadal auf Deutsch) Nein. Ich will nicht, dass du glaubst, ich bin ein Idiot.
Woher stammen Ihre Sprachkenntnisse?
Gelernt habe ich die Sprache an der Universität. Zudem hatte ich mal eine deutsche Freundin und konnte auf den Tennisplätzen oft mit Deutschen sprechen.
Hatten Sie in der Quarantäne-Zeit auf Mallorca viel Kontakt zu Ihrem Neffen Rafael?
Zum Glück ja. Aus Vorsicht vor dem Coronavirus zwar nicht so oft wie sonst, aber immerhin regelmässig – per Telefon oder auch persönlich, denn seine Wohnung liegt gleich über der meiner Mutter. So sehen wir uns gelegentlich. Diesen Samstag (gestern, die Red.) spielen wir erstmals wieder zusammen Golf.
Normalerweise würde Rafa sich an diesem Samstag in Roland Garros auf den Final und seinen 13. French-Open-Sieg vorbereiten...
Ja, aber jetzt heisst es Golf in Mallorca statt Final in Roland Garros! Wenn du siehst, was in Europa und der ganzen Welt gerade geschieht, dann ist das zweitrangig. Es gibt viele Tote, viele wirtschaftliche Probleme – an Tennis in Paris denken wir da aktuell gar nicht so viel.
Roger Federer hat keine grosse Lust, ohne Zuschauer grosse Turniere zu spielen. Wie denkt Rafa?
Ich spreche nicht mehr so oft mit ihm über Tennis, da müssen sie ihn fragen. Am Ende geht es aber nicht darum, Lust auf etwas zu haben, sondern zu machen, was möglich ist. Klar, es ist nicht lustig ohne Fans zu spielen, ich verstehe Roger. Aber es geht ja auch um Geld, um die Wiederbelebung der Wirtschaft und deshalb glaube ich, dass eine Durchführung im September eine gute Sache wäre. Und wer weiss, vielleicht können sie ja in drei Monaten nicht alle, aber vielleicht 3000 oder 4000 Zuschauer reinlassen. Die meisten Spieler brennen jedenfalls wieder aufs Tennis. Rafael spielt jetzt seit Acapulco im Februar nicht mehr. Die Pause ist schon extrem lang.
Rafa hat gesagt, für ältere Spieler wie ihn oder Roger sei ein Comeback nach so langer Pause schwieriger als für die Jüngeren. Was denken Sie?
Ich glaube das auch. Roger, Rafael und auch ein wenig Novak Djokovic rennt die Zeit davon. Federer ist 39 – jedes Jahr wird es für ihn schwieriger einen Grand Slam zu gewinnen. Sie alle müssen jetzt sehr stark im Kopf sein und den Willen nicht verlieren. Das ist nicht einfach.
Sie haben Ihren Schützling schon in jungen Jahren stark gemacht. Rafa war 19, als er 2005 sein erstes Major-Turnier gewann. Damals müssen Sie vor Stolz fast geplatzt sein...
Nach dem gewonnenen Final gegen Mariano Puerta in Paris hinterliess ich ihm im Hotel einen Brief. Darin stand, was er während des Turniers alles falsch gemacht hatte.
Das ist brutal.
An der Gegenwart mussten wir nicht mehr arbeiten, man muss immer an die Zukunft denken. Ich habe Rafael damals die Namen aller spanischen Spieler aufgezählt, die in ihrer Karriere nur einen Grand Slam gewonnen hatten. Und ihn gefragt, ob er einer von jenen sein oder mehr erreichen will. Mir war klar, dass das, was Rafael sich vorgenommen hatte, sehr schwer werden würde. Also musste ich ihn auf die Schwierigkeiten vorbereiten. Das geht nur, indem man den Spieler abhärtet.
Also haben Sie ihm das Leben schwer gemacht.
Ja. Ich habe ihn oft mit schlechten Bällen auf schlechten Plätzen trainieren lassen. Ich verlängerte die 90-minütigen Trainings immer und immer wieder – kommentarlos. Damit er lernt, durchzuhalten. Wir haben oft ein Spiel auf zwanzig Punkte gemacht. Meist liess ich Rafael bis zum Matchball führen, um dann doch noch zu gewinnen.
Wie ging Rafa damit um?
Er war der beste Schüler, den man sich vorstellen kann. Rafael war immer sehr lernwillig. Aber Härte und Strenge sollten nie Methode sein, sondern nur ein Mittel. Mit der Zeit wurden meine hohen Anforderungen zu seinen eigenen. Das ist der Optimal-Fall. Denn ein Spieler soll die Dinge tun, weil ich ihn überzeuge. Nicht, weil ich es verlange.
Für ein Kind ist das trotzdem nicht einfach zu verstehen.
Goethe soll geschrieben haben, dass man Talent mit der Geduld konstruiere, den Charakter hingegen im Sturm. Wenn man hart arbeitet, formt man einen harten Charakter, der Herausforderungen als normal betrachtet. Mit netten Worten erreicht man nichts.
Kann man ein Kind zum Star formen?
Viele Trainer meinen das, aber es stimmt nicht. Das Kind muss ein Champion sein wollen, das steht an erster Stelle. Und es muss lernen wollen. Im Leben ist nicht wichtig, was man dir zeigt. Es zählt nur, was man lernt. Noch wichtiger ist, dass man alles verbessern kann. Das Problem ist, dass viele Leute heutzutage die Beharrlichkeit nicht aufbringen, die es dafür braucht. Sie sind zu schnell frustriert, wenn ihnen die Dinge nicht gut gelingen. Und viele sind nicht bereit, ihre Gewohnheiten zu ändern und die Dinge möglichst in hoher Qualität zu erledigen. Aufs Tennis bezogen: Die Dinge so wie Roger Federer zu tun, ist sehr schwierig. Diese schmerzhafte Realität muss man schonungslos akzeptieren. Vor einem der ersten Spiele Rafaels gegen Federer zählte ich meinem Neffen auf, was Roger alles besser kann. Rafa reagierte etwas sauer.
Wenig erstaunlich, wenn Sie Ihren Spieler demotivieren.
Aber es hätte ja nichts gebracht, ihm etwas vorzumachen. Denn spätestens auf dem Platz begegnet er der Realität. Besser, wenn er sie vorher kennt. Im Leben ist es generell nicht klug, andere zu belügen. Weil man fast nie damit durchkommt. Und richtig dumm ist es, sich selber zu belügen. Klüger ist es, darüber nachzudenken, wie man eben doch gewinnen kann. Rafael gewann übrigens in vier Sätzen. Weil sein Wille und Einsatz überragend waren und er jeden Punkt so gespielt hat, als wäre es der letzte.
Läuft man nicht Gefahr, mit solcher Härte einen Charakter zu verletzen oder zu schädigen?
Ja, diese Gefahr besteht. Deshalb muss ein Trainer spüren, wann man pushen und wann man sich zurückhalten muss. Wenn es Rafael nicht gut lief oder er an sich zweifelte, habe ich ihn motiviert und aufgebaut. Aber wenn alles lief, habe ich ihn zu noch mehr Arbeit aufgefordert, damit wir uns weiter verbessern. Wir leben in einer Welt, in welcher die Menschen in erster Linie Spass und eine gute Zeit haben möchten. Sogar die Trainings sollen lustig sein und unterhalten. Aber das Leben besteht nicht nur aus Spass und Unterhaltung. Wer im Tennis einen Schlag verbessern möchte, muss ihn tausendfach üben. Das kann brutal monoton sein. Wer ständig einen Glücks-Input oder Lob braucht, verbessert sich kaum.
Haben Sie wirklich aus Rafa, einem Rechtshänder, einen Linkshänder gemacht?
Eine Legende, die sich hartnäckig hält. Wäre ja schön, wenn ich so viel Weitsicht besessen hätte! In Wahrheit hat Rafael Vor- und Rückhand beidhändig gespielt, bis er etwa zehn Jahre alt war. Als wir begannen, die Vorhand einhändig zu spielen, tat er das mit links. Und so hat sich das ergeben. Erstaunlich ist es trotzdem, denn ansonsten ist er ein ausgesprochener Rechtshänder.
Ihr Neffe wird allgemein als sehr anständig und bescheiden beschrieben.
Der Charakter nützt dir nichts, wenn du die Bälle nicht triffst. Und darum gehts. Rafael hat einen tollen Drive, eine sehr gute Rückhand und kann, wie kein anderer, aus schwierigen Positionen den Ball gut platzieren. Und dann hat er auch einen guten Charakter! Sehr schön. Denn auch daran haben wir stets gearbeitet. Mit schlechtem Benehmen bekommt man Probleme auf dem Tennisplatz und im Leben. Ich hätte nie toleriert, dass er einen Schläger schmeisst. Aber bescheiden ist Rafael gar nicht unbedingt.
Sondern?
Rafael weiss, dass er ein hervorragender Tennisspieler ist. Aber er weiss auch, dass er sich deswegen nicht besonders fühlen muss. Bei Federer ist das nicht anders. Rafael war immer klug genug, um sich von den Erwachsenen mit Lebenserfahrung im richtigen Moment führen zu lassen. Deshalb sind ihm Ruhm oder Geld nie zu Kopf gestiegen.
Stimmt es, dass er Sie als kleiner Junge für einen Zauberer hielt?
Ja, das war lustig. Ich erzählte ihm, dass ich sechs Mal die Tour de France gewonnen hätte, mit dem Motorrad! Wenn wir Aufzeichnungen von Fussballspielen schauten, tat ich so, als wäre es live, und sagte jeweils das Geschehen voraus. Oder ich erzählte ihm, ich sei unsichtbar. Zuvor hatte ich allen gesagt, sie sollten so tun, als wäre ich nicht da. Er hat lange geglaubt, ich sei ein Phänomen.
Sogar für Regen konnten Sie sorgen.
Auch eine herrliche Episode (lacht). Wir fuhren an ein Turnier, an dem ältere Jungs spielten. Also sagte ich ihm, ich würde es regnen lassen, wenn er arg am Verlieren wäre. Und tatsächlich fing es während seines Spiels an zu regnen. Aber er führte und versicherte mir, er habe alles im Griff und ich könne jetzt den Regen wieder stoppen.
In der Regel ist der Spieler der Chef, nicht der Trainer. Bei Ihnen war es umgekehrt.
Ich war der Chef bis er 16 oder 17 Jahre alt war. Ich kann als Erwachsener ja nicht abhängig von einem kleinen Jungen sein. Danach aber war er es, der die Richtung vorgab. Ich habe ihm aber nie recht gegeben, nur weil er der Chef ist.
Wer zahlt, befiehlt.
Er hat mich nie bezahlt, keinen Cent. Wäre ich abhängig von seinem Lohn gewesen, so hätte ich Dinge akzeptieren müssen, die ich nicht gewollt hätte. Ich habe mir meine Eigenständigkeit und Redefreiheit quasi erkauft, indem ich kein Geld genommen habe. Rafaels Vater und ich haben von unserem Vater ein Unternehmen geerbt. Er hat sich um dieses und um die weiteren Familien-Geschäfte gekümmert, ich mich ums Tennis. Etwa so war die Aufteilung.
Heute arbeiten Sie in der «Rafa Nadal Academy» mit jungen Talenten. Mit welcher Philosophie?
Wir wissen, dass es nur ganz wenige an die Spitze schaffen werden. Wir stellen hier deshalb hohe schulische Anforderungen. Wer diese nicht erfüllt, darf nicht an Turnieren teilnehmen. Zentral ist, dass wir den Charakter formen, die mit Herausforderungen umzugehen wissen. Man muss im Leben und im Sport grosse Widrigkeiten akzeptieren, aushalten und überwinden können. Denn Glück und Zufall helfen nur sehr selten.
Auch die Akademie war in der Corona-Zeit geschlossen. Ist sie jetzt wieder offen?
Wir trainieren, führen aber streng Protokoll. Anders als in Barcelona oder Madrid ist es auf Mallorca nicht so schlimm. Wirtschaftlich hängt hier zwar vieles am Tourismus ab und der Hotelbetrieb leidet derzeit massiv. Aber wir haben auf Mallorca nicht so viele Infektions- und Todesfälle. Deshalb können die Kinder seit drei Wochen wieder fast normal trainieren. Schwierig für sie ist aber, die Motivation aufrecht zu halten. Den Schülern fehlen dafür die Wettkämpfe.
Schulisch lief zwischendurch vieles digital ab. Wie kommen Sie in dieser neuen Welt zurecht?
Mich hat immer der Mensch interessiert. Heute spucken Computer unzählige Statistiken über einen Spieler aus. Der scharfe Blick des Trainers wird ersetzt und nicht mehr geschult. Für mich ist das ein Problem. Für die Gesellschaft sind solche Entwicklungen eine Gefahr. An erster Stelle stehen im Leben Beharrlichkeit, Fleiss, Verzicht, Disziplin und Respekt. Danach ist mir die Technologie willkommen.
Mit viel Beharrlichkeit und Disziplin hat Federer zuletzt ein Rezept gegen Rafa Nadal gefunden. Ausser auf Sand hat er die letzten Duelle meist klar gewonnen. Hat Nadal als Federers Angstgegner ausgedient?
Seit 2017 hat Federer ein sehr effektives System gegen Rafael gefunden. Früher blockte er den Aufschlag oft, jetzt schlägt er mit Tempo zurück. Er schlägt auch die Rückhand viel schneller, spielt mit viel Antizipation. Das wirkt. Früher liess er Rafael spielen, und das sollte man vermeiden. Ich sagte damals immer, dass sich Federer mit seiner Spielweise irrt und er viel aggressiver beim Return sein und mit viel mehr Tempo spielen müsste.
Sie führen Federer oft als gutes Beispiel an. Sie schauen ihm gerne zu, oder?
Sogar sehr. Weil seine Ästhetik toll und seine Technik fast perfekt sind. Er hat ja das Glück, dass er von Grund auf alles sehr gut kann und macht. Früher habe ich ihm sogar noch lieber zugeschaut als heute. Wie Rafael, der sich stark im Aufschlag verbessert hat, stellte auch Roger sein Spiel um, um mehr schlagen und weniger rennen zu müssen.
Würden Sie rückblickend irgendetwas anders machen?
Ich würde vieles anders machen. Nur ein dummer Mensch würde das nicht tun. Aber ich sage auch: Am Montagmorgen hat jeder gut reden, denn dann kennt er die richtigen Toto-Tipps. Unter dem Strich: Ich habe nach meinen Prinzipien gearbeitet. Heute wäre ich vielleicht weniger hart und fordernd. Aber es ist Rafael ja nicht schlecht ergangen.
Federer hat 20 Grand-Slam-Titel gewonnen, Nadal 19 und Djokovic 17. Ist die Schlacht nun voll entbrannt?
Früher hatte Federer so viel Vorsprung, da war eine Diskussion überflüssig. Doch jetzt sind die Drei so nahe beieinander, dass alle extra motiviert sind. Denn einer von ihnen wird derjenige, der mit den meisten Titeln in die Geschichte eingehen wird. Grosse Sportler wollen das. Michael Jordan, Usain Bolt, Michael Phelps – sie alle wollten etwas hinterlassen, das ihre Karriere überdauert.
Welcher der Drei wird am Ende das Rennen machen?
Mit einem Sieg in Wimbledon hätte Federer sechs Titel Vorsprung auf Djokovic gehabt. Das wäre schon sehr viel gewesen. Aber Stand jetzt ist alles möglich. Tatsache ist: An Grand-Slam-Turnieren und in der Weltrangliste dominieren immer noch die gleichen Drei. Obwohl sich die Jungen an den NextGen-Finals sehr gut verkauft haben.
Was fehlt den Jungen noch?
Den meisten passiert das, was der Gesellschaft passiert: Es fehlt das totale
Engagement. Es fehlt die Bereitschaft, Opfer zu bringen. Thiem oder Medwedew würde ich von dieser Kritik einmal ausschliessen. Djokovic, Nadal und Federer gewinnen auch an einem schlechten Tag. Die Jungen haben diese Fähigkeit nicht, die Dinge zu drehen und zu erzwingen.
Antonio «Toni» Nadal kam am 22. Februar 1961 in Manacor, Spanien, zur Welt. Erst mit 14 Jahren fing er an Tennis zu spielen, zum Profi reichte es ihm nicht. Ein Studium der Rechtswissenschaften und Geschichte brach er ab, um die Tennisschule von Manacor zu leiten. Dort begann er seinen Neffen Rafael Nadal zu trainieren, als dieser vier Jahre alt war. Heute leitet er die «Rafa Nadal Academy» für junge Tennistalente. Er hat zwei Bücher geschrieben: «Nadal serviert, Sokrates retourniert» und «Man kann alles trainieren». Toni Nadal hat drei Kinder und wohnt in Porto Cristo bei Manacor.
Antonio «Toni» Nadal kam am 22. Februar 1961 in Manacor, Spanien, zur Welt. Erst mit 14 Jahren fing er an Tennis zu spielen, zum Profi reichte es ihm nicht. Ein Studium der Rechtswissenschaften und Geschichte brach er ab, um die Tennisschule von Manacor zu leiten. Dort begann er seinen Neffen Rafael Nadal zu trainieren, als dieser vier Jahre alt war. Heute leitet er die «Rafa Nadal Academy» für junge Tennistalente. Er hat zwei Bücher geschrieben: «Nadal serviert, Sokrates retourniert» und «Man kann alles trainieren». Toni Nadal hat drei Kinder und wohnt in Porto Cristo bei Manacor.