Ein Favoriten-Check vor den diesjährigen Australian Open kommt Kaffeesatz-Lesen gleich. Zu viele Fragezeichen stehen hinter den Stars und dem Turnier, um seriöse Prognosen zu machen.
Was man behaupten darf: Für die beiden Schweizer Aushängeschilder Belinda Bencic (WTA 12) und Stan Wawrinka (ATP 18) meint es das Los zumindest in Runde 1 nicht so schlecht. Die 23-jährige Ostschweizerin startet gegen Lauren Davis (USA, WTA 75), der sie in beiden bisherigen Partien überlegen war. Der 35-jährige Westschweizer trifft zum Auftakt erstmals auf den Portugiesen Pedro Sousa, (ATP 108) – eine gute Standortbestimmung.
Da hat es die zweite Schweizer Garde schwerer. Qualifikant Henri Laaksonen (ATP 136) bekommt es mit dem 60 Ränge höher klassierten Italiener Salvatore Caruso (ATP 76) zu tun – mit nur einem Testmatch (Niederlage) nach über 14-tägiger Quarantäne eine schwierige Ausgangslage. Hart trifft es auch Jil Teichmann – die Nummer 57 der Welt bekommt es wie zuletzt im Melbourner Vorbereitungsturnier mit der 16-jährigen Cori Gauff (WTA 48)zu tun, vor wenigen Tagen unterlag sie dem US-Wunderkind im Tiebreak des 3. Satzes.
Aber auch Bencic und Wawrinka dürften nicht voller Zuversicht in den sogenannten «Happy Slam» tanzen. Dass Belinda nach 14 eingesperrten Tagen im Hotelzimmer noch nicht topfit ist, erwies sich bei ihrem Kaltstart an der «Grampians Trophy», wo sie nicht mit Gegnerin Sorana Cirstea (Rum, WTA 72) mithalten konnte. Stan hingegen gewann beim Vorbereitungsevent zunächst, gab dann allerdings auf, um sich zu schonen – nach seiner Corona-Erkrankung vor rund einem Monat sollte er es wohl noch gemächlich angehen lassen.
Djokovic, Nadal und Thiem Favoriten
Fraglich, ob Wawrinka für seine gefährliche Tableau-Seite gewappnet ist. In der befindet sich nämlich erst der Kanadier Milos Raonic in einer möglichen 3. Runde, dann der Mann, den es in der Theorie als potenziellen Achtelfinal-Gegner zu schlagen gilt: Titelverteidiger und achtfacher Aussie-Open-Champion Novak Djokovic. Der Serbe, der in Runde 1 auf Jérémy Chardy (Fr, ATP 66) trifft, gewann seine beiden Einzel im ATP Cup gegen Deutschland – hinter seinem Formstand, steht allerdings auch ein Fragezeichen, klagte er doch im Vorfeld des Re-Starts über Handgelenk-Schmerzen.
Gemächlich, so nimmt es auch Rafael Nadal. Keine Frage: Der an Nummer zwei gesetzte Spanier (gegen Laslo Djere, ATP 56) zählt mit der Weltnummer 1 sowie US-Open-Sieger Dominic Thiem (Ö, ATP 3) und ATP-Finals-Champ Daniil Medwedew (Russ, 4) zu den Top-Favoriten. Wie parat er aber ist, weiss nur er selbst. Zwei Einsätze gegen Griechenland beim ATP Cup sagte Nadal ab, um seinen schmerzenden Rücken zu entlasten. «Es wird besser, reicht aber noch nicht für ein Spiel mit maximaler Intensität», sagt er – kein gutes Omen für viele kommende Best-of-5-Partien.
Der Deutsche Alexander Zverev, Griechenlands Stefanos Tsitsipas, der Russe Andrei Rublew oder vielleicht auch Lokalmatador Nick Kyrgios spielen im erweiterten Kreis um den Titel. Dass sie aber mehr als Wundertüten mit Top- oder Flop-Potenzial sind, müssen sie nach wie vor erst noch unter Beweis stellen.
Frauen-Tableau weit offen
Von je her Wundertüten sind im Profitennis des letzten Jahrzehnts die Frauen. Wegen Schulterproblemen erklärte die 23-fache Grand-Slam-Siegerin Serena Williams (39) vor dem Halbfinal beim Vorbereitungsturnier Forfait. Seit sich die Dominanz der US-Tennisqueen etwas gelegt hat, wittern viele andere ihre Chancen.
Bei den letzten 15 Major-Turnieren (2017 bis 2020) gab es zwölf verschiedene Siegerinnen. Die drei Top-Klassierten, Australiens Star und Weltnummer 1, Ashleigh Barty, sowie Simona Halep (Rum, 2) und Naomi Osaka (Jap, 3) gelten als Favoritinnen. Titelverteidigerin im Melbourne Park ist Nummer 4 Sofia Kenin (USA) – für einen Nachfolgerinnen-Tipp gibt es kaum Anhaltspunkte.
Ein Covid-Fall und alles kann vorbei sein
Noch unberechenbarer ist weiterhin auch das Covid-19-Virus. Erst recht, sollte es sich auch im Staate Victoria in mutierter Variante einnisten. Dies dürfte die grösste Sorge von Turnierdirektor Craig Tiley (59) sein, der seinen Mega-Anlass fest entschlossen und mit 30000 Zuschauern täglich durchpauken will. Spätestens nachdem ein Angestellter eines Spielerhotels infiziert, der Spielbetrieb am Donnerstag einen Tag eingestellt und sämtliche Betroffenen erneut getestet wurden, ist klar: Ein neuer Fall genügt und die ganze Herrlichkeit ist schnell vorbei. Das ganze Australian Open ist eine Wundertüte.