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Schweizer Tennisboss Stammbach überzeugt
Djokovic wird fremdgesteuert

René Stammbach ist nicht nur Präsident von Swiss Tennis sondern auch Vize im internationalen Tennisverband ITF. Er spricht über den Eklat um Novak Djokovic, dessen Putsch gegen die ATP und die Rolle von Roger Federer.
Publiziert: 13.09.2020 um 11:40 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2020 um 21:27 Uhr
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René Stammbach im grossen BLICK-Interview.
Foto: Blicksport
Felix Bingesser und Stefan Meier

BLICK: Das Tennis erlebt turbulente Zeiten und kommt aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus. Wie sehen Sie den jüngsten Eklat um Novak Djokovic?
René
Stammbach: Das war einfach unglaubliches Pech. Ich glaube, es sind sich alle einig, dass keine Absicht dabei war. Aber natürlich ist es ein Regelverstoss. Der Ausschluss aus dem Turnier ist richtig, aber natürlich brutal für ihn. Er hat es moralisch gesehen nicht verdient.

Wäre denn eine Ausnahme möglich gewesen?
Nein, die Regel ist da ganz klar. Es ist jemand verletzt zu Boden gesunken. Er hat einfach Pech gehabt. Wenn dort ein stämmiger Mann gestanden wäre, hätte der vielleicht gelacht und und ins Publikum gewunken. Aber er hat eine Person getroffen, die das nicht einfach wegstecken konnte.

Haben Sie sich in die wilden Zeiten von John McEnroe zurückversetzt gefühlt?
Klar, das war der letzte grosse Fall, an einem Grand Slam. Es gibt jetzt nur so viel Aufruhr, weil Djokovic die Nummer eins der Welt ist und so gut spielt – wahrscheinlich am besten von allen. Darum wird es anders wahrgenommen. Wäre er die Nummer 125 hätte das nicht solche Schlagzeilen verursacht.

Aber er hat eine enorme Vorbildfunktion.
Wenn man derart im Rampenlicht steht und unangefochten die Nummer eins ist, kannst du dir solche Sachen nicht erlauben. Ich habe als Jugendlicher auch noch Rackets geschmissen wie viele andere. Aber da ist man jung und noch nicht reif. Das kann man von Djokovic nicht sagen. Der ist reif und er kennt die Regeln. Das war einfach ein Ausraster.

Ein Roger Federer hat ja auch so einige Rackets geschmissen zu Beginn seiner Karriere. Ihm hätte das in jungen Jahren auch passieren können.
Naja, aber eher nicht an einem Grand Slam. Das passierte ihm mehr im Training als bei den Matches. Ich behaupte: Federer könnte das heute nicht passieren. Und Rafael Nadal wahrscheinlich auch nicht.

Als Vize-Präsident des Weltverbandes finden Sie das Tennis zuletzt oft in den Negativschlagzeilen. Es gab die Adria-Tour, den Putsch durch Djokovic und nun die Disqualifikation. Hat das Tennis einfach eine Pechsträhne?
Man kann es nicht auf Pech reduzieren. Es gibt Fettnäpfchen, die man hätte voraussehen können. Zum Beispiel die Tanzerei mit nackten Oberkörpern an der Adria Tour. Das hätte man vermeiden müssen.

Und Djokovic hat eine neue Spielervereinigung gegründet.
Das ist eine unsägliche Trennung in einer Zeit, in der man einig sein sollte. Gerade jetzt sollte man keine Familienfehde austragen. Sondern einig und solidarisch sein. Ich frage mich wo ist die Agenda? Was wollen Djokovic und Co. damit bewirken? Wer sind die Hintermänner?

Sie vermuten, Djokovic ist fremdgesteuert?
Es dürfte schwierig sein zu erklären, dass ein Vollprofi, der sein Leben dem Sport widmet und eine Familie hat, daneben noch Zeit hat, eine sportpolitische Agenda aufzustellen. Zweifellos gibt es im Hintergrund Absichten und Drahtzieher. Aber wir wissen nicht, wo die herkommen, wir kennen sie nicht.

Was vermuten Sie?
Das können Agenten sein oder Turnierveranstalter oder wer auch immer. Seinen Onkel Goran kenne ich sehr gut, er spielt eine politische Rolle, er ist Vizepräsident des serbischen Verbandes und auch international sehr aktiv – so kandidierte er 2019 für das ITF Board. Aber schauen Sie mal, was die Spieler in der ATP in den letzten 10 Jahren erreicht haben.

Zum Beispiel?
Schon nur die Preisgelder. Das sind Welten im Vergleich zu früher. Wenn einer an den US Open in der ersten Runde verliert, erhält er schon 61’000 Dollar. Vor zehn Jahren war das in der ersten Runde noch 19'000 Dollar. Sie haben auch erreicht, dass die Saison kürzer wird um zwei Wochen. Die Diskussion, die sich stellt, ist, ob es genug ist. Aber das ist das Problem der ATP.

Wie beurteilen Sie die?
Das ist von der Struktur her ein völliges Misskonstrukt. Arbeitgeber und -nehmer sitzen im gleichen Gremium. Sie haben gleich viele Stimmen. Das gibt es sonst nirgends. So ist man wohl oder übel dazu verdammt, immer Kompromisse zu finden. Das kann langfristig nicht funktionieren. Die einen wollen mehr Geld verdienen, die anderen weniger ausgeben und mehr Gewinn machen.

Der Gedanken einer unabhängigen Spielervereinigung wäre also gar nicht so schlecht, einfach der Zeitpunkt ist das Problem?
Nein, aber was man ihnen positiv anrechnen muss: Sie sind sofort aus dem ATP Players Council zurückgetreten. Sie sind konsequent. Das heisst, sie wollen mutmasslich wirklich etwas anderes aufbauen. Es gab ja früher schon einen Circuit neben der Tour. Da könnten solche Pläne in der Schublade sein. Aber es bestehen Verträge und die ATP wird nicht tolerieren, dass diese verletzt werden.

Wissen Sie, wie viele Spieler sich Djokovic angeschlossen haben?
Diese Frage stelle ich mir auch. Das würde mich interessieren. Ich weiss nur, dass Federer, Nadal und Murray nicht dabei sind. Und damit fehlen bedeutende Ikonen.

Wie ist denn die Rolle von Roger Federer im Welttennis. Sportlich ist er ja wohl nicht mehr die prägende Figur der Zukunft. Ist er denn dafür als gemässigter und vernünftiger Botschafter wichtiger denn je?
Er und Nadal haben beide viel geleistet und sind nur positiv aufgefallen. Sie werden über ihre Karriere hinaus wichtig bleiben. Sie sind glaubwürdig, ehrlich und haben das während über zwanzig Jahren unter Beweis gestellt. Ich habe letztes Jahr in einem Interview gesagt, dass wir jetzt dringend Federer brauchen. Denn er ist glaubwürdig genug, um alle Stakeholders, also die vier Grand Slams, ATP, WTA und die ITF, an einen Tisch zu kriegen.

Wozu?
Damit wir endlich mal gemeinsam für unseren Sport denken. Wir müssen ein sauberes, positives Image haben, damit immer mehr Leute Tennis spielen. Wenn du aber schon innerhalb der Familie Krach hast, dann wird es langfristig schwierig für die Glaubwürdigkeit. Es ist Zeit, sich zusammenzuraufen und bessere Lösungen für den Sport als Ganzes zu finden. Wegen der Pandemie sitzt man nun ernsthaft am Tisch. Federer hat es jetzt nicht einmal dazu gebraucht, Covid-19 hat es erledigt.

Ist die Durchführung der US Open eine Zwängerei?
Es gibt zwei Blickwinkel. Die Spieler haben darauf gewartet, wieder spielen zu können. Sie müssen Geld verdienen und Punkte machen. Und die Veranstalter wollen das Turnier aufgrund ihrer Verträge mit Fernsehen und Sponsoren durchführen. Auch hier steht das Geld steht im Vordergrund. Ich selber hätte bei diesen Infektionszahlen abgesagt, so wie es Wimbledon gemacht hat. Die nächste Frage wird sein, ob Paris wirklich Sinn macht. Da sind im Moment 11'500 Zuschauer bewilligt und die Schweiz zum Beispiel hat ab Montag Quarantänepflicht für Rückreisende aus Paris.

Federer, Nadal, Djokovic, Murray. Sie alle erreichen schon bald ihr Ablaufdatum. Welches sind die vier kommenden Ikonen?
Ich bin jetzt schon lange dabei und über Federers erstes Ablaufdatum wurde schon vor neun Jahren spekuliert. Ich bin sehr vorsichtig damit. Aber die Wachablösung kommt, die ist absehbar. Da hat man die üblichen Kandidaten: Shapovalov, Thiem, Auger-Aliassime, Medwedew, Coric, Zverev, Tsitsipas – es gibt viele Namen und ich habe sicher ein paar vergessen. Ausserdem dürfen wir Stan Wawrinka nicht abschreiben. An Federer gemessen hat er auch noch ein paar Jahre. Und er hat drei Grand Slams gewonnen.

Die US Open waren ja aus Schweizer Sicht ernüchternd ohne Federer, Wawrinka und Bencic. Ist das für Sie ein trauriger Ausblick auf die Zukunft?
Ich bin überzeugt, dass es nicht so kommen wird. Wir haben im Moment bei den Junioren das Quartett mit Dominic Stricker, Jeffrey von der Schulenburg, Jérôme Kym und Leandro Riedi. Die sind alle 17 oder 18 Jahre alt und brauchen noch fünf, sechs Jahre. Wir sind jetzt als Verband gefordert und müssen ihnen die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit sie sich entwickeln können. Es gab einen Zeitpunkt, da waren alle vier in den Top 13 der Junioren-Weltrangliste. So eine Voraussetzung haben wir noch nie gehabt. Auch in den Mädchenkategorien haben wir zwei Weltmeister-Teams.

Worauf kommt es jetzt an?
Jetzt sind sie selber, ihr Umfeld und nicht zuletzt wir gefordert, das beste daraus zu machen. Vor nicht einmal einem halben Jahr hat der Zentralvorstand beschlossen, massiv Mittel für diese Jungs frei zu machen. Vor einem Jahr dasselbe bei den Mädchen. Zusätzlich zu all den Mitteln hinzu, die sie schon erhalten, haben wir noch weitere 50'000 Franken pro Jahr und pro genannten Spieler zur Verfügung gestellt über drei Jahre. Wir müssen schauen, dass sie möglichst gut den Wechseln ins Profilager schaffen.

Ist das der Federer-Effekt?
Das hätte man vor 10 Jahren sagen können. Jetzt eher nicht mehr. Das kommt von der sehr starken Förderung an der Basis, die wir betreiben. Wir geben 4,5 Millionen Franken aus für den Nachwuchs-Leistungssport, viel mehr als früher. Den Federer-Effekt hatten wir vor zehn Jahren und zwar massiv und er dauert an. Aber er ist nicht allein massgebend für diese Resultate beim Nachwuchs.

Wie kommt Swiss Tennis durch die Corona-Krise?
Wir sind bis jetzt relativ gut durch die Krise gekommen. Ich habe Anfang März einen Sparbefehl in Auftrag gegeben. Wir haben drei Millionen eingespart und konnten einen Teil davon sogar noch reinvestieren in eine nationale Turnierserie. Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen, weil wir schon früh voraus geschaut haben. Schlimmer sieht es bei den gut hundert Tennis-Zentren aus. Da ist ein Viertel des Jahresumsatzes völlig weggebrochen. Wir sind froh, dass wir von den vom Parlament gesprochenen hundert Millionen Franken 2,87 Millionen erhalten. Wir haben davon für uns als Zentralverband keinen Sechstel rausgenommen, den Rest verteilen wir. Ein Massensterben der Tennis-Zentren wird darum nicht passieren. Aber es sind dennoch einige gefährdet.

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