Roger Federer, früher verbrachten Sie viel Zeit in Südafrika. Wie hat Sie das geprägt?
Roger Federer: Als kleiner Bub war ich mit meiner Schwester sicher zwei Monate im Jahr in Südafrika. Seitdem ich mich erinnern kann, war es immer lässig. Ich sprang immer draussen inmitten der ganzen Familie auf der Farm herum. In der Kindheit verbrachten wir die Sommerferien dort, besuchten überall im Lande Verwandte oder den Krüger-Nationalpark. Aber wir hatten auch schwierigere Jahre: Als die Mutter und die beiden Schwestern meiner Mutter innerhalb von fünf Jahren starben, musste sie oft hin- und herreisen. Weil meine Eltern in den letzten 30 Jahren oft zweimal im Jahr Südafrika oder andere Länder im südlichen Afrika bereisten, hörte ich stets viele Geschichten. Wegen all dem fühle ich eine sehr grosse Verbundenheit mit Südafrika. Ich verbinde es mit einer sehr guten Zeit.
Ist das Land für Sie ein Sehnsuchtsort?
Ich bin allgemein gerne auf dem afrikanischen Kontinent. Ob Malawi oder Sambia – ich freue mich immer, dorthin zu gehen, und hätte in den letzten 20, 25 Jahren lieber noch mehr Zeit dort verbracht. Aber ich kann nicht überall sein. In Südafrika herrscht eine grosse Vorfreude, wenn ich komme. Anders als an anderen Orten, es ist ein spezielles Gefühl. Ich kann es nicht genau beschreiben.
Erlebten Sie das Thema Apartheid in Ihrer Kindheit?
Nicht gross, eher vom Hörensagen später. Ich bekam schon mit, dass es da nicht so ist wie in der Schweiz, wo wir sehr viel Glück haben. Obschon wir als Familie ja nicht reich aufgewachsen sind.
Haben Sie Nelson Mandela einmal getroffen?
Nein, leider nicht. Es gab einmal Gespräche, ob ich ihn noch treffen würde. Aber da war er schon nicht mehr ganz gesund. Jetzt weiss ich: Es war ein Fehler, dass ich nicht einmal nach Südafrika gereist bin. Als Weltnummer 1 im Tennis und mit meiner Stiftung hätte ich wahrscheinlich die Chance gehabt, ihn zu treffen. Es ist leider nicht so. Schade, habe ich das nicht gemerkt. Mandela war eine sehr wichtige Persönlichkeit in diesem Land, zum Glück lebt er als Legende und Inspiration weiter.
Wie viel Südafrika steckt in Ihrem Charakter?
Schwer zu sagen. Es steckt wohl ein bisschen von meinem Vater und von meiner Mutter in mir. Ich bin in der Schweiz aufgewachsen. Ich weiss, wem ich alles zu verdanken habe, und fühle mich komplett, viel mehr als Schweizer. Und doch steckt recht viel Südafrika in mir. Ich habe ja auch den Pass – aber der ist derzeit abgelaufen. Wenn die in Südafrika wollen, dass ich auch einer von ihnen bin, sage ich: Sehr gerne, kein Problem! Ich freue mich auch wie ein kleines Kind, wenn Südafrika die WM im Rugby gewinnt. Ich weiss, was es für das Land bedeutet. Was das Land meinem Vater, meiner Mutter bedeutet.
Sind Sie für Ihre Verwandten dort noch der kleine Roger oder der heutige Superstar?
Für sie bin ich noch immer der kleine Bub, der dort herumsprang und spielte. Weil ich nicht in meiner Zeit als Weltnummer 1, als Tennisstar zurückkehrte. Sie sehen auch, dass meine Eltern immer noch die gleichen sind. Natürlich haben sie meinen Werdegang verfolgt und freuen sich riesig für mich. Aber unsere Beziehung ist immer noch die gleiche. Darum ist dieser Trip so speziell. Am Tag nach dem Match haben wir ein Treffen mit allen Leuten organisiert, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Meine Eltern kennen sie besser, deshalb bedeutet es auch ihnen viel. Dann machen wir ein schönes Fest. Es war mir wichtig, dass ich nicht einfach komme, spiele und wieder abhaue.
Wird der Hype um Sie ähnlich gross sein wie in Südamerika?
Keine Ahnung, ich habe ja noch nie dort gespielt. Ich weiss, dass via Supersports, dem grossen TV-Sportkanal in Afrika, unglaublich viel Tennis geschaut wird und alle meine Geschichte und die meiner Stiftung kennen. Aber ist der Hype so gross, dass die Leute vor meinem Hotel warten? Ich nehme es nicht an, aber vielleicht bin ich dann doch wieder überrascht ... Dass unser Spiel in neun Minuten ausverkauft war, zeigt ja, wie populär Tennis und ich in Südafrika sind. Das war für mich ein kleiner Schock, ich hätte es nicht erwartet. Anders als in Wimbledon, wo die Leute wegen dem Tennis kommen, kaufen sie Tickets für einen Charity-Match nur wegen dir. Das ist auch mehr Druck – ich bin sehr froh, dass es ausverkauft ist.
Kennen die Kinder Sie, wenn Sie Ihre Schulprojekte im südlichen Afrika besuchen?
(überlegt) Nein, ich habe nicht das Gefühl. Ich denke eher, sie wissen, dass ich der bin, der hilft. Als ich in Malawi ein Projekt besuchte, fragte ich: «Kennt ihr Tennis?» Und sie sagten: «Ist das dieses Spiel mit dem Tisch und den Bällen?» Ich sagte: «Nein, das ist Pingpong.» Dann machte ich eine Zeichnung, wie ein Tennisplatz aussieht. Sie haben ja keinen Fernseher, sind dermassen weit weg von der modernen Zivilisation, laufen ein paar Stunden, um Wasser am Wasserloch zu holen. Wie sollen sie mich dann kennen? Das ist auch nicht wichtig. Ich finde es fast noch schöner, dass sie mich nicht kennen.
Sind solche Besuche für Sie, der im Luxus lebt, ein Kulturschock?
Als ich unser erstes Projekt in Port Elizabeth besuchte, war es das. Dort hatten sie nicht nur Projekte für Schulbildung, sondern auch für krebskranke Kinder. Ich kann mich erinnern, wie ich todkranke Kinder in ihren Bettchen liegen sah, und wusste, die haben keine Chance. Das hatte ich nicht erwartet, und es hat mich wachgerüttelt. Heute bin ich weniger geschockt, viel gelassener. Ich treffe immer wieder Leute – nicht nur in Afrika –, deren letzter Wunsch es ist, mich noch zu treffen. Das mache ich gerne – für sie und auch für ihr Umfeld. Ich versuche zu helfen, mehr kann ich nicht tun. Wie mit meiner Stiftung auch. Wenn ich sehe, dass die Kinder lachen, eine gute Zeit haben und ich ihnen mit der Schulbildung einen Vorsprung im Leben geben kann, macht mich das sehr zufrieden. Emotional werde ich erst, wenn ich zurückblicke und darüber nachdenke, wie viel schwieriger sie es haben. Wie unfair das Ganze ist. Es hat nur damit zu tun, wo du geboren bist – pures Glück.
Für Ihre Südamerikatournee ernteten Sie auch Kritik, weil sie in armen Ländern viel Geld verdienten.
Kritiker gibt es immer, mit denen musst du umgehen können. Wenn ich ihnen immer zuhören würde, hätte ich die Hälfte der Länder, in die ich gehe, gar nicht bereist, hätte schon lange aufgehört. In Südamerika ging es darum, den Leuten eine Freude zu machen, die sonst kaum Livetennis sehen. Ich bin im Entertainment-Business unterwegs. Das Geld, das ich verdiene, fliesst ja auch zurück in die Stiftung. Je mehr ich verdiene, desto mehr kann ich abgeben. Ich wollte aber nicht einen Südamerikatrip speziell für die Stiftung machen. Für mich war es ein magischer Trip. Es ist schwer, sich das vorzustellen, wenn man es nicht gesehen hat. Aber ich spürte, wie viel es den Leuten bedeutete. Es war emotional, sehr anstrengend, aber wunderschön – und für mich sehr motivierend und inspirierend. Aber ich war nicht auf einem politischen Trip. Ich liess mich nicht einspannen und wollte auch nicht, dass Regierungen involviert sind.
Im südlichen Afrika treffen Sie sich aber schon mit Präsidenten, wie zwei Tage vor dem Spiel in Namibia. Sind Sie vielleicht doch politischer, als viele denken?
Für die Stiftung, ja. Wenn ich den Präsidenten von Malawi, den Vizepräsidenten von Sambia oder wie nun die Präsidenten von Namibia oder Südafrika treffe, kann ich versuchen, die Schulausbildung in der Agenda jenes Landes in der Wichtigkeitsskala nach oben zu bringen. Und wenn sie dir ein Versprechen machen, bleibst du dran mit der Stiftung und den lokalen Partnerorganisationen. Wenn ich die Entscheidungsträger treffe, kann das viel bewirken, und wir kommen schneller ans Ziel. Ohne sie wirds schwieriger. Sie wollen ja auch ihren eigenen Leuten helfen. Manchmal wollen sie mich auch nur treffen, weil sie dann besser dastehen. Für mich ist das weniger wichtig. Hauptsache für die Stiftung, für die Kinder hat es eine Wirkung.
Wird Ihre Stiftung zu Ihrer Hauptaufgabe im zweiten Leben?
Gute Frage, das habe ich noch nicht entschieden. Logischerweise werde ich mehr Zeit dafür haben. Auch nach 15 Jahren stehen wir noch am Anfang, werden grösser – ich kann immer noch so viel dazulernen. In Zukunft wird mein Körper kaum parat für weitere «Matches for Africa» sein, also werden wir uns noch mehr bemühen müssen, Geld zu generieren. Dafür muss ich wohl auch andere Leute motivieren, mitzuhelfen. Ich denke, es wird eine wichtige Sache in meinem Leben sein. Ob die wichtigste, werden wir sehen, das hängt auch von der Familie ab. Aber es wäre ein Traum, etwas Grosses für mich, wenn ich durch die Aktionen mit der Stiftung so berühmt würde wie mit meinen Erfolgen auf dem Tennisplatz.
Wie hat Sie Bill Gates, der beim «Match in Africa» auch wieder dabei ist, in dem Bereich inspiriert? Reden Sie mit ihm oder Jorge Paulo Lemann über Philanthropie?
Die beiden sprechen lieber über Tennis! (lacht) Ich erzähle ihnen viele Geschichten aus unserem Zirkus – das ist meine Art, mich für ihre Zeit und Hilfe zu bedanken. Natürlich profitiere ich auch von ihnen und stelle viele Fragen zur Philanthropie – das ist auch wichtig für unsere CEO Janine Händel, die ständig mit deren Büros in Kontakt ist. Bill Gates’ Stiftung ist so gigantisch, von deren Struktur können wir nur lernen. Gleichzeitig ist es für uns unglaublich, mit so brillanten Menschen zu verkehren wie mit Gates. Neben ihm kommst du dir immer sehr klein vor. Du musst aufmerksam zuhören, vif sein und schnell lernen – denn kleine Details machen einen grossen Unterschied für sehr viele Menschen.
Heute reicht es nicht mehr, Geld zu geben, heute wird man auch an dem gemessen, was man vorlebt. Wie positionieren Sie sich da?
Da haben Sie recht, und ich finde es gut, wenn man die Gelegenheit wahrnimmt, etwas zu verändern. Ich weiss, dass ich das kann, wenn ich das Mikrofon nehme und mich positioniere. Ich weiss aber auch, dass ich nie genügen kann und immer auch negative Reaktionen bekomme. Helfe ich gewissen Leuten, beklagen sich andere. Ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich gut überlegen muss, was ich und wann ich es mache. Ich kann ja nicht überall, für alle da sein. In erster Linie bin ich ein Vater, ein Tennisspieler, versuche mit Mirka ein anständiges, funktionierendes Leben zu führen.
Beispiel: Sie sind Götti des Basler Zoos, heute sind Zoos nicht mehr gut angesehen ...
Genau deshalb muss ich heute vor einem Engagement noch genauer hinsehen. Wenn ich mich verzettle, sagen die Leute: «Er macht alles und nichts.» Deshalb habe ich mich für die Stiftung entschieden. Damit zeige ich, dass meine Richtung, meine Priorität die Bildung ist – daran glaube ich am meisten.
Sie selbst wuchsen bodenständig auf. Geht das bei der Erziehung Ihrer Kinder noch?
Mir ist bewusst, dass meine Kinder kein normales Leben führen. Deshalb versuche ich an jedem Ort, in jedem Hotelzimmer Normalität um sie herum zu schaffen. Ich erkläre ihnen, dass es normal ist, sich mal zu langweilen, dass man nicht immer einen Plan, ein Programm haben muss. Letztes Jahr in Shanghai spürte ich, dass sie nach den vielen Reisen seit Cincinnati etwas aus der Spur gerieten. Ich sagte: «Jetzt reisen wir zurück in die Berge und bleiben in Ruhe da. Es ist nicht normal, ständig von einer Stadt in die nächste zu reisen!» Bei mir war alles viel normaler: Kindergarten, Primarschule, du gehst am Morgen, kommst zum Zmittag nach Hause oder gehst zu jemandem, weil deine Eltern arbeiten. Diese Normalität wiederholte sich täglich – bei uns ist jede Woche anders. Das gefällt mir zwar, ist aber nicht immer einfach.
Werden die Kinder nach Ihrem Rücktritt eine normale, öffentliche Schule besuchen?
Diese Idee gefällt mir sehr gut. Ob es eine öffentliche Schule sein wird, ist eine andere Frage. In letzter Zeit nähern wir uns jedenfalls einem normaleren Lebensmodell, länger an einem Ort zu sein. Damit alle länger in Dubai bleiben konnten, habe ich auch nicht den ATP Cup gespielt. Ich diskutiere ständig mit Mirka, was das Beste für unsere Kinder ist.
Die Strategie Ihrer Stiftung 2019 bis 2025 konzentriert sich auf die Vorschule – ist das die wichtigste Bildungs-Phase?
Ja, das ist bewiesen. Die Phase zwischen drei und sieben oder neun Jahren ist besonders wichtig, da glaube ich dran. Die Kinder entwickeln sich in dem Alter so schnell weiter! Alles, was du in dieser Zeit aufnimmst – wie ich mit den frühen Ferien in Südafrika – bleibt in dir. Selbst, wenn du dich nicht mehr richtig daran erinnerst. Ganz sicher habe ich von Afrika etwas mitbekommen, das ich woanders nie hätte lernen können. Ich hoffe, dass es für meine Kinder auf unseren Reisen gleich sein wird. Und ich hoffe, dass wir für die Entwicklung vieler anderer Kinder einen Unterschied machen können – in Afrika wie auch in der Schweiz.
Aus dem sechsten «Match for Africa» wird erstmals der «Match in Africa». Roger Federer spielt morgen in Kapstadt gegen Rafael Nadal – ein emotionales Highlight in Federers Karriere. Noch nie hat er in Südafrika gespielt. «Mit diesem Match wird ein Traum wahr», sagt Federer. «Im Heimatland meiner Mutter gegen meinen härtesten Rivalen und Freund.» Der Event wird zu einem Weltrekord. Im Cape Town Stadium finden 50'000 Zuschauer Platz.
Mehr Fans verfolgten noch nie ein Tennisspiel. Der Erlös des Benefizevents kommt der Roger Federer Foundation zu. Diese hat seit 2003 über 1,2 Millionen Kindern geholfen und den Zugang zu Schuldbildung ermöglicht. Total wurden schon über 45 Millionen Franken investiert. Allein mit seinen bisher fünf «Matches for Africa» sammelte Federer knapp 10 Millionen Franken.
Federer gegen Nadal am 7. Februar in Kapstadt (SA). Live 19.15 Uhr, SRF 2.
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