2019 war für Rafael Nadal eine spannende, äusserst aufreibende Saison. Dass er sie als Nummer 1 der Welt beendet, täuscht darüber hinweg, wie schwierig vor allem die erste Jahreshälfte gewesen ist. Der schon immer von vielen Verletzungen geplagte Spanier hatte auch in den letzten zwölf Monaten viele körperliche Probleme – und seelische kamen hinzu.
Die Jahresbilanz des 33-Jährigen fällt in einem Interview mit Spaniens Zeitungsportal «As» mässig gut aus. Nur an sieben Turnieren habe er wirklich gut gespielt, vier Titel sprangen heraus. Wegen Oberschenkelproblemen verzichtete er Anfang Jahr auf das Turnier in Brisbane. Zweifel plagten ihn bis in den Final von Melbourne, wo er deutlich an Djokovic scheiterte. Schmerzen im Handgelenk behinderten ihn in Acapulco. Und «der schwierigste Moment» kam in Indian Wells, als er den Halbfinal gegen Roger Federer wegen einer Knieverletzung absagen musste.
Die Vorbereitung für den Feldzug auf Sand war kurz. «Ich war müde und demoralisiert», sagt er. «Ich hatte einige schlechte Wochen zu Hause, körperlich wie auch seelisch.» In Monte Carlos spielte er mit Nagel-Infektion und entzündetem Finger. Aber er habe schon sein ganzes Leben lang trainiert, nicht aufzugeben. So fand Nadal auch in Barcelona wieder aus der Negativspirale heraus. Mit dem Gefühl, nicht weit von der Wunschform entfernt zu sein, reiste er nach Rom. Nachdem er dort siegte, setzte der Sandkönig zum 12. Höhenflug in Roland Garros an.
Und beendete diese Saison im totalen Hoch. In New York holte er seinen 19. Grand-Slam-Titel, in London stürzte er Novak Djokovic vom Thron und krönte sich daheim in Spanien mit dem Davis-Cup-Sieg zum Helden. Dass er nur noch einen Major-Sieg von Roger Federers Rekord entfernt ist, macht Nadal nicht nervös. Zuviel Ehrgeiz sei ungesund; sein Hauptziel für 2020: gesund bleiben und wie bis anhin alles geben, dann ergibt sich der Rest. «Solange ich gesund bin, bin ich glücklich. Wenn nicht, wird das Leben sehr viel komplizierter.»
Aus solchen Gründen sei er auch immer in Manacor geblieben. Trotz lukrativer Angebote diverser internationaler Akademien ist er seiner Heimatinsel und Onkel Tony Nadals Schule stets treu geblieben. «Eine der besten Entscheidungen in meiner Karriere», sagt Rafa.
In dieser versucht er sich – wie Federer – fortlaufend neu zu erfinden. Seine Zauberformel heisst «mehr Aggressivität». Dazu gehört auch die Verbesserung seines Aufschlags, den er – Nadal zählt Beispiele von Matches der letzten Jahre bis 2008 zurück auf – viel zu oft abgegeben habe.
Woher er diese erstaunliche Erinnerungsfähigkeit habe, will der Interviewer wissen. Auf sein sehr gutes Gedächtnis habe er sich schon immer verlassen können und es sei ein wichtiger Teil seines Erfolges, antwortet Rafa. «Lernst du aus Vergangenem, verbesserst du dich für die Zukunft. Selbst in einer Viererrunde beim Golf erinnere ich mich später an jeden einzelnen Schlag.» Es liege wohl an der Intensität, mit der er Dinge, die ihm wichtig sind, erlebe.
Keine Frage, dass Nadal ebenso intensiv versuchen wird, der neuen Generation um Tsitsipas, Medwedew, Thiem oder Shapovalov weiter zu trotzen. Dabei dauert seine Karriere eh schon viel länger als jemals gedacht. «Man sagte mir immer, dass ich mit meinem Stil nicht lange spielen würde. So rechnete ich immer damit, in meinem Alter längst in Rente zu sein und ein stabiles Leben mit eigener Familie zu führen.» Nun, seine langjährige, mallorquinische Freundin Xisca heiratete er diesen Herbst. Aber statt mit der eigenen Kinderschar spielt Rafa Nadal immer noch leidenschaftlich mit Tennisbällen. Und kann 2020 «the GOAT», der Grösste aller Zeiten werden.