Als Roger Federer die Ausgangslage für seine dritte Vorrunde noch nicht kannte, erwog er, dass Gruppensieger Novak Djokovic als Halbfinalist schon feststünde: «Vielleicht fehlt ihm ja der letzte Biss.»
Es kam anders. Djokovic unterlag Dominic Thiem, und für den Serben geht es nun um gleich viel wie für den Schweizer. Nur der Stärkere überlebt – der Djoker wird garantiert ultrabissig sein. Das ist er immer gegen Federer.
Hoffnung ist also definitiv die falsche Einstellung für den 49. Kampf mit Djokovic, der im Vergleich mit 26:22 Siegen führt – 10:6 an Grand Slams, 4:1 an Grand-Slam-Finals. Für den 38-jährigen Federer ist der sechs Jahre jüngere Djokovic eine Art Lieblingsfeind.
«Feind», weil Roger allen Grund hat, ihn zu hassen. «Liebling», weil er keinen lieber in einem superwichtigen Match schlagen würde.
2010 lag Federer noch mit 13:6 Siegen vorne. Seitdem aber vereitelte ihm der zähe Serbe so manch sicher geglaubten Triumph. Dreimal verlor Roger epische Fünfsatz-Krimis an Majors: 2010 im Halbfinal der US Open, als er mit 40:15 zum Match servierte. 2011 im Halbfinal der US Open, ebenfalls nach zwei Matchbällen. Zuletzt diesen Sommer, als der Rasenkönig den Final um seine 9. Wimbledon-Krone beim Stand von 8:7 und 40:15-Führung nicht nach Hause servierte.
Daneben gibts viele andere schmerzhafte Pleiten, wie den US-Open-Final 2015, als Roger 19 von 23 Breakbällen nicht nutzen konnte. Oder die Endrunde der ATP-Finals gleichen Jahres, an der sich Djokovic für die Vorrunden-Ohrfeige mit einem klaren Zweisatz-Triumph revanchierte.
Rache ist süss. Genau deshalb wäre ein Sieg im Osten Londons – vier Monate nach dem Drama im Südwesten der Stadt – Honig für Rogers Seele.
Federer wirkt verunsichert
Allerdings scheint Federer nicht so positiv gestimmt wie gewöhnlich. Federer sagt Sätze, die Verunsicherung ausdrücken: Unter Druck sei er immer noch etwas nervös und habe Angst. Millionen Gedanken im Kopf liessen ihn manchmal falsche Entscheidungen treffen. Er sei nur schon froh, seine Saison nicht mit drei Niederlagen in Folge zu beenden.
So spricht keiner, der an den Turniersieg glaubt. Und auch sein Racket drückte bisher weder gegen Dominic Thiem noch gegen Matteo Berrettini die Entschlossenheit des Turbotriumphes in Basel aus. Will der sechsfache Rekordsieger der ATP-Finals bei seiner 17. Teilnahme nicht zum zweiten Mal die Halbfinals verpassen, muss er sich heute deutlich steigern.
Djokovic, die Weltnummer 2, würde nur zu gern seine WM-Bestmarke egalisieren und das Jahr als Nummer 1 beenden.
«Vielleicht spürt Novak ja etwas mehr Druck als ich», hofft Roger. Darauf verlassen sollte er sich nicht.
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