Der erste Dank gilt ihrem Vater Ivan. Dann Mutter Dana und Bruder Brian, die in der Schweiz geblieben sind. «Sie haben so viele Opfer gebracht und mich immer unterstützt», sagt Belinda Bencic nach ihrem ersten Turniersieg bei den Profis. Zwei Mal hatte sie zuvor einen Final verloren. Zwei Mal hatte es danach Tränen der Enttäuschung gegeben.
Diesmal nicht. Diesmal sind es Tränen der Freude. Vielleicht auch Tränen der Erleichterung, nachdem die erste Saisonhälfte eher harzig verlaufen war.
«Das ist der grösste Tag meines Lebens», sagt sie sichtlich gerührt. «Für mich geht ein Traum in Erfüllung. Ich bin so glücklich. Diesen Tag werde ich niemals vergessen.»
Nach 2:12 Stunden steht der 6:4, 4:6, 6:0-Sieg gegen die Polin Agnieszka Radwanska (26, WTA 13) fest. Die ehemalige Nummer 2 der Welt ist trotz ihrer Erfahrung aus 20 vorherigen Finals (von denen sie 14 gewann) Belinda nicht gewachsen.
Dabei sei sie schon am Morgen sehr nervös gewesen, sagt Bencic. Und auch im Training vor dem Final habe sich die Aufregung kaum gelegt. Doch davon ist im Match nichts mehr zu spüren. Das sieht auch Martina Hingis (34), die neben Papa Ivan in der Box sitzt. «Danke, dass du gekommen bist», sagt Belinda und schwärmt: «Sie hat mir sehr viel geholfen in meiner Karriere, nicht nur in dieser Woche.»
Einen Wimbledon-Titel hat Bencic schon
An die Champagner-Flasche wagt sie sich aber noch nicht. «Ich habe noch nie getrunken, aber vielleicht mache ich es heute», sagt die Ostschweizerin. Viel Zeit zum Feiern bleibt ihr ohnehin nicht, denn schon in der kommenden Woche spielt die neue Nummer 21 der Welt in Wimbledon. Bei dem Turnier also, wo sie vor zwei Jahren als Juniorin den Titel geholt hatte.
Nun hat sie mit 18 Jahren das nächste Zwischenziel erreicht. Als insgesamt neunte Schweizerin gewinnt sie ein WTA-Turnier. Und sie hat das Zeug zu mehr. Ob es gar eine Karriere wie die ihres Vorbilds Hingis wird, bleibt abzuwarten. Immerhin steht ihr Name als Turniersiegerin von Eastbourne nun in einer Reihe mit den Grössten wie Chris Evert, Martina Navratilova, Monica Seles oder Justine Henin. «Es ist schon unglaublich, mit so grossen Namen überhaupt in einem Atemzug genannt zu werden», so Bencic.
Und was liegt nun in Wimbledon drin? Gras liegt Bencic, vor einer Woche hatte sie in ‘s-Hertogenbosch schon den Final erreicht. Aber Achtung: In London trifft sie in der Startrunde auf die Bulgarin Tsvetana Pironkova (27, WTA 44), die dort vor fünf Jahren den Final erreicht hat und eine von wenigen Rasenspezialistinnen ist.
Gleiches gilt selbstverständlich auch für Roger Federer (33), der auf der exklusiven Unterlage bereits 15 Titel gewonnen hat und damit mehr als jeder andere. Zudem kommt er mit dem Turniersieg von Halle im Gepäck an die Stätte seiner grössten Erfolge. Daraus, dass für ihn nur der 8. Wimbledon-Titel zählt, macht er keinen Hehl. «So eine gute Vorbereitung hatte ich noch nie vor Wimbledon. Ich kann in aller Ruhe sagen, dass der Titel mein grosses Ziel ist. Wenn ich das nicht erreiche, werde ich mit mir selber auch hart ins Gericht gehen», sagt der Baselbieter.
So offensiv hat der 17-fache Grand-Slam-Sieger seine Ziele in den letzten Jahren nur selten formuliert. «Ich bin besser in Form als im letzten Jahr», sagt er. Dabei verpasste Federer damals nur knapp den Titel.
Berechtigte Hoffnungen darf sich auch Stan Wawrinka (30) machen. Nicht zuletzt nach seinem Triumph in Paris, wo er den 2. Grand-Slam-Titel feiern konnte. Zwar hat der Romand in Wimbledon erst einmal die Viertelfinals erreicht, dennoch strotzt er vor Selbstvertrauen. «Auf Rasen läuft es mir in jedem Jahr etwas besser. Mein Tennis ist gut genug, um die Besten zu schlagen. Selbst wenn ich schlecht starte, verfalle ich nicht in Panik.»
Vier Schweizer mit Hoffnungen
Mit Federer, Wawrinka und Bencic hat die Schweiz also gleich drei ganz heisse Eisen im Wimbledon-Feuer. Drei? Nicht ganz! Denn da ist ja auch noch Martina Hingis, die in Eastbourne als Erste von Bencic Küsse bekommt. Die Ostschweizerin ist mit der Inderin Sania Mirza im Doppel als Nummer 1 gesetzt und auch im Mixed gilt sie mit dem Inder Leander Paes als heisse Anwärterin auf den Titel.
Drei Wimbledon-Trophäen hat Hingis ohnehin schon in ihrem Palmarès – 1997 gewann sie im Einzel, im Jahr zuvor und im Jahr danach triumphierte sie jeweils im Doppel. Wir freuen uns schon jetzt auf das heisseste Wimbledon aller Zeiten. Und hoffen auf Schweizer Trophäen.