BLICK: Roy Emerson, Sie haben das traditionsreiche Turnier von Wimbledon zweimal im Einzel und dreimal im Doppel gewonnen, was macht dieses Turnier so einzigartig?
Roy Emerson: Wimbledon war schon damals in den 1950er- und 1960er-Jahren das wichtigste Turnier des Jahres. Alle wollten hier gewinnen. Es war einfach das Turnier mit der grössten Klasse. Das englische Publikum ist überaus gesittet und interessiert am Spiel. Wenn man bei einem Big Point servierte, hätte man im Stadion eine Nadel fallen hören. Diese Stille sorgte für eine gewaltige Atmosphäre.
Was machte diese Klasse sonst noch aus?
Die Organisatoren behandelten uns Spieler wie Royals. Wir lebten zwar meist in einer billigen Unterkunft oder teilten uns ein günstiges Apartment mit anderen Spielern, um irgendwie über die Runden zu kommen. Zu den Spielen abgeholt wurden wir aber immer mit einem Rolls-Royce.
Sollte das Turnier mehr mit der Zeit gehen, allzu strenge Regeln wie zum Beispiel die weissen Kleider überdenken?
Nein, Wimbledon sollte die Regeln nicht lockern. Weisse Kleider sind einfach fabelhaft. Mir gefällt die Mode nicht, die heute an anderen Turnieren getragen wird: gemischte Farben, T-Shirts, schwarze Socken – das mag ich nicht. Man muss doch ein bisschen Klasse haben.
Welchen persönlichen Wimbledon-Moment werden Sie nie vergessen?
Ich hatte stets nur eine kurze Hose mit dabei. Meine Glücks-Shorts. Als ich einst gegen John Newcombe auf dem No. 1 Court spielte, brach der Knopf und die Hose hielt nicht mehr. Ich richtete mich ans Publikum und fragte in die Menge: «Hat jemand zufälligerweise einen Knopf und eine Nadel dabei?» Glücklicherweise konnte mich ein Zuschauer aus dieser misslichen Lage befreien.
Wer, glauben Sie, gewinnt Wimbledon dieses Jahr?
Es wird sicher jemand aus den Top drei sein. Sie sind alle in einer guten Form. Falls Federer und Nadal es bis ins Halbfinale schaffen, werden sie sich beim Aufeinandertreffen nichts schenken und sich einen harten Schlagabtausch liefern. Djokovic dürfte es da leichter haben und allenfalls mit weniger Energieverlust ins Endspiel vorstossen. Vielleicht ein Vorteil.
Sie sehen also Novak Djokovic als Favorit auf den Titel?Nun, Federer hat auch gute Chancen. Aber Djokovic ist in einer Topform und er spielt gar nicht mal so schlecht auf Rasen (lacht). Ich würde mein Geld auf Djokovic setzen, wenn ich müsste.
In Wimbledon folgt die Setzung der Spieler nicht exakt der Reihenfolge des ATP-Rankings. Rafael Nadal hat sich darüber nicht sonderlich gefreut. Verständlich?
Ich kann Nadals Frustration verstehen. Es ist nicht fair. Ich denke, er hätte es verdient, an Nummer zwei gesetzt zu werden. Zu meiner Zeit war dieses System der Setzlisten-Bestimmung jedoch gängig. Auch in Paris wurden die Spieler weiter vorne gesetzt, die in der Vergangenheit auf Sand besser performt hatten.
Wie viele Wimbledontitel kann Federer noch gewinnen?
Einen wird er noch holen. Falls nicht in diesem Jahr, dann im nächsten. Denn die Zeit wird langsam knapp. Und er wird nicht jünger. Verstehen Sie mich nicht falsch, er spielt fantastisch mit seinen 37 Jahren. Doch es ist eine riesige Herausforderung, über Best-of-Five zu bestehen. Federer kann sicher noch viele Turniere mit Spielen über drei Gewinnsätze gewinnen. Doch ob er noch lange in der Lage ist, Majortitel zu holen, da bin ich mir nicht sicher.
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