Nichts in seinem Leben ist normal. Und keine Anekdote beschreibt ihn, dessen Erfolg auf Ehrgeiz, Konzentration und eisernem Willen beruht, besser. Er ist 13 Jahre alt, lebt 800 Kilometer von seiner Heimat Belgrad entfernt in München. Seine Mutter Dijana weint oft am Telefon, «doch er zeigt keine speziellen Emotionen. Er weiss, was er will – der beste Spieler der Welt werden.» Sein Name: Novak Djokovic.
Der Weg in den Tennis-Olymp ist aber steinig. Seine Eltern betreiben in den 90er-Jahren eine Crêperie. In der Nähe trainiert eine Dame den Tennis-Nachwuchs. Es ist das Jahr 1991 und der vierjährige Novak geht ab diesem Tag immer wieder zur Anlage. Bis ihn die Dame mittrainieren lässt. Er weiss nicht, dass sie eine Legende ist. Ihr Name: Jelena Gencic. Durch ihre Schule gingen zuvor Monica Seles und Goran Ivanisevic. Gencic erkennt das Funkeln in den Augen des kleinen Jungen. Den unbändigen Willen.
Novak trainiert öfter und härter als alle anderen. Mit sechs Jahren ist er besser als Zehnjährige. «Dieses Kind ist etwas Spezielles», sagt Gencic, als erste Hindernisse auftauchen. So gross sein Appetit auf Fortschritt ist, so klein ist er beim Essen. Er verweigert den Fleischkonsum, den die Betreuer wegen der Proteine für elementar halten. Ziehmutter Gencic trickst ihn aus. Mit einem Mixer vermengt sie Steak mit Gewürzen. So wird Djokovic der erste Tennisspieler, der Fleisch trinkt, ohne es zu wissen.
Er selber sieht sich immer als kommende Nummer 1. Mit zehn Jahren malt er sich als Wimbledon-Champion und bastelt sich den passenden Pokal dazu. Gencic erzählte einst, dass Djokovic immer eine halbe Stunde zu früh zum Training gekommen sei, mit einer perfekt gepackten Tasche. Ersatzracket, T-Shirt, Schweissband, Banane, Wasserflasche. Als sie ihn fragte, ob die Mutter gepackt habe, sagte er: «Nein, ich schaute den Spielern im TV zu und machte es wie sie.»
Djokovics Traum zerschellt nicht an den Nato-Bomben, die seine Heimat zerstören. Er scheitert nicht daran, dass Serbien mausarm ist. Statt unbeschwert seinen zwölften Geburtstag zu feiern, sitzt er 1999 in einem Keller, während die Sirenen vor einem neuen Luftangriff warnen. Als sich die Lage beruhigt, bricht er nach München auf, um von dort aus die Tennis-Welt zu erobern.
Dort trainiert er in der Akademie des Kroaten Niki Pilic. «Novak hat mir tausendmal gesagt, dass es sein Ziel ist, Nummer 1 der Welt zu sein. Aber er hat auch sehr hart dafür gearbeitet», erzählte Pilic einst. Vor den Trainings wärmt sich der Junge 20 Minuten von sich aus auf. Als Pilics Frau ihn dafür lobt, antwortet er: «Ich will doch nicht meine Karriere riskieren.» Novak ist da 13-jährig, der Weg an die Spitze vorgezeichnet.
Mit 18 gewinnt Djokovic seinen ersten ATP-Titel. In der folgenden Saison erreicht er die Top 10 und spielt an den US Open seinen ersten Grand-Slam-Final, den er gegen Federer verliert. Von da an reiht er einen Erfolg an den anderen. Und trotz allem gibt es ein Problem: Er leidet körperlich.
Als Djokovic herausfindet, dass er unter einer Gluten-Intoleranz leidet, setzt er auf eine radikale Diät: kein Brot, keine Pizza. Doch noch immer steht er im Schatten von Federer und Nadal, welche die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit absorbieren. Es gibt Zeiten, in denen er verzweifelt ist. Sogar der Rücktritt ist ein Thema.
Die Verwandlung bringt der historische Davis-Cup-Sieg 2010. Als die Haare nachwachsen, die er sich im Siegestaumel abrasierte, ist er nicht mehr derselbe. Verwandelt. Ein Champion, der nicht mehr weiss, wie man verliert. «Ich hatte nie die richtige Einstellung. Oft verlor ich gegen Nadal oder Federer, weil ich nicht an mich glaubte. Das änderte sich mit dem Davis-Cup-Titel. Er verlieh mir Flügel.»
Heute sieht Djokovic sich als Botschafter seines Landes. Eines Landes, das in seiner Kindheit von Bomben zerstört und inneren Konflikten zerrissen ist. «Aber wir Tennisspieler haben ein besseres Bild unseres Landes in die Welt hinausgetragen, einen Schritt in eine bessere Zukunft Serbiens gemacht.» Obwohl er seit Jahren in Monte Carlo lebt, sind seine serbischen Wurzeln elementar. Sein Wort hat Gewicht.
2011 erfüllt sich Djokovic den Traum, den er schon als 12-Jähriger träumte. Er gewinnt in Wimbledon, beim wichtigsten Tennis-Turnier der Welt. Den Titel widmet er seiner Trainerin Jelena Gencic, die zwei Jahre später stirbt. Seit einem Jahrzehnt ist Jelena Ristic die Frau an seiner Seite. «Was ich am meisten an ihr mag, ist ihre Ehrlichkeit. Sie ist tüchtig, ambitioniert und stark», schwärmt Djokovic. 2014 führt er sie vor den Traualtar. Im Oktober kommt ihr erster Sohn Stefan zur Welt.
Dessen Geburt ist für Djokovics Erfolg ein Brandbeschleuniger: Sieg in Melbourne, Final in Roland Garros, die Titel in Wimbledon und bei den US Open. Er gewinnt sechs von neun Masters-1000-Turnieren und spielt 17 Millionen Dollar Preisgeld ein. Er erreicht 14 Finals in Folge. Heute, mit nur 28 Jahren, prägt Djokovic das Welt-Tennis mehr als je ein Spieler zuvor. Es ist die Ära Djokovic. Auch kommende Woche in London, wo er zuletzt drei Mal in Folge gewann.