Martina Hingis sagt Tschüss
«Ich freue mich extrem auf die nächste Etappe»

Nach einer grossen Karriere beginnt Martina Hingis den nächsten Lebensabschnitt. Begleitet von grosser Vorfreude, aber auch von Trauer.
Publiziert: 25.11.2017 um 23:51 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:28 Uhr
Interview: Felix Bingesser
Hingis und Harry Leemann starten in ein neues Leben.

Mary Pierce werden die Lockenwickler aus dem Haar genommen, Iva ­Majoli wird geschminkt, Timea Bacsinszky stöckelt um den Tisch, Emmanuelle Gagliardi werden die Augenbrauen gezupft. Auch Belinda Bencic macht sich chic.

In einem Saal des Dolder Grandhotel in Zürich geht es zu wie in ­einem Bienenhaus. Alle kichern und erzählen Episoden von früher. Nur eine fehlt: Jana Novotna. Sie hat auch eine Einladung erhalten. Auch sie wäre gerne bei der grossen ­Abschiedsfeier von Martina Hingis dabei gewesen.

Aber sie ist in der letzten Woche ihrer Krankheit erlegen. Hingis war es ein Anliegen, dass man vor all den Ehrungen und Reden eine Schweigeminute für Jana abhält. Beim Stichwort Novotna stockt ihre Stimme. «Wir haben ja gewusst, dass sie krank ist. Aber dass alles so schnell geht, war doch ein Schock. Ich bin sehr traurig. Es waren schwierige Tage.» Vor allem auch, weil auch die Mutter ihres Lebenspartners Harald Leemann in den letzten Tagen viel zu früh verstorben ist.

Freud und Leid, die ganze Achterbahnfahrt des Lebens. Das ist ­bezeichnend für die Karriere von Martina Hingis, der grössten ­Sportlerin, die die Schweiz je gehabt hat. An diesem Abend wird im ­noblen Dolder mit viel Prominenz gefeiert. Am nächsten Tag reist sie mit ihren Mädels an die Sportnacht in Davos und lässt es dort bis am Sonntag krachen. Auch Skifahren steht auf dem Programm.

Jetzt aber sitzt sie mit ihren Freundinnen in Zürich und lässt sich die Haare föhnen. Und blickt für BLICK zurück auf ihre grosse Karriere. Und immer wieder lacht die «Swiss Miss» und scherzt mit ihren Mädels. Ihre ansteckende Fröhlichkeit hat sie auch nach einigen Rückschlägen und nach zuletzt traurigen Tagen nicht verloren.

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Ringier-CEO Marc Walder (r.) mit Altbundesrat Adolf Ogi.
Foto: Philippe Rossier

BLICK: Martina Hingis, mit 12 haben Sie das Juniorenturnier in Paris gespielt. Hatten Sie damals eigentlich ein Plüschtierchen dabei?
Martina Hingis: Nein, ich glaube nicht. Zu Hause hatte ich sicher noch eins. Aber nach Paris habe ich es nicht mitgenommen. Und wenn es so war, kann ich mich nicht ­erinnern.

Aber Mutter Melanie Molitor hat Ihnen am Abend nach den ­Spielen im Hotel noch eine Gutenachtgeschichte vorgelesen?
Nein! Das hat sie zwar früher ­gemacht. Aber das hört so mit acht Jahren auf. Bis ich mit 14 Profi­spielerin wurde, haben wir ab und zu noch etwas für die Schule ­gemacht. Aber auf der Tour war damit auch Schluss. Dann war am Abend der Fernseher Trumpf.

Denken Sie heute, dass Sie eine ­etwas unbeschwerte Jugend verpasst haben?
Nein. Ich hatte eine spezielle, aber trotzdem eine schöne Jugend. Ich bin mit dem Tennis aufgewachsen, habe aber auch andere Sportarten gemacht. Meine Mutter hat mich polysportiv erzogen.

Sie möchten selber mal eine ­Familie. Würden Sie Ihre Kinder in diesem jugendlichen Alter auf die Profitour begleiten?
Warum nicht? Das kommt nicht von heute auf morgen. Der Sport ist ja dann schon früher ein ­grosser Teil des Lebens. Wer mit 13 auf der Profitour ist, der macht andere Erfahrungen. Der lernt auch früh, mit Druck umzugehen. Aber den Druck habe ich mir ­damals schon selber gemacht. Der kam nicht von aussen. Und mit Druck müssen ja alle Kinder ­umzugehen lernen. Den gibts auch in der Schule. Nein, der Sport gibt einem unendlich viel. Auch Freundschaften.

Was lernt man sonst noch, wenn man jahrelang auf der Tennistour ist?
Einiges. Es ist eine Lebensschule. Aber man lernt auch Sprachen. Nicht zuletzt wegen des Tennis bin ich heute viersprachig. Zuletzt habe ich auch einige Brocken ­indisch und chinesisch gelernt.

Ihr Rücktritt ist vor drei Wochen publik ­geworden. Hatten Sie ­viele Reaktionen?
Extrem, ja. Und ich bin dankbar für die Wertschätzung, die ich erfahren habe. Ich freue mich jetzt extrem auf die nächste Etappe im Leben. Viele Leute ­sagen mir ja: Das Beste kommt erst jetzt! Mir wird sicher nicht langweilig.

Andere haben mit 37 Jahren eine Midlife-Crisis. Sie sagen: Das Schönste kommt noch. ­Woher wissen Sie das?
(lacht) Eigentlich vermute ich das nur vom Hörensagen. Aber ich kann es mir sehr gut vorstellen, dass es so ist. Ich freue mich auf jeden Fall auf diese Zeit.

Sie möchten eine Familie ­gründen. Werden Sie da Ihren Mann um Haushaltsgeld fragen müssen?
Nein, so weit wird es nicht ­kommen, da werden wir keinen Stress haben. Obwohl: Ich habe ja jetzt lange gearbeitet. Jetzt kann Harald zwanzig Jahre arbeiten. (lacht)

Es ist schwer vorstellbar: Aber werden Sie jetzt ein klassisches Hausmütterchen?
Harald ist ja Arzt. Da weiss man ja, was die beruflich für Präsenz­zeiten haben. Nein, ich kann mich schon selber beschäftigen.

Tennisexpertin beim Fernsehen wäre nichts für Sie?
Medienarbeit sehe ich eher ­weniger. Ich habe noch einige Sponsorenverpflichtungen, die weiterlaufen. Und dann stehe ich lieber auf dem Platz und helfe meiner Mutter bei ihrer Tennisschule. Da erlebe ich die Entwicklung von jungen Sportlern hautnah. Vielleicht auch in beratender Funktion für junge Tennisspieler. Und meine Pferde habe ich auch noch. Langweilig wird mir garantiert nicht.

Sie waren in einem globalen Sport die Nummer eins und ­haben 25 Grand-Slam-Titel ­gewonnen. Trotzdem waren Sie nur einmal Schweizer Sportlerin des Jahres. Ärgert Sie das?
Nein. Diese Vergleiche zwischen den Sportarten sind auch schwierig. Wenn ich eine Daniela Ryf sehe, die in Hawaii gewinnt, ist das auch eine unglaubliche ­Leistung. Es gab und gibt viele ­herausragende Sportlerinnen in der Schweiz, die diese Auszeichnung auch verdient haben.

Sie haben sich nie darüber ­geärgert, dass Ihnen die ­Wertschätzung der Schweizer Öffentlichkeit lange Zeit ­verwehrt blieb?
So etwas würde ich nie sagen. Und jetzt bin ich sowieso in Party-Stimmung. Und ich freue mich auf den nächsten Lebens­abschnitt.

Roger Federer hat gesagt, Sie seien eine Inspiration für ihn gewesen.
Ja, das hat mich sehr gefreut, das ist ein schönes Kompliment. Aber es ist auch die Wahrheit. Ich war in gewissen Bereichen schon eine Vorreiterin, die als ­kleine Schweizerin ein Grand Slam gewinnt. Da war es für die nächsten schon ein wenig ein­facher.

Sie sind zurückgetreten, Roger Federer und Stan Wawrinka spielen auch nicht mehr ewig. Wird das Schweizer Tennis ­wieder in der Versenkung ­verschwinden?
Wir sind halt sehr verwöhnt. Aber es gibt ja schon noch einige. ­Timea und Belinda sind ja top. Und dann liegt es halt auch an mir als Trainerin, dass etwas nachkommt.

Ihre ehemalige Doppelpartnerin Jana Novotna ist gestorben. Das muss auch für Sie ein Schock gewesen sei.
Ja. Wir haben uns im Februar noch gesehen. Ich habe Sie auch für meine Abschiedsparty eingeladen. Wir sind schon sehr traurig.

Sie sind erstmals mit dem Tod so direkt konfrontiert worden?
In der Generation von Jana schon, ja. Wenn ein Mensch so jung stirbt, ist das ja etwas anderes als wenn der Grossvater stirbt.

Vielen Sportlern fehlt nach ihrem Rücktritt das Rampenlicht. Rufen Sie in zwei Jahren an und fragen, ob man nicht mal ­wieder ein grosses Interview mit Ihnen führen wolle?
(lacht) Nein! Ganz bestimmt nicht. Ich brauche das Rampenlicht nicht, ich hatte genug davon. Und es waren ja nicht immer nur angenehme Geschichten. Ganz vergessen wird man mich ja nicht.

Nach dem Interview geht es zum grossen Gala-Abend. Hingis ­verabschiedet sich dort auf der Bühne und bedankt sich bei vielen Leuten. Am Ende bei ihrer Mutter Melanie Molitor. Und da versagt auch der sonst so kontrollierten Hingis die Stimme. Sie steigt von der Bühne hinunter an den Tisch der Mutter und umarmt sie. Die Tränen kann sie nicht mehr zurückhalten. «Danke Mama.» Mehr sagt sie nicht. Mehr ist auch nicht nötig.

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