Kyrgios wettert, Swiss Tennis begrüsst sie
Geplante ATP-Finanzspritze spaltet die Tennis-Welt

Die ATP führt ab 2024 ein Grundeinkommen ein, um den Spielern finanziell unter die Arme zu greifen. Die Meinungen darüber gehen auseinander. Und Swiss Tennis hofft, dass auch bei den Frauen nachgezogen wird.
Publiziert: 07.09.2023 um 10:40 Uhr
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Spieler wie Marc-Andrea Hüsler könnten künftig vom Grundeinkommen der ATP profitieren.
Foto: keystone-sda.ch
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Marco PescioReporter Sport

Jeder Tennis-Profi oder jedes Talent, das auf dem Weg dorthin ist, spürt es jede Woche am eigenen Leib: Das Leben auf der Tour verschlingt Geld ohne Ende. Reisen, Unterkünfte und Verpflegung bis hin zu persönlichen Coaches, Physiotherapeuten oder weiteren Betreuern: Die Kohle dafür muss jeder Spieler selbst aufbringen. Und jener Teil der Profis, der von den Honigtöpfen der grössten Turniere profitieren kann, ist im Verhältnis sehr, sehr klein. 

Nun hat die Spielervereinigung ATP einen Plan aufgetischt, der die Tennis-Landschaft revolutionieren soll. Ab 2024 soll das Programm «Baseline» im Rahmen einer dreijährigen Testphase den Spielern mehr finanzielle Sicherheit bieten. Dabei sind drei Grundpfeiler vorgesehen:

1) Wer zu den besten 250 Spieler der Welt gehört, soll von einem Grundeinkommen profitieren können – und zwar abhängig vom Ranking. Akteure aus den Top 100 würden 300’000 Dollar zustehen, also umgerechnet 264’000 Franken. Für die Ränge 101 bis 175 gäbe es 132’000 Franken. Und der Rest bis zum Platz 250 bekäme einen Betrag von rund 66’000 Franken. Dabei spielt es eine Rolle, wieviel der Spieler im Jahr an Preisgeldern einnimmt. Ist es weniger als die festgelegte Grundeinkommens-Summe, springt die ATP ein und übernimmt den Fehlbetrag.

2) Auch sollen Spieler, die während des Jahres von Verletzungen geplagt werden, unterstützt werden. Wer weniger als neun ATP- oder Challenger-Turniere bestreiten kann, hat ebenfalls Anrecht auf eine Entschädigung. Umgerechnet 176’000 Franken für die Top 100, 88’000 Franken für die Plätze 101 bis 175 und 44’000 Franken für die Positionen 176 bis 250.

3) Aufstrebende Talente, die zum ersten Mal unter die besten 125 der Welt vorstossen, sollen eine Starthilfe in der Höhe von 176’000 bekommen. Ausgezahlt wird dieser Betrag dann in der Folgesaison und dabei mit den Preisgeldeinnahmen verrechnet.

Die ATP geht davon aus, dass unter Berücksichtigung aller Bedingungen zwischen 30 bis 45 Spieler pro Saison Anspruch auf das neue Grundeinkommen haben dürften. Top-Stars wie Novak Djokovic (36) oder Carlos Alcaraz (20) werden kaum dabei sein, wenn sie von grösseren Verletzungen verschont bleiben. Profitieren kann und soll die zweite, dritte oder vierte Garde. 

«Richtet sich an die falschen Leute»

Grigor Dimitrov (32), Mitglied des ATP-Spielerrats, hat das Programm als «Wendepunkt» bezeichnet. Endlich könnten sich die Profis «auf das Spiel konzentrieren». Auch Swiss Tennis lässt auf Blick-Anfrage verlauten, der Verband begrüsse das Pilotprojekt, zumal die Fixausgaben auch in sportlich schlechten Zeiten «immer da» seien. Insbesondere die Zahlungen bei Verletzungen taxiert Swiss Tennis als positive Entwicklung. Unisono von einem «Schritt in die richtige Richtung» sprechen auch der Zürcher Marc-Andrea Hüsler (27), aktuell die Nummer 97 der Welt, und Blick-Tennisexperte Heinz Günthardt (64).

Kritik hagelt es dafür vom früheren Wimbledon-Finalisten Nick Kyrgios (28), der auf «X» (ehemals Twitter) schreibt, das Grundeinkommen sei «immer noch nicht genug». Und der britische Coach Calvin Betton meint gegenüber «The Telegraph»: «Ich finde es ziemlich witzig, dass die ATP-Ankündigung ein Zitat von Dimitrov enthielt. Das ist so, als würde man Tom Cruise bitten, etwas über die Schwierigkeiten zu sagen, die es mit sich bringt, ein erfolgloser Schauspieler zu sein.» Ausserdem würde sich das Programm an die falschen Leute richten: «Es sind die, die ausserhalb der Top 250 rangieren, die wirklich Hilfe brauchen.» Die Bedürftigen seien jene zwischen den Plätzen 250 und 600.

Hier hakt auch Swiss Tennis ein. Der Verband erklärt: «Es wäre sinnvoll, wenn die Unterstützung ausgeweitet werden könnte. Aktuell stellen wir fünf Spieler in den Top 250 und sieben in den Top 600.» (siehe Box) 

Die Schweizer in den Top 600

Stan Wawrinka (ATP 49)

Marc-Andrea Hüsler (ATP 97)

Dominic Stricker (ATP 128)

Leandro Riedi (ATP 153)

Alexander Ritschard (ATP 183)

Antoine Bellier (ATP 321)

Henri Laaksonen (ATP 334)

Remy Bertola (ATP 369)

Jerome Kym (ATP 393)

Damien Wenger (ATP 408)

Jakub Paul (ATP 553)

Mika Brunold (ATP 593)

* Stand vor den US Open

Stan Wawrinka (ATP 49)

Marc-Andrea Hüsler (ATP 97)

Dominic Stricker (ATP 128)

Leandro Riedi (ATP 153)

Alexander Ritschard (ATP 183)

Antoine Bellier (ATP 321)

Henri Laaksonen (ATP 334)

Remy Bertola (ATP 369)

Jerome Kym (ATP 393)

Damien Wenger (ATP 408)

Jakub Paul (ATP 553)

Mika Brunold (ATP 593)

* Stand vor den US Open

Auch Günthardt findet trotz seiner ansonsten lobenden Worte, dass das Projekt ohne allfällige Erweiterung «die Tennislandschaft nicht grundsätzlich verändern» werde: «Schliesslich braucht es viele Jahre, um das geforderte Niveau zu erreichen, um von der Initiative überhaupt profitieren zu können. Diese Jahre sind teuer.»

WTA ist jetzt unter Druck

Genau dasselbe lässt sich natürlich auch für die Frauen auf der Tour sagen. Doch über ein ähnliches Projekt der WTA ist bislang nichts bekannt. Wenngleich die Forderungen danach immer lauter werden, auch aus der Schweiz. Vonseiten von Swiss Tennis heisst es: «Es wäre schön, wenn die WTA gleichziehen und auch bei den Spielerinnen ein solches Sicherheitsnetz einführen würde.» Hüsler würde dies «im Sinne der Gleichberechtigung» ebenfalls begrüssen.

Die WTA richtet überdies auf Blick-Anfrage aus: «Wir verfügen zum jetzigen Zeitpunkt nicht über dieses Programm, aber wir prüfen ständig Möglichkeiten, was wir tun können, um unsere Spielerinnen und ihre finanzielle Zukunft zu unterstützen.»

In Zeiten, in denen die WTA ohnehin schon wegen mancherorts deutlich tieferen Turnier-Preisgeldern in der Kritik steht, dürfte der Druck nach dem Vorpreschen der ATP noch einmal gestiegen sein.

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