Wo ist Roger? Gemäss Trainingsplan soll Roger Federer um 11 Uhr auf Court 12 mit Kei Nishikori, seinem möglichen Viertelfinalgegner, trainieren. Der Japaner ist da. Auch einige Fans und Journalisten, die das Programm vom Trainingsplan übernommen haben und Federer sehen wollen. Nur Federer fehlt – der Schweizer erscheint nicht.
Geht es ihm wieder schlecht? In dieser verflixten Saison wäre das nichts Neues. Oder sitzt er vielleicht schon in seinem Haus in Wimbledon auf dem Sofa, in erregter Vorfreude auf den EM-Match der Schweiz gegen Polen?
Nichts dergleichen. Als wäre nichts gewesen, sitzt er später im grossen Interview-Raum vor den Medien. Er trägt ein weisses T-Shirt mit dem Aufdruck «SW 19» (steht für den Südwesten Londons) – zwischen Buchstaben und Zahlen ist ein roter, doppelstöckiger London-Bus gemalt.
Es ist ein Zeichen seiner beinahe kindlichen Vorfreude, wieder an seinem Lieblingsturnier zu sein. Der 34-Jährige erzählt, dass es ihm besser geht, er zwar so unvorbereitet wie noch nie nach London reiste, weil ihm viel Matchpraxis fehle. «Immerhin weiss ich nach Stuttgart und Halle wenigstens, wo ich etwa stehe. Ich habe sieben Matches auf Rasen gespielt – das ist mehr, als ich erwartet hatte. Und soviel wie noch nie vor Wimbledon, weil ich ja sonst nur in Halle angetreten bin.»
Seine Erwartungen hat der siebenfache Wimbledon-Champ dennoch vorerst heruntergeschraubt. «An den Titel denke ich im Moment nicht – der ist noch viel zu weit weg», so Federer, der es zum Auftakt erstmals mit dem Argentinier Guido Pella (ATP 51) zu tun bekommt. Sein Ziel sei es, erst einmal die zweite Woche zu erreichen. «Danach gilt es hier die Favoriten Novak Djokovic und Andy Murray zu schlagen.» Sein heimlicher Traum ist dennoch spürbar, wenn er sagt: «Hier bietet sich mir eine grosse Möglichkeit, diese Saison wieder gutzumachen.»
Das Geheimnis um seinen Verbleib auf dem Trainingsplatz lüftet er nicht. Schnell will er nach Hause, an einen TV, der Fussball zeigt. Dann macht Roger den Medien-Raum frei für den nächsten Star: Stan Wawrinka wartet schon überpünktlich vor der Tür – auch dieser Fussball-Fan will schnell weiter... Die beiden Schweizer Kumpels klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, dann übernimmt der Romand den vom Baselbieter aufgewärmten Stuhl.
Anders als Federer hat Wawrinka vor seinem Auftaktmatch gegen den 18-jährigen US-Newcomer Taylor Fritz (ATP 63) erst ein Match auf Rasen – die Auftakt-Niederlage in Queens – als Informationsquelle. Dennoch ist die Weltnummer 5 nach drei Wochen im Londoner Trainingslager mit den beiden Coaches Magnus Norman (Sd) und neu Richard Krajicek (Ho) guten Mutes. «Ich habe vom vielen Training mit ihnen profitiert und fühle mich wirklich sehr gut», sagt er. Was zum Wimbledon-Durchbruch noch fehle, wird Stan gefragt. Die Antwort klingt selbstbewusst: «Nicht viel.»