Am Ende steht ein Fehler. Martina Hingis serviert im Halbfinal bei den WTA Finals in Singapur gegen den Matchverlust. Der Return von Timea Babos gerät tief in die Beine der Schweizerin. Martina schaufelt die Rückhand, der Ball fliegt – zu hoch, zu weit. Er landet im Aus. 4:6 und 6:7. Um 9.26 Uhr Schweizer Zeit endet gestern die Karriere der grössten Schweizer Sportlerin aller Zeiten.
Martina wischt sich kurz den Schweiss ab, umarmt Partnerin Yung-Jan Chan – und geht unter Standing Ovations. Aber kein Interview, kein Fest. Das unscheinbare Ende einer grossen Ära.
23 Jahre dauerte die einzigartige Karriere. Die «Swiss Miss» hat den Sport während mehr als zwei Jahrzehnten massgeblich mitgeprägt. Im Alter von 15 Jahren wurde sie zum Weltstar. 209 Wochen war sie die Nummer 1, bis heute die jüngste aller Zeiten (16 Jahre und 6 Monate). Sie gewann 5 Grand-Slams im Einzel, 13 im Doppel, 7 im Mixed. Dazu zahlreiche Irrungen und Wirrungen, eine veritable Achterbahnfahrt.
Nun ist Schluss. Martina freut sich auf ihre Zukunft. Auf die Ausritte mit ihren Pferden in Feusisberg SZ. Auf das Leben mit ihrem Partner Harald Leemann, einem Zuger Arzt.
Fünfeinhalb Stunden nach dem Schlusspunkt ist Hingis im Gespräch mit SonntagsBlick gefasst. Tränen gabs noch keine. Weder auf dem Platz noch in der Garderobe. Doch die 37-Jährige weiss, dass sie jederzeit noch kommen können.
Martina Hingis, Ihre Karriere ist einen Tag früher als geplant zu Ende gegangen. Traurig?
Martina Hingis: Natürlich habe ich mir das anders gewünscht und hätte am Sonntag noch gerne den Final gespielt. Aber es ist, wie es ist. Ich kann ja jetzt nach 23 Jahren nicht wegen einer Niederlage traurig sein. Man muss auch realistisch sein, die anderen beiden waren heute einfach besser.
Wie gross ist die Wehmut, wenn man realisiert, dass es zu Ende ist?
Man glaubt bis zum letzten Ballwechsel an eine Wende. Ich habe den Moment gar nicht so richtig realisiert.
Also sind keine Tränen geflossen?
Nein. Aber es ist möglich, dass es noch Tränen gibt.
Wann?
Es wird hier in Singapur am Sonntag eine Abschiedsparty geben. Das wird für mich sicher nochmals ein sehr emotionaler Moment. Gut möglich, dass ich dann die eine oder andere Träne verdrücken muss.
Sie haben mit Ihrer Rücktrittsankündigung im BLICK am Donnerstag für grosse Aufregung gesorgt. Kam der Entscheid spontan?
Nein, das war ein langer Prozess. Ich habe meiner Doppelpartnerin Yung-Jan Chan schon im Februar gesagt, dass dies wohl meine letzte Saison sein wird. Und ich habe in der ganzen Zeit gespürt, dass dies so richtig ist.
Sie treten als Nummer 1 der Doppel-Weltrangliste ab.
Dann ist das ja der richtige Zeitpunkt. Für mich stimmt es so, es ist der richtige Moment, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.
Es gab weltweit viele Reaktionen auf Ihren Rücktritt. Welche haben Sie am meisten bewegt?
Wenn man 23 Jahre lang auf der Welt unterwegs war, dann lernt man schon einige Leute kennen. Am emotionalsten ist es ja immer, wenn man von der Familie etwas hört.
Wenn Sie den schönsten Moment Ihrer langen Karriere nennen müssten, welcher wäre das?
Ich kann keinen herauspicken. Es gab unzählige schöne Momente, aber auch einige Tiefschläge. Ich blicke einfach mit einem gewissen Stolz auf meine lange Karriere zurück.
Wie geht es jetzt weiter?
Zuerst kommt jetzt diese Abschiedsfeier in Singapur. Danach fliege ich mit meiner Doppelpartnerin in ihre Heimat, nach Taiwan. Sie hat mich eingeladen, und ich nutze diese Chance. Ich weiss ja nicht, wann ich zum nächsten Mal an diesem Ende der Welt bin.
Sie haben vor einem Jahr gesagt: «Die biologische Uhr tickt. Irgendwann möchte ich einmal eine Familie haben.» Gibt es da schon konkrete Pläne?
Lasst mich doch jetzt mal in aller Ruhe zurücktreten. Alles andere lasse ich auf mich zukommen.
Was möchten Sie Ihren Fans noch sagen?
Ich möchte mich einfach bei der ganzen Schweiz herzlich für die grosse Unterstützung in diesen 23 Jahren bedanken. Ich hoffe, dass ich eine gute Botschafterin für diesen wunderbaren Sport war. Ich hoffe, dass ich auch Freude und Emotionen vermitteln konnte. Und dass ich für möglichst viele junge Leute auch eine gewisse Inspiration war.