«In diesen Tagen kann ich mich nicht darüber freuen»
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Hingis vor 23 Jahren auf Thron:«In diesen Tagen kann ich mich nicht darüber freuen»

Hingis kletterte vor genau 23 Jahren auf den Tennis-Thron
«In diesen Tagen kann ich mich nicht darüber freuen»

Am 31. März 1997 wurde Martina Hingis mit 16 Jahren die jüngste Nummer 1 der Welt. Ein Rekord bis heute. «Der in der Corona-Krise nichtig ist», winkt sie ab.
Publiziert: 31.03.2020 um 08:27 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2020 um 08:16 Uhr
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Im März 1994 taucht Martina Hingis erstmals in der Tennis-Weltrangliste auf (Platz 399).
Foto: keystone-sda.ch
Cécile Klotzbach

Welche Erinnerungen haben Sie noch an ihr grossartiges Jahr 1997?

In normalen Zeiten würde ich mich gerne für Sie daran erinnern. Aber in dieser schrecklichen Zeit, wo täglich so viele Menschen am Coronavirus sterben, finde ich es eigentlich unangebracht, über fröhliche alte Zeiten zu sprechen.

Gerade in negativen Zeiten liest man gerne mal Positives. Tun sie es bitte für Ihre Fans!

Ja, aber es sollte unbedingt relativiert werden. Ich hatte einen ganz tollen Start, war bis Indian Wells und Miami noch ungeschlagen. Mit dem Sieg in Key Biscayne wurde ich dann die Nummer 1. Eine spezielle Trophäe für diesen Erfolg, wie es sie heute gibt, wurde damals leider noch nicht verliehen.

Haben Sie sonst irgendein Souvenir von diesem Tag?

Ich bekam ein Bild eines Schweizer Malers. Es hing jetzt jahrelang bei mir zuhause in Florida, wird aber derzeit gerade in die Schweiz verfrachtet. Auf dem Bild steht ganz klein «31. März 1997» geschrieben.

Wie wurden Sie denn damals geehrt?

Erst am Montag danach war ich ja offiziell die Nummer 1 im Ranking. Da war ich bereits am nächsten Turnier, dem herzigen Sandplatzturnier in Hilton Head Island, heute ist das Charleston. Ich erinnere mich noch, wie ich auf einem grünen Sofa auf dem Platz sass und mir eine Art lebensgrosse Skulptur aus Tennisbällen, die eine grosse 1 bildeten, übergeben wurde. Ich gewann dann auch dieses Turnier.

Wie fühlten sie sich als so erfolgreicher Teenager?

Im Moment ist das Gefühl sehr weit weg – nicht nur wegen den vielen Jahren, die dazwischen liegen. Ich habe Mühe, Stolz oder Enttäuschung über Siege und Niederlagen zu beschreiben, während weltweit so viele Menschen von Unglück und Elend betroffen sind. Natürlich war ich damals stolz. Allerdings eher auf meine Ungeschlagenheit und vor allem darauf, dass ich Monika Seles innert zwei Wochen zweimal im Final geschlagen hatte. In Miami deutlich, auf Sand nur noch knapp. Das waren fünf harte, aber erfolgreiche Wochen in Folge – und ich hatte es über die Ziellinie geschafft.

Und danach?

Hatte ich einen Reitunfall – bei einem Sturz vom Pferd verletzte ich mir das Knie und ich wurde arthroskopisch operiert. Mein Comeback gab ich erst wieder in Roland Garros. Dort verlor ich im Final gegen Iva Majoli – meine erste Niederlage als Nummer 1.

Der Hype um ihre Person war sicher ungewohnt gross.

Sicher, darauf kann dich niemand vorbereiten. Mein Auftritt in der vollgepackten Saalsporthalle mit 14 war aber noch einschneidender. Damals von 30 Journalisten ausgefragt zu werden, war noch spezieller als mit 16, als ich ein Turnier nach dem anderen gewonnen habe. Aber plötzlich gab es auch Fotoshootings – die fand ich cool und die machte ich wesentlich lieber als Medienkonferenzen zu geben. Mein Englisch war damals auch noch kein Highlight. Ich konnte es zwar schon ordentlich, aber wenn ich etwas Bestimmtes sagen wollte, gab es auch Missverständnisse.

Hat sich am 31. März 97 für die junge Martina alles verändert?

Heutzutage verändert sich vieles mehr, und zwar für die ganze Menschheit! Mein junges Alter war für mich nicht so besonders – ich war immer schon die Kleinste und Jüngste, wuchs in diese Rolle vorher, eigentlich schon als Dreijährige hinein. Früher gab es zudem mehrere sogenannte «Wunderkinder» wie ich, damals durften wir ja schon früher und mehr Turniere bei den Grossen spielen. Ich eiferte immer Jennifer Capriati nach, sie war auch sehr jung schon etabliert, wurde mit 16 Olympiasiegerin. Ich wollte immer ihre Rekorde schlagen. Und dann kamen die jungen Williams-Schwestern – wir alle standen in ständigem Konkurrenzkampf. Ich war nie sicher, lange die Nummer 1 zu sein, denn Williams und Co haben auch nicht aufgehört zu trainieren und mich besiegen zu wollen.

Sie wurden plötzlich zur Gejagten...

Das war schon speziell, ich hatte keine Zeit, mich auf den Lorbeeren auszuruhen. Dafür hat auch meine Mutter gesorgt. Ich musste weiter hart trainieren, viel spielen, dazwischen essen, schlafen, das wars. Aber genau das brauchte es damals – ich bin ihr heute dankbar dafür. Zudem war es in Trübbach nicht so schwer, Ruhe zu finden. Ich hatte abseits im Rheintal einen unglaublichen Luxus: Vor der Haustüre herrschten super Trainingsbedingungen, und um die Ecke konnte ich den Rhein entlang reiten.

In Trübbach gabs damals auch einen grossen Empfang...

Ja, sie organisierten eine herzige Veranstaltung für mich. Ich wurde mit einem pink Cadillac durch die Dörfer der Gemeinde Wartau gefahren, viele Menschen standen an der Strasse und freuten sich. Bei der Ausfahrt stand eine Ortstafel «Willkommen Martina Hingis, Nummer 1 der Tenniswelt».

Wie hat sie das Leben auf dem Tennisthron geprägt?

Es hat mich nicht zu einem anderen Menschen gemacht. Das ist auch gut so – das ist schliesslich zweitrangig, wenn es um Leben und Tod geht, wie wir heute sehen. Aber es hat mir dennoch viele Türen in der ganzen Welt geöffnet. Einmal Weltnummer 1 zu sein, bedeutet Wertschätzung, die Leute haben Respekt davor. So geht es mir ja auch: Wenn ich Mohammed Ali, Lindsay Vonn, Bernhard Russi oder anderen Menschen, die Grosses vollbracht haben, , habe ich auch Hochachtung. Aber eben, was ist das alles in der heutigen Zeit schon wert?

Was halten Sie als Expertin vom derzeitigen Streit um den neuen French-Open-Termin im September?

Ich denke, jeder muss die Chance packen, die sich ergibt. Wir sind bislang verwöhnt im Sport – nun müssen auch wir uns einmal der brutalen wirtschaftlichen Realität stellen. Der Laver Cup und andere Turniere werden wohl leider das Nachsehen haben, denn es werden jetzt Prioritäten gesetzt. Ich denke, das wird auch der Laver Cup, der halt letztlich ein Exhibition-Turnier unter zwölf Spielern ist, verstehen.

Und doch beschweren sich manche Athleten.

Die Spieler sollten froh sein, wieder spielen zu können, sobald sich die Lage hoffentlich wieder beruhigt hat. Auch finanziell ist das für viele wichtig. Das Wohl der Menschheit ist jetzt einfach vorrangig. Manchmal braucht es einen Ruck, um wieder zurück auf den Boden zu kommen. Aber ich glaube, die meisten Tennisspieler sehen das ein. Sie sind flexibler als andere Sportler.

Wie meinen Sie das?

Tennisspieler sind anpassungsfähig. Sie leben ja rund ums Jahr in flexibler Planung. Verlieren sie früh, sind sie nur kurz an einem Turnier und müssen ihren Kalender anpassen. Sie wechseln von Rasen- oder Hartcourts auf Sandplätze, spielen morgens oder nachts, reisen von der Wärme in die Kälte, von der Höhe ans Meer, spielen Indoor oder Outdoor.

Ist die Verschiebung der Spiele in Tokio für andere Olympioniken schlimmer?

Für manche bestimmt. Aber solange sie gesund sind, dürfen die Athleten jetzt nicht verzweifeln, sie haben nicht umsonst trainiert, es ist nichts verloren. Die Verschiebung um ein Jahr ist verständlich und sie ist besser für diejenigen, die nur wenige Events im Jahr haben und sich für den grossen Moment, der in manchen Sportarten schon nach zehn Sekunden vorbei ist, wieder aufbauen müssen.

Auf welche Einsätze müssen Sie derzeit verzichten?

Ich wäre wieder beim Fed Cup gewesen. Es wird auch kein Legendenturnier in Paris geben und verschoben wurde auch der Interclub, für den wir in der Mannschaft schon fleissig einmal die Woche trainiert haben. Und ich natürlich trainiere ich jetzt keine Kinder in der Schule meiner Mutter. Viel wichtiger ist im Moment, sich selbst und andere zu schützen – wir haben ja alle auch ältere Menschen im Umfeld. Jetzt muss man versuchen, im kleineren Rahmen kreativ zu bleiben.

Wie gestalten Sie und Ihre Familie den Alltag in der Corona-Zeit?

Mittlerweile haben wir uns sozusagen in Quarantäne gesetzt. Wir sind daheim in Zug, meine einjährige Tochter Lia und ich haben unseren eigenen Tagesablauf. Wir gehen um den Block spazieren, meist sitzt sie im Tragesack, ein paar Schritte kann sie auch schon selber laufen. Das sind derzeit unsere kleinen Freuden. Ab und an gehen wir einkaufen, wir lesen, kochen, fernsehen – viel mehr machen wir nicht. Ich reite auch meine drei Pferde nicht mehr. Ich dürfte das noch machen, aber ich verzichte lieber ­– im Spital brauchen sie jetzt nicht auch noch Leute, die vom Ross fallen. Ich bekomme ja durch meinen Harry mit, was dort gerade abläuft. Die Lage spitzt sich – wie überall – auch dort zu.

Er ist Orthopäde, hat er derzeit viel zu tun?

Für ihn hat sich vieles verändert, im Spital wurde umstrukturiert und auf Notfallbetrieb umgestellt. Jeden Tag werden neue Corona-Fälle eingeliefert. Harry ist nach wie vor für seine Abteilung zuständig, wäre aber bereit, auch für Corona-Patienten einzuspringen und anderen Ärzten den Rücken zu stärken.

Haben Sie einen Buch- oder TV-Tipp für unsere Leserinnen und Leser?

Meine Lieblingsserie auf Netflix ist «Blacklist». Und für Kinder empfehle ich Paw Patrol oder die Gute-Nacht-Geschichte. Ich lese eher Magazine, News in den Zeitungen – oder ich schaue BLICK-TV. Damit ist man immer auf dem Laufenden, was gerade in diesen Zeiten gut ist. Ich würde mir allerdings mehr wünschen, dass neben den vielen Negativ-Nachrichten auch Positives berichtet würde. Zum Beispiel über alte Menschen, die wieder geheilt sind.


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