Dem in den 90er-Jahren verstorbenen englischen Schriftsteller Graham Greene werden die Worte in den Mund gelegt: «Rivalität ist bis zu einem gewissen Grad eine gesunde Sache.» Dieses Mass des gewissen Grads haben Roger Federer (37) und Rafael Nadal (33) in ihrer langen Karriere nie überschritten. Ihre Rivalität hat den Tennissport in den letzten 15 Jahren in einer gesunden Art und Weise geprägt. Heute geht das Duell im Wimbledon-Halbfinal in die 40. Austragung.
Rund um die beiden erfolgreichsten männlichen Spieler der Geschichte kocht regelmässig die Frage nach dem grössten aller Zeiten hoch. Legende John McEnroe, siebenfacher Grand-Slam-Champion, glaubt, dass Roger in dieser Beziehung die Nase vorn hat. Auch wenn Nadal mit seinen 18 Major-Titeln Rekord-Champion Federer (20 Titel) im Nacken sitzt. Der 60-Jährige, der sich einst mit Björn Borg eine ähnliche, aber kürzere Rivalität lieferte, ist in Wimbledon als BBC-Kommentator im Einsatz. McEnroe sagt diese Woche: «Die Konstanz ist der Grund, weshalb Federer gegenüber Rafa den Vorteil hat. Er setzt sich konsequent durch und stösst bei den Majors weit vor.» Federer hält beispielsweise den Rekord an Grand-Slam-Halbfinals (45), deutlich mehr als Nadal (32).
Vor elf Jahren besiegte Nadal Federer in seinem Reich
So weit die Meinungen nach dem Grössten aller Zeiten differenzieren können, in einem Punkt sind sich alle Tennis-Experten und -Fans einig: Ohne Roger und Rafa wäre der Sport um viele Emotionen ärmer gewesen.
Sie lieferten sich unerbittliche Matches, darunter neun Grand-Slam-Finals. Wie vor elf Jahren in Wimbledon, als Nadal die Herrschaft Federers in seinem Reich beendete. Jenes epische Spiel über fast fünf Stunden und fünf Sätze war später Stoff genug für ein Buch und eine TV-Dokumentation: «Geniestreiche». Damals liess Nadal die Rekordserie von Rasensiegen Federers nach 65 Partien in Folge reissen. Für den Maestro war es ein einschneidendes Erlebnis. In den Tagen nach der Niederlage war Federer am Boden zerstört, suchte auf Korsika seine Ruhe und hatte wenig Lust, überhaupt sein Zimmer zu verlassen.
Trotz aller sportlicher Rivalität verstehen sich Nadal und Federer auch neben dem Platz gut. Sie begegnen sich mit viel Respekt – und mit Leidenschaft. Ihre Passion fürs Tennis ist ihr gemeinsamer Antrieb. Jon Wertheim, Autor von «Geniestreiche», sagt in der «New York Times»: «Ich denke, es ist kein Zufall, dass beide in diesem fortgeschrittenen Alter noch spielen. Ihre lebendige, atemberaubende Rivalität verlängert beide Karrieren.»
Seit der letzten Begegnung zwischen den Superstars in Wimbledon ist viel Zeit verstrichen. Vor allem bei Federer hat sich das Leben stark verändert, er ist mittlerweile verheiratet und vierfacher Papi. Das Wohl anderer Kinder liegt ihm und Nadal am Herzen. 2010 spielten sie das erste «Match for Africa» gemeinsam zugunsten von Federers Stiftung. Nächsten Februar geht mit der Neuauflage in Südafrika, erneut gegen Nadal, ein langer Wunsch Rogers in Erfüllung. Dass Nadal zusagte, ist ein Zeichen der Wertschätzung für ihn.
Jedes Duell könnte das letzte gewesen sein
Wie oft sich Roger und Rafa noch persönlich auf dem Platz in einem Ernstkampf begegnen, weiss niemand. In der jetzigen Phase ihrer Karrieren könnte es immer das letzte Mal gewesen sein. Darum heisst es heute, den Moment im Wimbledon-Halbfinal einfach zu geniessen. Auch wenn es für einmal noch nicht um einen Titel geht.
Denn ein Spielverderber existiert noch: Novak Djokovic. Für McEnroe steht fest, dass weder Federer noch Nadal am Sonntag das Turnier gewinnen werden. «Ich wähle immer noch Novak als Favoriten. Ich glaube nicht, dass sich irgendetwas verändert hat.»
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