Die Fahrt zur Adresse «121 Claxton Grove, Barons Court» ist normal für London: nichts fährt. Autokolonnen quälen sich durch die Strassen. Das Ziel liegt in Hammersmith, dem nächsten an Wimbledon grenzenden Vorort Londons. Nur schon für die sieben Kilometer braucht es eine halbe Stunde!
Das ist der Grund, warum die meisten Wimbledon-Teilnehmer in Privathäusern wohnen, mit denen sich die Vermieter mindestens ihre Sommerferien finanzieren. Im Südwesten Londons gibt es kaum Hotels. Die befinden sich in der Grossstadt, sind sündhaft teuer – und das mühsame Pendeln tut sich kein Star an.
Auch nicht Xenia Knoll, die zwar eine talentierte, mit links spielende Doppelspezialistin ist, aber bei weitem kein Star. Die 25-jährige Lysserin öffnet die Haustüre zu ihrem Reich. Von aussen ist es eines dieser typisch schmalen, in die Jahre gekommenen Reihenhäuschen, die sich nur durch den Anstrich von Haustür und Fassade unterscheiden. «Aber drinnen ist es mega gross und modern», schwärmt Xenia.
Bevor sie die steile Treppe drei Stockwerke hoch durch die vielen Zimmer führt, beendet sie ihr Frühstück in der offenen Wohnküche. Ihr Trainer Patrick Herrmann serviert Toast, Müsli und frische Erdbeeren, die er von der Tennisanlage mitgenommen hat. Am Tisch sitzen auch Xenias Vater Roger und die 18-jährige Schwester Jelena – eine Golferin, die an der Sportschule Feusi bald die Matura machen will. Zu Hause geblieben sind Bruder Nikola (22) und Mama Bojana, wegen der die Knoll-Kinder serbische Vornamen haben. Scherzhaft nennt sich Xenia auf Instagram und Snapchat «knollic».
In den ersten Tagen wohnten noch zwei Freunde im Haus, darunter auch Xenias Privatsponsor. Sie habe Glück, jemanden zu kennen, der ihr bei der teuren Tenniskarriere hilft. An Grand-Slam-Turnieren gibt es zwar eine Wohnpauschale, welche die rund 450 Pfund pro Nacht für die Unterkunft teilweise abdeckt. Aber an allen kleinen Turnieren dieser Welt muss sie selbst für Flug und Logis aufkommen.
Rund 230'000 Franken Preisgeld hat Xenia bisher verdient, dieses Jahr etwa 30'000. «Ohne Sponsor reichts nirgends hin», sagt sie und ist nur schon froh, dass sie Kleider und Rackets von Ausrüstern bekommt. Sie weiss, dass sie Lichtjahre von Federer entfernt ist, der hier schon drei riesige Villen in Fussnähe der Anlage für seine Entourage gemietet hat – und im Garten zum Grillieren mitgebrachter Schweizer Bratwürste einlädt.
Selfie mit Federer im Sack
Xenia hat einen kleinen Garten mit Bistrotischchen. Hinter dem Zaun stehen Grabsteine und Kreuze – der Friedhof grenzt unmittelbar an ihr Grundstück. «Dafür ist es hier schön ruhig», sind sich die Knolls lachend einig. Und bekennen neidlos ihre Verehrung für Roger: «Auf der Wimbledon-Terrasse machten wir ein Foto mit ihm, als er im feinen Jacket gekleidet war!»
Für solche Erlebnisse lohnt sich das Abenteuer Wimbledon. Sportlich weniger: Mit Anna Smith hat die Nummer 67 der Doppel-Rangliste zwar eine ideale Partnerin gefunden, aber nach dem Out lässt sich die Engländerin nun beide Knie operieren und fällt für den Rest des Jahres aus. Für das baldige Heimturnier in Gstaad hat die Seeländerin in Veronika Kudermetowa (Russ) einen guten Ersatz gefunden. «Stand heute wären wir sogar an 1 gesetzt», so Xenia, die in Gstaad auf eine Wildcard im Einzel hofft.
In Wimbledon scheidet sie mit Philipp Oswald (Ö) auch im Mixed aus – 4:6, 4:6 ist ein ehrbares Resultat gegen das Weltklasse-Duo Mattek-Sands/Bryan. «Schade», sagt Xenia, die jetzt ihre Koffer packt und ihr Häuschen verlässt, «aber es war einmalig!»