«Ganz an der Spitze.» So kurz und bündig beantwortet Milos Raonic (26) die Frage nach dem Platz von Roger Federer (35) in der Tennisgeschichte. Der Respekt vor seinem heutigen Viertelfinal-Gegner in Wimbledon ist zweifellos da. Obwohl der Kanadier guten Grund hätte, dem Duell optimistisch entgegen zu blicken.
Im letzten Jahr schlägt er Federer im Halbfinal in fünf Sätzen. Es ist der erste Sieg Raonics an einem Grand Slam gegen einen der Big 4 (Federer, Nadal, Djokovic, Murray). Ein Meilenstein in der Karriere, auf den er lange gewartet hat. Er gehört zu jener Generation um Nishikori oder auch Dimitrov, die den Durchbruch an die Spitze nie richtig geschafft hat. Seit Jahren ist er aber ein konstanter Top-10-Spieler.
«Es war schwierig für meine Eltern, aber sie zeigten es nie»
Dabei hegt Raonic seit seiner Kindheit grosse Ambitionen nach oben. Seine Eltern verlassen die Heimat Montenegro 1994 mit dem dreijährigen Milos und seinen beiden Geschwistern in den Wirren der Balkan-Kriege Richtung Kanada. Die Familie soll dort bessere Möglichkeiten haben.
Im «Guardian» blickt Raonic zurück: «Es war schwierig für meine Eltern, aber sie zeigten es nie. Alles war darauf ausgerichtet, uns Chancen zu geben. Und für mich war das das Tennis.» Um Geld zu sparen, trainiert er als Junior mit seinem Vater teilweise von 6 bis 8 Uhr oder von 21 bis 23 Uhr.
Die Bereitschaft, alles für eine erfolgreiche Karriere zu geben, ist beim ehrgeizigen Raonic gross. Vielleicht sogar grösser als sein Talent, verglichen mit anderen Profis. Der wahre Musterschüler lässt nichts unversucht. Etwas, das Federer beeindruckt. «Ich mag an ihm, dass er so fokussiert ist. Im Training und im Match», sagt Roger. Raonic hat schon mit neun Trainern gearbeitet, hält sich ausserhalb des Courts mit Meditation fit.
Federer-Trainer coachte Raonic zweieinhalb Jahre
Der servicestarke, aber verletzungsanfällige Raonic hat in den letzten Monaten und Jahren akribisch an sich gefeilt. Er volliert besser, verteidigt sich besser, und auch die Vorhand ist mittlerweile zur Waffe geworden. Federer muss sich deshalb in seinem 100. Wimbledon-Einzel-Match warm anziehen, auch wenn er bisher ohne Satzverlust geblieben ist.
In der Vorbereitung wird sich Roger gut von seinem Coach Ivan Ljubicic beraten lassen. Dieser kennt Raonic bestens, war er doch vor dem Engagement bei Federer Ende Dezember 2015 zuvor zweieinhalb Jahre dessen Trainer.