Stan Wawrinka war vor drei Wochen der Finalist der French Open. Der Mann der grossen Matches weiss, wie man Majors gewinnt, hat es schon dreimal bewiesen. Nur Wimbledon fehlt zum Karriere-Slam. Jetzt wäre die Gelegenheit da gewesen. Und die Nummer 1 – von der er früher nicht einmal zu träumen gewagt hätte – lag erst noch in Reichweite.
In Reichweite? Nein, eben nicht. Denn die Auftakt-Niederlage des an 5. Stelle gesetzten Romands gegen die 21-jährige Nummer 49 der Welt, Daniil Medwedew, zeigt einmal mehr, dass der Sieg eines Grand-Slam-Turniers am Starttag meilenweit entfernt liegt. Wie klein die Margen unter den Top-100-Spielern sind. Und dass in der 14-tägigen Odyssee schrecklich viel passieren kann.
Ein talentierter Gegner reicht fürs Desaster. Es kommt nicht selten vor, dass der Spielverderber dann in der nächsten Runde verliert – ausgepowert von den Emotionen, dem Jubel der Fans, dem neuen Ruhm und dem überraschenden Geldsegen. Aber ein guter Tag reicht, um den Top-Stars den Garaus zu machen.
Das kam schon in den besten Familien vor – bei Federers (Stichwort Sergej Stachowski), Nadals (Lukas Rosol), Djokovics (Denis Istomin) oder Murrays (Mischa Zverev). Und jetzt muss es nach langer Zeit auch «Grand-Slam-Stan» Wawrinka mal wieder erfahren. Auf Rasen geht es erfahrungsgemäss noch schneller. So begünstigend die Unterlage für mutige Herausforderer ist, so unberechenbar und gefährlich ist sie für den Gejagten.
Erst recht, wenn dieser bereits angeschlagen ist, wie Wawrinka mit seinen Knieproblemen. Stan tut deshalb gut daran, nicht lange seine Wunden zu lecken, sondern die Verletzung in Ruhe heilen zu lassen. Damit er in New York als Titelverteidiger wieder frisch angreifen und sein Revier verteidigen kann. Denn auch das US Open wird wieder eine 14-tägige Odyssee.