Ein herrlicher Frühsommer-Morgen in Paris. Auf der Anlage von Roland Garros herrscht die Ruhe vor dem Zuschaueransturm. Die Tore sind noch geschlossen. Auf den meisten Plätzen ist aber schon Hochbetrieb. Die ersten Spieler beginnen sich aufzuwärmen und zu trainieren.
Kurz vor 9 Uhr fängt auf Nebenplatz 14 deshalb auch der Arbeitstag von Thibault Venturino an. US-Star John Isner hat den 28-jährigen Franzosen als Sparringpartner für eine halbe Stunde gebucht.
Kaum ist die Zeit um, packt Venturino seine Racket-Tasche. Viel Zeit bleibt ihm nicht. Schon um 10.15 Uhr muss er auf dem Centre Court stehen, der fast am anderen Ende der Anlage ist.
Stan Wawrinka nimmt vor seinem Zweitrunden-Match gegen Dolgopolov die Dienste Venturinos in Anspruch. 30 Minuten geht er auf alle Wünsche Stans ein, bringt die Bälle so, wie es der Schweizer gern hat.
Am Ende der Session gibts einen Handschlag. Ein paar freundliche Worte. Job erledigt. Die Chancen sind gross, dass Wawrinka Venturino beim nächsten Mal wieder bucht.
«Es gibt viele Stars, die den gleichen Sparringpartner mehrmals nehmen. Das ist wie ein Ritual für sie, wenn sie gewonnen haben», sagt Venturino. Seit drei Jahren stellt sich der gebürtige Pariser jeweils bei Roland Garros und im Oktober beim Hallenturnier von Paris-Bercy als Sparringpartner zur Verfügung.
Seine eigene Profikarriere ist nie ganz in Schwung gekommen. Letzten Juli schaffte er es als Bestmarke auf ATP-Rang 850. Nach verschiedenen Verletzungen ist Venturino zurzeit noch die Nummer 1644.
Ein Spieler in seiner Stärkeklasse kommt im Normalfall nie mit den Stars in Kontakt. Dank dem Einsatz als Sparringpartner erlebt er spezielle Begegnungen mit den Grössten seines Fachs. Djokovic, Federer, Nadal, Wawrinka, Berdych, Nishikori, Dimitrov usw. Venturino hat schon mit allen mehrmals gespielt.
Wie fühlt es sich an, wenn das «Who is who» auf der anderen Netzseite steht? «Es ist wie ein Kindheitstraum, der wahr wird. Mit den besten Spielern der Gegenwart zu trainieren, ist ein unglaubliches Privileg», sagt Thibault.
Am Anfang einer Session sei er immer etwas angespannt, beeindruckt von der Aura der Stars. Das löse sich aber schnell jeweils. «Wichtig ist, dass ich bis zum Ende konzentriert bei der Sache bin», sagt er. Zu seinen Lieblingen gehören Federer und Nadal.
«Aber alle sind im Prinzip nett, haben einen ähnlichen Charakter», sagt Venturino. Er will keinem zu nahe treten. Trotzdem gibt’s Unterschiede. «Rafa spricht zum Beispiel nicht viel. Er ist während des Sparrings wie in einer gedanklichen Blase, fokussiert. Roger macht auch mal einen Witz oder albert mit seinem Team herum», erklärt er.
Die Aufgabe als einer der sechs Sparringpartner in Roland Garros bringt Venturino einen willkommenen finanziellen Zustupf an seinen Lebensunterhalt. Pro Tag bekommt er 120 Euro vom Turnier-OK bezahlt. Egal, ob er eine halbe Stunde oder fünf Stunden reserviert wird.
Er ist der einzige, der die ganzen drei Turnierwochen inklusive Qualifikation Racket bei Fuss steht. Allerdings ist die Präsenzzeit von etwa acht Uhr morgens bis etwa 19 Uhr abends ziemlich lang. Seinen Einsatzplan des nächsten Tages erfährt er immer erst so gegen 22 Uhr, wenn Nadal, Djokovic und Co. ihre Trainings reserviert haben.
«Und sonst musst du tagsüber immer bereit sein. Das Telefon kann jederzeit klingeln und du musst kurzfristig innert paar Minuten auf einem Platz stehen», sagt Venturino. Flexibilität ist als Sparringpartner das A und O. Besonders auch, wenns von einem Spieler zu einer Spielerin oder umgekehrt wechselt. «Sparring mit Frauen und Männern ist nicht vergleichbar. Die Frauen spielen in den Schlägen mit weniger Effet, sind aber auch konzentrierter auf ihr Spiel», sagt Venturino. Sagts und macht sich auf den Weg. Auf Court 13 wartet in zehn Minuten Eugenie Bouchard.