Der Countdown zum Australian-Open-Final, der als einer der bedeutendsten der Tennis-Geschichte eingestuft wird, läuft. Federer gegen Nadal, der 17-fache gegen den 14-fachen Grand-Slam-Sieger – sechs Jahre nach ihrem letzten Major-Final.
Ist Roger nervös? Es sieht zumindest nicht so aus. 90 Minuten bevor er in der Rod Laver Arena einläuft, sitzt er in der am letzten Tag des Turniers völlig verwaisten Players Lounge und hält einen Schwatz – mit seinem Vorbild Rod Laver. Inspiration hat ihm der 78-jährige Herr sicher geben können. Doch welche Worte gab er dem 35-jährigen zweitältesten Grand-Slam-Finalisten mit auf den Weg?
So ruhig es bei den Spielern in den letzten Minuten vor dem Schocker abgeht, so hektisch ist es draussen in und ums Stadion. Bei den Glücklichen, die ein Ticket haben, und bei den Zweitklassigen, die den Match für 30 australische Dollar in der Margaret Court Arena auf Video-Leinwand sehen können.
Aufregung ist unter den Fans zu spüren, die sich auch heute teilweise wieder viel haben einfallen lassen. In schweizerischem Rot-Weiss-Rot, spanischem Rot-Gelb-Rot bis zur Mirka-Farbe Rosarot. Die in Australien wohnhaften Briten Michael und Graham sind am originellsten – sie tragen den berühmten Tiger-Pulli von Federers Frau. Natürlich nicht von Gucci, «das können wir uns nicht leisten.» Sie haben grüne Kragen an die rosa Sweatshirts genäht und Tiger darauf geklebt....
Und los gehts, das Duell der beiden Tennis-Giganten. Rafa und Roger lassen den Tiger sofort raus. Die beiden jagen sich und sagenhafte Ballwechel jagen sich. Bei 3:3 fällt das erste Break – für Roger, der dem Lärm nach das Publikum mehrheitlich wieder auf seiner Seite hat. Nach 34 Minuten legt der 35-jährige Schweizer vor: 6:4 (13:5 Winner, 7:6 Fehler).
Bei 1:0-Führung kommt der 30-jährige Nadal, der bislang 23 von 34 Duellen gegen Federer für sich entscheiden konnte, zu seinen ersten Breakbällen. Er nutzt den zweiten, wehrt darauf selbst zwei Breakbälle ab und durchbricht Federers Service gleich noch einmal – 0:4. Was ist los mit Rogers Vorhand? Oft trifft er sie am Rahmen, häufig geht sie ins Netz. Dafür ist seine Rückhand stabil, bei Returns sogar meist brillant. Der Schweizer blickte schon selbstbewusster drein. Ein Break holt er sich zurück, mehr geht in dem Satz nicht. 3:6 nach 76 Minuten (8:7 Winner, 15:4 Fehler).
Zum ersten Mal beginnt Roger einen Satz mit dem Service. Und es soll ein entscheidendes Game werden. Trotz einer 40:0-Führung muss er drei Breakbälle abwehren. Das macht er – alle drei mit einem Ass. Dann breakt er stattdessen den Spanier! Die Phase ist entscheidend für sein Selbstbewusstsein, die geballte Faust kommt immer öfter. Danach spielt er bestechend! Noch ein Break zum 5:1 – der Durchgang ist gelaufen, ganz im Sinne Federers: 6:1 (18:4 Winner, 13:6 Fehler).
Noch ein Satz fehlt zum 5. Melbourne- und 18. Grand-Slam-Titel! Bis zum erst dritten Major-Erfolg (nach zwei Wimbledon-Siegen) gegen den zähen Mallorquiner, der ihn auf den grossen Tennisbühnen schon neunmal geschlagen hat. Die Sensation liegt in der Luft, die Anspannung ist schon beim Zuschauen unerträglich. Was geht jetzt nur in Rogers Kopf ab?
Scheinbar zuviel – er kassiert ein Break zum 1:3, das er nicht mehr aufholen kann. 3:6 (11:6 Winner, 13:6 Fehler) – insgesamt sind nun über zweieinhalb Stunden gespielt.
Im 5. Satz eines Australian-Open-Finals sahen sich die beiden schon einmal: 2009, als Nadal seinen einzigen Titel hier holte... Auch damals hatte der Spanier schon einen fünfstündigen Halbfinal (gegen Fernando Verdasco) in den Knochen. Wer hat jetzt noch mehr Power im Tank?
Die Bude kocht. Was folgt ist Dramatik pur. Rafa, der «Stier von Manacor» auch, steigt gleich entfesselt in den letzten, alles entscheidenden Durchgang. Und breakt! Dann kommt Roger zu zwei Breakbällen – Rafa wehrt ab. Beim 1:2 lässt sich der Baselbieter den rechten Oberschenkel massieren. Wieder hat er Breakbälle, wieder nichts, 1:3. Doch dann schlägt Roger zu, krallt sich Rafas nächstes Aufschlagspiel, gleicht auf 3:3 aus und serviert zu Null zum 4:3.
Seine Frau Mirka, die Trainer Ivan Ljubicic und Severin Lüthi springen bei jeden Punkt auf, pushen ihren Helden an. Jetzt kocht die Bude über. Ekstase, als Roger seinen 5. Breakball zum 5:3 verwertet und zum Triumph servieren kann. Er braucht zwei Matchbälle, aber nach 3 Stunden und 38 Minuten ist es soweit: Spiel, Satz und Titel für Roger Federer!
Er hat seinen 18. Grand-Slam-Titel in der Tasche. Und hält sich seinen Rivalen auf der Jagd nach dem ewigen Rekord auf Distanz. Für die vielen Federer-Verehrer auf dieser Welt bleibt er ohnehin der Grösste. Und auch Rod Laver applaudiert. Zufrieden, dass er das vielleicht grösste und wichtigste Match in der seiner Karriere seines Lieblingsspielers aus der Ehren-Loge gesehen hat.