Quasi aus dem nichts redet Alexander Zverev um den French-Open-Titel mit. Klar, gehörte er als Weltnummer drei zum erweiterten Favoritenkreis. Doch gross von ihm geredet wurde nicht – bis er Shootingstar Carlos Alcaraz (ATP 6) aus dem Turnier gekegelt hat. Nun könnte er der erst dritte Spieler überhaupt sein, der Rafael Nadal in Paris bezwingt (ab 14:45 Uhr im Liveticker).
Alcaraz hier, Nadal da und dort noch etwas Djokovic. Das waren die grossen Gesprächsthemen im Vorfeld von Roland Garros. Auch während des Turniers dreht sich vieles um dieses Trio. Besonders den Wirbel rund um Alcaraz ist etwas übertrieben, wenn es nach dem Deutschen geht.
«Klar, ist er der neue Superstar, das neue Gesicht des Tennis und es ist auch schön, was Neues zu sehen.» Die Ansetzungen auf dem Court Philippe-Chatrier waren 25-Jährigen aber ein Dorn im Auge. «Ich glaube, es ist schon sehr offensichtlich, in welche Richtung es hier geht und wen das Turnier weiterkommen sehen will.»
Zverev verdienter Halbfinalist
Nun steht aber Sascha Zverev und nicht Carlos Alcaraz im Halbfinal – und das verdient. Was der Hamburger gegen den 19-Jährigen gezeigt hat, war grosse Klasse. Er hat Alcaraz wie einen … 19-Jährigen wirken lassen und so zum ersten Mal gegen einen Top-10-Spieler bei einem Grand Slam gewonnen. Zverev stuft es als seine bisher beste Partie bei einem Major ein.
Es ist eine kleine Renaissance, die Zverev in Paris erlebt. Letztes Jahr sah er sich noch mit den Gewaltvorwürfen seiner Ex-Freundin konfrontiert. Im Februar kam sein Komplett-Ausraster in Acapulco dazu, wonach er disqualifiziert wurde.
Einfach zu verarbeiten, war es für ihn nicht. Bei den French Open enthüllt er, dass er «zu kämpfen hatte und deshalb nicht glücklich war. Ich war auch manchmal ziemlich deprimiert.» Es folgt eine sportliche Baisse.
Nach den glücklosen Turnieren von Indian Wells und Miami erreichte er bei seinem Heimturnier von Monte Carlo immerhin den Halbfinal. In München sass Zverev mit Tränen in den Augen an der PK nach seinem Erstrunden-Aus gegen den aufstrebenden Holger Rune (ATP 40) und entschuldigte sich für seine Leistung.
Schwierige zweite Runde
Seitdem ist es für den 19-fachen Turniersieger wieder bergauf gegangen. Vor Roland Garros stand er im Final von Madrid und Halbfinal von Rom. Bei den French Open ist er aber bereits in der zweiten Runde ins Schleudern geraten. Gegen Sebastian Baez (ATP 36) muss er einen Matchball abwehren, erreicht mit Ach und Krach die nächste Runde (2:6, 4:6, 6:1, 6:2, 7:5).
Mit zunehmender Dauer werden die Gegner besser – Zverev aber auch. Besonders seine Körpersprache und Ruhe gegen Alcaraz sind bezeichnend und eher ungewohnt bei ihm. «Viele haben mich irgendwie abgeschrieben, aber ich bin immer noch die Nummer drei der Welt», sagt er an der PK.
Auf den Spuren von Söderling und Djokovic?
Nach dem Wunderkind ist aber vor dem Sandkönig. In neun Duellen konnte Zverev drei gewinnen. Bei einem Grand Slam ist er aber bisher ohne Erfolg gegen Nadal. Kommt dazu, dass der Mallorquiner auf der roten Asche von Paris unschlagbar wirkt. Bloss Robin Söderling (2009) und Novak Djokovic (2015, 2021) konnten ihn jemals bezwingen. Zverev sagte selbst, es wirke, als würde Nadal in Roland Garros nochmals 30 Prozent besser sein.
Allein dieser Fakt wird für Zverev eine Extra-Motivation darstellen. Doch es liegt noch mehr drin. Sollte er in Paris seinen ersten Grand-Slam-Sieg erreichen, avanciert er zur neuen Nummer 1 der Welt.