Tennis-Legende Rosset über Wawrinkas Höhenflug
Die Versöhnung mit seiner Familie macht Stan stark

Tennis-Legende Marc Rosset sagt, warum Stan so stark ist – und warnt vor Murray.
Publiziert: 09.06.2017 um 08:38 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:13 Uhr
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In Genf hat Stan zum ersten Mal ein Turnier vor den Augen seines Töchterchens gewonnen.
Foto: SALVATORE DI NOLFI
Cécile Klotzbach

BLICK: Marc Rosset, wie finden Sie Stan Wawrinkas Form?
Marc Rosset: Was mich am meisten beeindruckt hat, ist sein enorm hohes Niveau, das er seit der ersten Runde hier zeigt. Wie er gegen Cilic spielte, ist nicht der Massstab. Mich hat er unheimlich gegen Dolgopolow beeindruckt. Das war ein fantastischer Match!

Hat sich Stan dieses Vertrauen nur an einem Turnier in Genf geholt?
Vielleicht. Aber für Stan war Genf vor allem auch eine sehr emotionale Geschichte. Bei der Zeremonie konnte man das seiner Stimme anhören, seiner Körpersprache ansehen.

Weil er sich trotz der Trennung mit Ilham versöhnt hat und in Genf seine ganze Familie da war?
Sicher, es war das erste Mal, dass er ein Turnier vor seiner Tochter Alexia gewonnen hat. Das war sehr emotional für ihn. Das gibt ihm zusätzliche Kraft.

Er wird frisch sein. Ist das ein Faktor?
Absolut, das ist ein Vorteil. Aber, wenn du die Jungs im Halbfinal siehst: Das sind keine Nasenbohrer. Gegen Murray wird es sicher komplizierter.

Wie stehen Stans Chancen gegen Murray?
Letztes Jahr waren wir an genau dem gleichen Punkt. Wir dachten alle, dass er gegen Stan auf Sand keine Chance habe. Und dann? Das war eine taktische Demonstration.

Was macht Murray denn so gefährlich?
Das besondere an ihm ist, dass er die Gegner von ihrem Level hinunterholt. Es ist nicht er, der im Match immer besser wird. Er ist es, der die anderen schlechter macht. Das Beste, was Stan machen kann, ist eine Kappe tief ins Gesicht ziehen, Murray ausblenden und seinen aggressiven Spielplan unbeirrt durchziehen. Dann wird er gewinnen. Sobald er zögerlich wird und Murrays Rhythmus annimmt, ist es vorbei.

Wird das Publikum Stan helfen?
Er spricht französisch, das hilft natürlich. Doch das Publikum hilft vorallem dem, der zurück liegt, weil es mehr Tennis sehen will. Auf dem Philipp Chatrier ist das sowieso etwas anders als auf dem Suzanne Lenglen. Dort sitzen der Président und die geladenen Gäste in den Logen. Es geht ein wenig gesetzter zu und her.

Was sagen Sie zu Djokovics Niedergang?
Das ist nur noch ein halber Djokovic. Er wirkt dermassen verloren. Bei Federer und Nadal sahen wir, das es schwierig ist, unglaubliche Jahre zu wiederholen, aber ihr Niveau bleibt hoch. Bei Djokovic glaubte ich, es sei ein Durchhänger.

Heute wissen wir: Er ist noch nicht zurück.
Wir wissen alle, er hatte persönliche Probleme. Man spürt, er ist nicht er selbst. Wenn er früher gewann, war er wie in Trance, auf einer Mission. Was mich am meisten beunruhigt, ist sein Gesicht nach Niederlagen. Man hat den Eindruck, als stören sie ihn nicht. Du könntest ihm einen Check über 100‘000 Euro geben und er gibt ihn dir weiter.

Zuviel Liebe und Frieden von Mental-Guru Pepe Imaz?
Es mag für sein Privatleben gut gewesen sein. Aber auf dem Platz geht es nicht um Liebe. Sondern darum, deine Gegner zu schlagen. Ich bin perplex und auch etwas besorgt, ob wir den grossen Djokovic je wieder sehen werden.

Ist Agassi der richtige Coach für ihn oder passte Becker besser?
Vielleicht findet ein Agassi eher die richtigen Worte und kann Novak mit seinen Problemen helfen. Er muss die richtige Balance finden zwischen Lebensfreude und Siegeshunger. Agassi kennt sich aus mit psychologischen Hilfen fürs Gleichgewicht. Du kannst die Bibel lesen oder den Koran, kannst Psychologiebücher lesen – wenn du so genügend Abstand zu den Dingen gewinnst, und dir das hilft, nutze es. Das Problem ist: Wenn du eine Zeit durchmachst, in der du dich verloren fühlst, verstärkt das noch deine Zweifel. Ich weiss nicht, ob Agassi akzeptiert, dass Novak mit einem Mentalcoach arbeiten will. Kein Coach hat Lust so zu arbeiten, wenn der Mentaltrainer die wichtigste Person ist. Wollen sie zusammen Bäume umarmen gehen? 

Schafft Nadal seine «Decima»?
Gegen Thiem wird es eine Schlacht – er hat ihn in Rom geschlagen. Aber dieser Match war ein Weckruf, ein kleiner Elektroschock für Nadal, hat ihn daran erinnert, dass er nicht unschlagbar ist. Er ist schon seit Anfang Jahr sehr stark, nicht erst auf Sand – das hat irgendwie niemand so ernst genommen. 

Hätten Sie gedacht, dass diese French Open ohne Federer wieder zu einem Schweizer Festival werden?
Von Stan bin ich nicht überrascht. Mit Timea Bacsinszky hätte ich mit Blick auf ihr letztes halbes Jahr nicht unbedingt gerechnet. Aber sie gehört zu der Gruppe von Mädchen, die sich vor diesem Turnier sagen mussten: Die Chefin, Serena Williams, ist nicht da, Kerber momentan nicht so gut – das Feld ist offen für uns. Aber ich dachte mir, dass Ostapenko gefährlich werden könnte. Sie ist 20 – da stellt man sich noch keine Fragen, hat vor gar nichts Angst. 

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