Den Boris Becker, wie wir ihn kannten, gibt es nicht mehr. Becker war in den letzten 37 Jahren: Teenager-Sensation in Wimbledon, Grand-Slam-Champion, Frauenheld, Tennis-Coach, Fernsehkommentator. Ein Star, eine Legende. Immer in der Öffentlichkeit, auch in Momenten, die er wohl lieber geheim gehalten hätte. Im Zweifel laut, manchmal peinlich, nie langweilig und trotz aller Eskapaden immer der Boris von allen.
Jetzt verschwindet dieser Mann ins Gefängnis und erlebt zum ersten Mal in seinem Leben, was es heisst, machtlos zu sein. Becker war immer ein Kämpfer. Einer, der in jeder Situation, und schien sie noch so vertrackt, einen Ausweg gefunden hat.
Das wird ihm jetzt nicht mehr gelingen. Hinter Boris wird die Zellentür zuschlagen. Mindestens ein Jahr und drei Monate wird er absitzen müssen, in Wandsworth, einem ziemlich rauen Londoner Gefängnis.
Das ist ein Schock und es wird etwas mit ihm machen. Zum Teil ist es bereits passiert. In den letzten Wochen hat er sich stark verändert und sehr stark abgebaut. Die Situation setzt ihm extrem zu, man sieht es an seiner gebeugten Körperhaltung, an seinem Blick. Er ist stark angeschlagen. Am Tag der Urteilsverkündung war er noch in der Kirche.
Er kann die Schuld nicht mehr abschieben
Natürlich ist es für jeden Menschen hart, ins Gefängnis gehen zu müssen. Für Becker aber vielleicht noch mehr als für die meisten. Ein Mensch wie er, der sich als Weltenbürger sieht, viel reist, unabhängig ist, der alles hatte und sich nie etwas vorschreiben liess, soll 23 Stunden am Tag in einer Zelle sitzen? Ein Mensch wie er, der das Licht der Öffentlichkeit immer auch ein bisschen brauchte, soll bloss eine Stunde am Tag Freigang bekommen und nur zweimal im Monat Besuch?
Wenn man dann wie Becker auch noch ein Verdrängungskünstler ist, in den letzten 15 Jahren seine finanziellen Probleme immer bestritt und die Schuld bei anderen suchte, trifft einen dieser Hammer doppelt hart.
Fehler eingestehen und um Verzeihung bitten
Kommt dazu: Becker ist ein unglaublicher Familienmensch. Er liebt seine Kinder Noah, Amadeus, Anna und Elias über alles, hat eine neue Partnerin, auch zu seinen Ex-Frauen hat er einen guten Draht. Der familiäre Kokon, in den er sich so gerne zurückgezogen hat, wird ihm in den nächsten 15 Monaten fehlen. Er muss jetzt ganz allein einen Weg finden, auch für sich selber die Verantwortung für die Dinge zu übernehmen, die er getan hat. Jetzt kann er die Schuld nicht mehr auf andere abschieben. Niemand hilft ihm, niemand kann ihn da rausholen.
Auch nicht, weil er glaubwürdig Reue und Demut beweisen muss, wenn er, die gefallene Tennis-Legende, seinen Status irgendwann wieder zurückgewinnen will. Ich kann mir schon vorstellen, dass er beim Deutschen Tennis-Bund wieder eine Aufgabe bekommt, oder dass er wieder als Kommentator arbeitet, wo er enorme Stärken hat. Aber nur, wenn er seine Fehler endlich eingesteht und um Verzeihung bittet. In Deutschland sieht man die Leute gerne steigen und wieder fallen – dann will man sie jedoch wieder steigen sehen.
Jetzt ist er machtlos
Es gibt also einen Hoffnungsschimmer. Aber zuerst einmal warten mindestens 15 eisenharte Monate. Boris ist ein Kämpfer, er trägt immer noch ein Sieger-Gen in sich. Auf dem Tennisplatz konnte er ein Game mit zwei Assen drehen. Das geht hier nicht mehr. Jetzt ist er machtlos, auf dramatische Art und Weise, und er realisiert es gerade. Das ist die schwerste Aufgabe seines Lebens. Auf die er richtig schlecht vorbereitet ist. Ich wünsche ihm, dass er da halbwegs gesund mental rauskommt. Sicher bin ich mir da nicht.