Federers Kondi-Trainer Paganini im Interview
«Ich provoziere und bodige Roger auch mal»

Er ist einer der Männer hinter den Erfolgen von Federer und Wawrinka: Pierre Paganini (59). Der Fitness-Coach spricht über ihr Erfolgsgeheimnis und den jungen, heissblütigen Federer.
Publiziert: 25.06.2017 um 00:17 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 12:05 Uhr
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Pierre Paganini ist Roger Federers Konditions-Trainer.
Foto: EQ Images
Cécile Klotzbach

BLICK: Pierre Paganini, seit wann arbeiten Sie mit Roger Federer und Stan Wawrinka?
Pierre Paganini:
Meinen Job mache ich seit 33 Jahren. Stan betreue ich seit 15, Roger seit 17 Jahren. Aber ich kenne Roger seit 1994, als er in Ecublens die Sportschule besucht hat. Ich war es auch, der dort seine Pflegefamilie ausgesucht hat, weil ich verantwortlich für die Schüler war.

War Federer schon damals ein Zukunftsversprechen?
Jeder, der das sagt, übertreibt. Man sah, dass er speziell ist und ein grosses Repertoire mitbringt. Aber die 18 Grand-Slam-Siege hat damals niemand vorausgesehen.

Er soll ja als Jugendlicher nicht der Einfachste gewesen sein …
Mit 14, 15, 16 sind die meisten Junioren in einer sehr speziellen, anderen Phase. Auch Rogers Charakter war nicht ganz einfach, aber dafür sehr natürlich. Und wenn jemand natürlich ist, ist es auch wieder einfach, damit umzugehen. Er war hart mit sich selber. Aber ich habe ihn als sehr lockeren Typen in Erinnerung, der schon damals sehr lieb und nett war. Das hat mit seiner Erziehung im Elternhaus zu tun. Nein, Roger war ganz ein guter Junior.

Haben Sie neben Roger und Stan noch andere Auftraggeber?
Ich berate noch links und rechts ein wenig, aber mehr nicht. Für diese zwei Athleten möchte ich flexibel bleiben. Ich wohne ja im Wallis, und bin so schon fast nie da. Ein Standbein habe ich wegen Roger auch in Dubai. Und wenn ich Stan trainiere, bin ich entweder in Monte Carlo oder in der Schweiz.

Wieviel Zeit verbringen Sie mit beiden Spielern?
Federer ist mein Haupt-Auftraggeber, mit ihm arbeite ich am meisten. Zum Glück kommen Roger und Stan sehr gut miteinander aus. Mein Ziel ist eigentlich nur, alles richtig zu machen. Ich muss versuchen, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein, je nach dem länger oder weniger lang bei einem zu bleiben. Der Rest läuft über SMS und Telefonate, auch während der Turniere. Damit die Kontinuität im Kopf der Spieler bleibt. Meist etwas zur Fitness oder zur Planung. Die Dinge, die den Spieler und mich angehen, können immer und jederzeit angesprochen werden. In die Turniere mische ich mich nicht ein.

Wie gross ist Ihr Einfluss auf Federer?
Ich gehöre zum Team, das ihn berät, begleitet und das ihn vielleicht auch mal provoziert und etwas bodigt, damit er sich in Ruhe Gedanken machen kann. Damit er seine Situationen zwischendurch selbst in Frage stellt. Aber Roger ist der Chef, er trifft alle Entscheidungen, die ihn betreffen. Aber letztlich unterstützen wir ihn bei jedem Entschluss.

Auch bei dem, lange Pausen einzulegen?
Ja, absolut. Was ich bei ihm faszinierend finde: Er macht Dinge zwar oft spontan, gleichzeitig überlegt er sich aber immer auch objektiv, was er jetzt besser machen oder ändern und wie er seine Karriere wieder neu einteilen könnte. Aber das braucht Zeit. Und man darf nicht vergessen, dass Roger eben nicht nur ein exklusiver Tennisspieler ist. Er ist auch mehrfacher Familienvater und hat seine Stiftung, die ihm viel bedeutet.

Warum ist es so wichtig in seinem Alter, dass er längere Pausen einlegt?
Dafür muss man das Gesamtbild ansehen. Roger ist 35, spielt schon so lange und möchte gerne noch lange weiterspielen. Zu Beginn des Jahres hat er mehr als erwartet gespielt, weil er immer gewonnen hat. Er holte Anfang des Jahres drei Titel, darunter in Melbourne seinen 18. Grand-Slam-Titel. Dadurch kam er direkt von einer Vorbereitung in eine Überbelastung. Das sind schöne, fantastische Probleme! So etwas schafft nur einer wie Roger Federer. Aber Körper und Geist brauchen Erholung. Und die Saison ist noch lang. Da ist es nur logisch, dass er seine Schwerpunkte setzt.

Wie Wimbledon. Ist Federer dafür jetzt genauso frisch wie für die Australian Open?
Wimbledon ist sicher ein Haupt-Saisonziel für ihn. Ob er die letzte Auszeit genauso optimal genutzt hat wie die vor Australien, wird sich zeigen. Die Situation war wegen der Verletzung ja ganz anders. Jetzt ist er topfit. Diese Pause hat also nichts mit einer Verletzung zu tun. Es ging um die lange Karriere, die er hinter sich hat und die längere Zeit, die er sich noch wünscht. Für das setzt er sich ein, für das kämpft er. Und er hat ja auch in der Pause viel trainiert, hat einfach eine Weile keine Turniere gespielt. Ich nannte es deshalb eine schöpferische Pause.

Haben Sie in den letzten Wochen viel an seiner Fitness gefeilt?
Nur um die Form zu halten und zu stimulieren. Hauptsächlich spielt er im Moment Tennis, den Fitness-Aufbau haben wir vorher gemacht und die spezifische Kondition für die Sandsaison ja dann ausgelassen. Ein Spieler braucht immer wieder eine Pause vom Erarbeiteten, damit er die Qualität dann auch umsetzen kann. Je näher ein grosses Turnier wie Wimbledon kommt, desto mehr rückt das Tennis-Training in den Vordergrund.

Unterscheidet sich das Kondi-Training für die verschiedenen Beläge?
Ja, der Körper, also die Muskeln und Gelenke schaffen auf verschiedenen Belägen nicht gleich. Der Zusammenhang von Bewegung und den konditionellen Faktoren ist unterschiedlich. Darauf muss man den Körper vorbereiten. Auf Sand muss er sliden, auf Hartplatz muss er explosiver sein, auf Rasen kommen die vielen kleinen Schrittchen wegen dem Gleichgewicht hinzu.

Läuft Federer mit den Turnieren in Stuttgart, Halle und Wimbledon wieder Gefahr, dass er überbelastet ist?
Das müssen die Tennistrainer sagen. Tennis hat immer mit Überbelastung zu tun, denn auch im Training musst du immer wieder ans Limit gehen. Aber wenn man weiss, dass ein Physio dabei ist und das Programm gut aufs Jahr verteilt ist, gibt das viel Energie. Vor allem Roger Federer gibt viel Energie – sich selbst und dem ganzen Team. In dem ist er sowieso sehr stark. Er weiss immer, warum er was macht. Und deshalb ist er unglaublich motiviert. Er hat den gleichen Spass am Tennis wie als Junior.

Ist er auch für Sie eine Motivation?
Eine unglaubliche sogar, ein Privileg! Mit ihm ist jeder Moment spannend. Bei Trainings bin ich ja mehr da dabei als an Turnieren – die sind immer speziell, weil er irgendetwas macht, das du sonst bei niemandem siehst. Seine Kreativität sucht seinesgleichen. Der Reiz ist für mich nach wie vor da, auch wenn ich dieses Jahr 60 werde …

Inwiefern beeinflusst das fortgeschrittene Alter Federers Ihre Arbeit?
Man sollte mal Trainings, alle Momente, in denen er sich konzentrieren musste, zusammen zählen – das ist der Wahnsinn! Das wird völlig unterschätzt. Denn wenn man ihn spielen sieht, sieht es wie Ballett aus. Dabei ist es ein enormer Effort, den er auch im Training bringen muss – seitdem er ein kleiner Knopf ist und er hat nie damit aufgehört. Trotz dem Riesen-Potenzial, das er mitbringt. Denn wenn du viel Talent hast, ist es beinahe noch härter zu arbeiten. Er hat gesamthaft gesehen alles richtig gemacht. Für mich ist er ein Weltmeister für Kontinuität, ohne jemals den roten Faden zu verlieren. Das bewundere ich an ihm am meisten. Und es sollte für die ganze Tenniswelt inspirierend sein.

Wie gross ist die Angst vor Verletzungen?
In der ganzen Karriere hat jeder Spieler mal kleinere Verletzungen – mit dem Thema sind wir immer, konstant konfrontiert. Das ist wie ein Virus, den es zu antizipieren gilt, damit er nicht ausbricht. Ein Spieler darf keine Angst haben vor der Verletzung, er muss sie akzeptieren, sonst hemmt ihn das. Auch da hilft Rogers Spontaneität wahnsinnig. Vielleicht hilft es, dass wir alle schon lange um ihn rum sind. Wenn du langfristig was erreichen willst, musst du fähig sein, all die vielen Informationen zu benutzen. Es ist ein ständiges gegenseitiges Abtasten und Updaten. Summiert auf viele Wochen, Monate und Jahre ist das eine gute Vorbeugung von Verletzungen.

Wie ist die Arbeit mit Stan Wawrinka?
Auch spannend. Es ist die gleiche Sportart – aber mit einer anderen Interpretation, weil es zwei komplett unterschiedliche Charaktere sind. Sowohl zwischenmenschlich wie auch Tennistechnisch. Ihre Wege zum Erfolg sind total verschieden.

Was zeichnet den Romand aus?
Stan hat sich alles wie auf einer Treppe Stufe für Stufe erarbeitet. Er ist immer zwei Schritte vorwärts, einen rückwärts gegangen, hat aber nie aufgegeben. Er glaubte immer an sein Potenzial, schluckte vieles und hat dabei wahnsinnig viel Geduld aufgebracht. Aber das hat ihn stärker gemacht. Er wusste immer, dass er mehr kann, zweifelte nie an sich. Ob im Kopf, im Konditions- oder Tennistraining – er hat nie seinen Weg verloren.

Wie viele Blöcke pro Jahr planen Sie ein?
Drei bis vier Grundblöcke pro Jahr à zweieinhalb bis viereinhalb Wochen. Dazwischen drei bis fünf intensivierte Wochen oder kleine Zwischenblöcke – je nach Turnierplanung und wie viel gespielt wurde. Daneben gibt es noch vereinzelte Trainingseinheiten, ein Auffrischen je nach Saisonverlauf.

Sind die Übungen immer gleich?
Ich habe natürlich versucht, gewisse Methoden zu optimieren. Gerade bei einer so langen Zusammenarbeit wie mit Roger ist es wichtig, Varianten zu den gleichen Themen zu finden, damit es auch mal neue muskuläre Reize gibt. Er ist so koordiniert, da muss man schon immer wieder mal was Neues bringen, damit sich die Muskeln nicht langweilen. Bei Stan ist es mittlerweile genauso. Das ist wie beim Sprechen: Wenn man neue Worte für etwas Gleiches lernt, ist man wieder neu stimuliert.

Stan ist kräftiger als Roger. Hat er körperlich Vorteile?
Stan ist der Kraft- und Ausdauer-Typ, der sich die Explosivität erarbeitet und antrainiert hat. Es ist wichtig, dass er seine Kraft richtig einsetzt, denn die Leichtigkeit muss dennoch da sein. Roger bewegt sich mehr mit den Beinen, mit der Wadenmuskulatur. Er ist der subtile, explosive Typ, der die Ausdauer für 70, 80 Matches pro Jahr antrainieren muss. Letztlich muss der Knoten zwischen Ausdauer und Explosivität fest sein. Aber er sitzt immer eher in der Nähe der Stärke des Spielers, dann hält er besser.

Wer von beiden ist schneller?
Der eine braucht Kraft für die Schnelligkeit, der andere ist wendig und deshalb schnell. Aber ich lasse die beiden nicht 100 Meter sprinten – das Netz ist ja nur ein paar wenige Meter entfernt. Im Tennis sind die ersten zwei, drei Schritte wichtig, in denen drückst du 90 Prozent deiner Athletik aus. Mit der erarbeiteten Geschwindigkeit muss du dann Tennis spielen.

Man sieht oft gar nicht wie schnell Roger auf dem Platz ist.
Das stimmt, weil er das feinfühlig und tänzerisch macht. Die Mischung zwischen Antizipation, Schnelligkeit und Cleverness stimmt bei ihm. Aber er braucht dabei nicht weniger Energie als die anderen. Er macht nur mehr, um die Energie der anderen zu nutzen.

Spielt die Ernährung bei Ihrer Arbeit eine Rolle?
Nein, dafür gibt es andere Spezialisten. Roger hat ein Ärzte-Team, das kontrolliert unter anderem auch seine Ernährung. Verschiedene Profis für diverse Gebiete – das sollten sich junge Spieler auch zu Herzen nehmen, wenn sie ihr Team zusammenstellen. Ich bin Konditions-Trainer. Und ich garantiere Ihnen, ich gehe jeden Tag über die Bücher, damit ich auch noch morgen gut bin. Und der Ernährungswissenschaftler, der Tennis-Lehrer und der Physio müssen das auch machen. Wer es nicht macht, ist ein Scharlatan.

Müssen Sie anders mit Wawrinka arbeiten als mit Federer?
Die Ziele sind mit beiden die gleichen: Kondition und Explosivität. Anders ist nur, die Harmonie zwischen Mensch und Training zu finden. Aber es sind beide fantastische Typen – und das sage ich nicht, weil ich lieb sein will. Es ist faszinierend, mit beiden arbeiten zu dürfen. Wir haben grosses Glück in der Schweiz mit diesen zwei grandiosen Beispielen. So etwas wird es hierzulande nie mehr geben, davon kann man leider ausgehen. Federer leistet Unfassbares und auch was Stan erreicht hat, ist unglaublich. Für junge Spieler in der Schweiz sollte das sehr inspirierend sein, denn jeder kann sich auf einen der beiden berufen und denken, ich bin mehr der oder der andere Typ …

Sind Sie besonders einfühlsam?
Nicht mehr als jeder Trainer, der das Privileg hat, mit einem Spieler länger zusammen zu arbeiten. Er gibt einem ja Informationen. Der Austausch ist immer das Wichtigste, da kann man noch so viel über Theorien und Technik reden – am Schluss muss man sich gegenseitig austauschen.

Es heisst, Sie reden nicht gerne über sich …
… dann gehen Sie doch zur nächsten Frage.

Aber selbst John McEnroe sagt, Sie seien ein Hauptgrund für den Schweizer Tennis-Erfolg.
Dann langt es ja, wenn der das sagt... Am Ende ist es der Spieler, der spielt. Ich bin ein Team-Mitglied, und das seit langem, was schön ist. Natürlich bemühe ich mich, kompetent in meinem Job zu sein, daran arbeite ich seit 30 Jahren. Aber das täte ich auch, wenn ich die Nummer 250 der Welt betreuen würde, sonst hätte ich ja bald keine Arbeit mehr. Wichtig ist mir, dass ich eine solide Arbeitsphilosophie habe, und dass der Spieler spürt, dass meine Arbeit im athletischen Bereich hilfreich sein kann.

Allein ihr Name verpflichtet – Niccolò Paganini war ein berühmter Geiger …
(lacht) Ich stamme tatsächlich aus einer Musikerfamilie. Mein Vater war Musiklehrer, meine Mutter Geigerin. Und ich habe sogar auch Geige gespielt – aber vor etwa 20 Jahren damit aufgehört.

Wie viele Job-Angebote haben Sie in den letzten Jahren schon bekommen?
Jedenfalls mehr aus dem Ausland als hier in der Schweiz. Aber ich habe das schöne Problem, dass ich keine anderen Angebote brauche.

Würden Sie nach Rogers und Stans Karrieren was Neues annehmen?
Erst einmal würde ich ausgiebig in die Ferien verreisen. In all den Jahren habe ich ja auch noch meine Ehefrau Isabelle – sie war auch Nationaltrainerin bei Swiss Tennis – und eine 32-jährige Tochter aus erster Ehe. Ich wünsche mir schon mehr Zeit für meine Familie. Aber ich würde nicht ganz aufhören, nur drastisch weniger arbeiten. Und dann hätte ich vielleicht einmal Zeit, mir all die verrückten Bilder der letzten Jahre durch den Kopf gehen zu lassen.

Würden Sie gerne mal sehen wie Rafael Nadal neben dem Platz arbeitet?
Es gäbe viele interessante Spieler, wenn ich keine Arbeit hätte. Aber das Interesse ist das eine, die Neugierde was anderes. Eine Wundernase bin ich schon – mal zu sehen, wie ein Nadal trainiert, wäre spannend, denn die Sportart ist sehr individuell. Du kannst nicht bei jedem mit dem gleichen Werkzeug arbeiten. Aber wenn du mit Roger und Stan arbeiten darfst, hast du keine Lust bei jemand anderem zu sein.

Zu Pierre Paganini

Der in Zürich geborene Westschweizer Pierre Paganini (59) stand 20 Jahre im Dienste von Swiss Tennis, davon 11 Jahre im Davis-Cup-Team, bevor

ihn Federer und Wawrinka als privaten Konditionstrainer verpflichteten. Wie früher schon Marc Rosset und die Maleeva-Schwestern. Paganini ist in zweiter Ehe verheiratet, Vater einer Tochter (32), und wohnt in Zermatt und Dubai.

Der in Zürich geborene Westschweizer Pierre Paganini (59) stand 20 Jahre im Dienste von Swiss Tennis, davon 11 Jahre im Davis-Cup-Team, bevor

ihn Federer und Wawrinka als privaten Konditionstrainer verpflichteten. Wie früher schon Marc Rosset und die Maleeva-Schwestern. Paganini ist in zweiter Ehe verheiratet, Vater einer Tochter (32), und wohnt in Zermatt und Dubai.

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