BLICK: Das heisseste Thema zuerst: Das Publikum war im Tie-Break nicht happy. Hatte die Szene mit dem Balljungen, der einen Ball verlor, Einfluss auf Sie?
Was meinen Sie? Natürlich! Der Ball wurde wiederholt, Zverev schlug ein Ass. Also klar, es beeinflusste mich.
Wurde die Szene vom Schiedsrichter korrekt gehandhabt?
Ich kenne die Regeln für sowas nicht genau. Ich frage mich nur, was ich in so einer Situation gemacht hätte. Müsste nicht der Schiedsrichter entscheiden, den Ballwechsel zu stoppen? Wenn der Ball nicht wirklich ins Feld rollt, hätte ich wohl weiter spielen lassen. Ich weiss aber auch gar nicht genau, was geschah: Rollte der Ball weg oder hat ihn der Balljunge wieder aufgefangen?
Er rollte ein paar Meter weg.
Okay, dann ist es ein schwieriger Entscheid. Ich sah es nicht, der Schiedsrichter auch nicht. Aber der Balljunge selbst und der Linienrichter bestätigten es, also ist es wohl normal, dass der Punkt wiederholt wird. Es ist hypothetisch, aber es hätte wohl einen Unterschied gemacht, wenn der Ballwechsel nicht gestoppt worden wäre.
Was haben Sie zum Balljungen gesagt?
Ich fragte, ob er zum Dinner kommen will... Bitte lachen, das war ein Witz! Ich fragte einfach, ob er den Ball fallen liess. Er bestätigte und dann war die Sache erledigt. Alles ist gut von meiner Seite, so ist das Leben, so ist Sport. Ich hoffe nicht, dass der Junge eine schlaflose Nacht hat. Ich bin definitiv nicht sauer auf ihn.
Verloren Sie als Balljunge je einen Ball?
Ich kann mich nicht dran erinnern. Aber wahrscheinlich ja. (lacht)
Hätten Sie es gleich wie Zverev gemacht?
Ich stelle Saschas Fairness nicht in Frage. Es war mutig, den Ballwechsel zu stoppen. Der Schiedsrichter hätte auch sagen können: «Sorry, Kumpel, ich sah es nicht, nun hast du den Punkt verloren.»
Zverev wurde laut ausgebuht. Was haben Sie ihm am Netz gesagt?
Ich mag Buhen nie. Man erlebt es in anderen Sportarten mehr, im Tennis zum Glück selten. Wenn es denn passiert, wirds schnell persönlich. Ich verstehe ja den Frust der Fans, aber die Umstände waren unglücklich. Das hat Sascha nicht verdient. Am Netz hat er sich sofort bei mir entschuldigt, das müsste er gar nicht. Ich sagte ihm: «Shut up, halt die Klappe! Ich gratuliere Dir für ein grossartiges Match und nur das Beste für den Final.» Er ist ein so guter Spieler. Nun ist noch ein Match übrig – er hat, was es braucht, um gegen jeden zu gewinnen. Und ich glaube nicht, dass er da wieder ausgebuht wird. Hoffentlich!
Wie schätzen Sie Ihre Leistung in diesem Halbfinal ein?
Ich hätte Saschas ersten Aufschlag besser retournieren können. Ein Break zu schaffen und es gleich wieder abzugeben, ist enttäuschend. Erinnerte mich ein wenig an das Nishikori-Match. Vielleicht pushte ich nicht genug, rannte die ganze Zeit dem Punktestand hinterher, dann erwischt es dich irgendwann mal. Ich denke, ich kann besser spielen. Aber vielleicht hat das ja auch mit Zverevs Leistung zu tun.
Was für eine Bilanz ziehen Sie nach Ihrer Saison?
Pete Sampras sagte einmal: «So lange du ein Grand Slam gewinnst, ist die Saison gut.» Ich startete toll in Australien, kann es gar nicht erwarten, wieder dorthin zurückzukehren. Die zweite Hälfte des Jahres hätte besser sein können. Ich hatte hohe Ziele, gewisse Chancen habe ich mir auch erarbeitet. Dann verlor ich ein paar enge Partien, die meine Bilanz verschlechtern. Am ehesten bereue ich die Matchbälle gegen Del Potro in Indian Wells oder Kevin Anderson in Wimbledon. Auch hier bin ich natürlich etwas enttäuscht. Aber nah dran zu sein, lässt mich hoffen, auch wieder mal gewinnen zu können. Ich freue mich auf die nächste Saison.
Spielten Sie in der zweiten Hälfte zuweilen etwas passiv?
Das ist schwer zu sagen. Es soll keine Ausrede sein, aber ich hatte ein paar Probleme mit meiner Hand, das hat meinen Spielplan hier und da durcheinander gebracht und beeinträchtigt. Aber ich konnte immerhin durchspielen und das Problem hat sich gegen Ende der Saison verbessert. Nun hoffe ich, dass ich bald noch offensiver spielen und die Vorhand wieder richtig durchpeitschen kann.
Sie brauchen noch den 100. Titel ...
Ich brauche ihn nicht, ich kann auch so gut atmen. Aber fragen Sie weiter.
Sehen wir Sie nächstes Jahr mit der gleich guten Einstellung?
Na klar. Zunächst mache ich jetzt mal mit meiner Familie Ferien. Da freue ich mich extrem drauf. Ich kann nicht sagen, dass ich mit gleicher Begeisterung auf den nächsten Trainingsaufbau warte. Aber es stört mich auch nicht, in der Nebensaison hart zu arbeiten. Ich bin gespannt, was sich mein Team ausdenkt, woran ich mehrheitlich arbeiten muss. Was wir für die Sandsaison entscheiden werden. In den Ferien werde ich mir sicher ein paar Gedanken dazu machen. Der Plan ist, für nächstes Jahr ein gutes Programm auszutüfteln, das meiner Familie, Mirka und meinem Team entspricht.
Ist das für Sie, der Turniere nur selektiv spielt, besonders schwierig?
Es ist umso wichtiger, mein ganzes Leben zu durchleuchten. Wie viel Zeit gibst du wem? Der Familie will ich als Erstes gerecht werden. Natürlich auch dem Tennis. Aber dann sind da noch Coaches, Fitnesstrainer, Physio – die brauchen alle auch ihre Zeit. Es ist spannend, denn jeder im Team kennt mich gut, weiss was mich happy macht. Ich habe nie ein Problem zu trainieren, bin immer parat. Aber alle Puzzle-Teilchen müssen zusammen passen, damit die Leistung am Ende gut ist. Was ist zuviel, was zu wenig? Ich hatte auch schon Muskelkater, weil ich trotz hartem Training nicht genug auf die Match-Situation vorbereitet war. So muss ich wohl mehr ans absolute Limit gehen, damit der Schock im Ernstkampf-Stress nicht zu gross ist. Es ist was anderes, einen Breakball vor einem Hag oder einem Baum abzuwehren, als vor 30'000 Zuschauern.
Hätten Sie vor fünf Jahren unterschrieben, mit 37 die Weltnummer 3 zu sein?
Ich denke schon. Ich bin sehr stolz darauf, in meinem Alter noch auf höchstem Wettkampf-Niveau mitzuhalten, dabei noch so viel Spass zu haben und körperlich keine grossen Probleme zu haben. Vor fünf Jahren durchquerten Rückenprobleme mein Tennispläne. So enttäuscht ich also im Moment über diese Niederlage bin: Mit der Saison bin ich zufrieden. Es ist auf eine Art ja eine historische, weil ich noch einmal die Nummer 1 wurde – das war ein ganz grosser Moment für mich, den ich niemals für möglich gehalten hätte.