Roger Federer ist der Musterprofi schlechthin. Für tausende Sportler weltweit steht der 20-fache Grand-Slam-Gewinner als leuchtendes Beispiel da. In Sachen Professionalität, Einstellung, mentaler Stärke, Fitness – ja eigentlich in allen Belangen eifern sie dem 38-Jährigen nach.
Dass diese Eigenschaften Federer zu Beginn seiner Karriere nicht auszeichneten, ist längst bekannt. Sein einstiger Coach Peter Lundgren erinnert sich nun im Interview mit Tenis Brasil an die Zeit vor dem ersten Grand-Slam-Sieg 2003.
«Es ist nie einfach, mit einem Tennisspieler zu arbeiten. Zu dieser Zeit war Roger ein sehr talentierter junger Mann, vielleicht ein bisschen faul, er hatte einige Konzentrationsprobleme und war körperlich noch nicht bereit», beschreibt Lundgren.
Faul, untrainiert und mental schwach – klingt nicht gerade nach einem künftigen Tennis-Superstar. Doch da war neben dem Talent für das Spiel diese eine Sache, welche die grosse Karriere von Federer ermöglichen sollte. Die Dinge änderten sich, «weil er immer schon der Beste sein wollte», erklärt Lundgren. Und der Schwede habe schon damals gesehen, dass Federer das Potenzial dazu hatte.
«Grosses Herz und guter Kerl»
«Die Wahrheit ist, dass er eine Person war, mit der es schwierig war zu arbeiten , aber er hat ein grosses Herz und ist ein guter Kerl», sagt Lundgren. «Er wurde schnell erwachsen, um der grosse Tennisbotschafter zu werden, der er heute ist. Ich bin sehr stolz auf alles, was er erreicht hat.»
Lundgren hat in seiner Karriere als Trainer viele Spieler betreut. Neben Federer auch Stan Wawrinka, Marat Safin, Marcelo Rios oder Grigor Dimitrov. Doch beim grundlegenden Aufbau war der 55-Jährige vor allem bei Federer dabei.
«Mit Roger gab es einen talentierten Jungen, er war ein Diamant, der poliert werden musste. Peter Carter und ich haben Federer an die Spitze gebracht, von vorne angefangen, um Wimbledon zu gewinnen. Es war einfach surreal! Ich wollte nur, dass Peter bei uns ist, um alles zu erleben», sagt Lundgren über den Australier Carter, der 2002 bei einem Unfall ums Leben gekommen war.
«Für Roger war der Wimbledon-Sieg eine Erleichterung»
Der Tod seiner Bezugsperson riss Federer in ein Loch. Doch im Jahr darauf klappte es dann mit dem lange ersehnten Grand-Slam-Triumph. «Es war ein ganz besonderer Moment für uns beide. Ich wollte Wimbledon schon immer gewinnen, seit ich angefangen habe, Tennis zu spielen. Ich habe das Achtelfinale als Spieler erreicht, was nicht schlecht ist, und ich habe als Trainer gewonnen, was mich sehr glücklich macht», sagt Lundgren. «Für Roger war dieser Titel das, was alle von ihm erwartet hatten. Die Wahrheit ist, dass es selbst für ihn eine Erleichterung war.»
Eine Erleichterung und der Start zu einer beispiellosen Karriere. Beim zweiten Grand-Slam-Titel war Lundgren dann bereits nicht mehr an Federers Seite. Der Baselbieter trennte sich Ende 2003 nach dem Gewinn des Masters und als Weltnummer 2 eher überraschend vom Schweden. Danach gewann er ohne offiziellen Coach die Australian Open 2004 und wurde erstmals Weltnummer 1. (sme)