Es wäre eigentlich der Moment, um die Füsse hochzulegen, sich von der harten Saison zu erholen, die Seele baumeln zu lassen: Im Dezember ist die Turnieragenda der Tennis-Stars leergefegt. Die ATP-Tour macht Pause.
Doch ein paar Spitzenspieler wollen davon nichts wissen. Der Schweizer Stan Wawrinka, der Russe Daniil Medwedew, der Italiener Fabio Fognini und der Belgier David Goffin pfeifen auf Ruhe und Adventsferien. Lieber treten sie in Saudi-Arabien an – zum ersten Profitennisturnier in der Geschichte des Landes.
Verlockend hohes Preisgeld
Sportlich ist da nichts zu holen, noch nicht einmal Ruhm und Ehre: Es handelt sich um ein Showturnier. Dank verlockenden drei Millionen US-Dollar Preisgeld klingelt dafür mächtig die Kasse.
Die Saudis sind trotzdem euphorisch. «Zum ersten Mal haben wir internationales Spitzentennis in Saudi-Arabien. Das ist eine Zeitenwende für das Königreich», sagt Prinz Abdulaziz bin Turki al-Faisal den «Arab News». «Hier gibt es eine Passion für den Sport, und wir werden neue Tennis-Fans begeistern, mehr internationale Besucher anziehen und fantastische Erinnerungen für alle schaffen.»
Menschenrechtssituation ist verheerend
Klingt für Wawrinka und Kollegen nach einem leicht verdienten Zahltag, hat aber seinen Preis. Im Königreich, wo mittlerweile Kronprinz Mohammed bin Salman (34) das Sagen hat, müssen Regimekritiker unten durch. Die Meinungsfreiheit ist eingeschränkt, Aktivisten werden teilweise hingerichtet. Todesstrafe und Folter sind an der Tagesordnung. Vor einem Jahr machte die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul Schlagzeilen. Rechte von Frauen und Homosexuellen? Kaum existent. Kurzum: Die Menschenrechtssituation im ölreichen Golfstaat ist verheerend.
Im Demokratie-Index des britischen «Economist» liegt Saudi- Arabien auf Platz 159 von 167 Ländern. Gleichauf mit Tadschikistan, zum Beispiel noch hinter Eritrea (151) und Libyen (154), vor Syrien (166) und Nordkorea (167). Der Vorwurf an die Tennis-Stars: Sie liessen sich missbrauchen, dem Unrechtsregime bei der Imagepolitur zu helfen. «Sportswashing» nennt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International das.
Nicht nur Tennis-Stars lassen sich von den Saudis hofieren
Kritik, mit der die drei Athleten hätten rechnen können. Vor einem Jahr bekamen die Superstars Novak Djokovic und Rafael Nadal aufs Dach, weil sie vergangenen Dezember ebenfalls in Saudi-Arabien zu einem Schaukampf antreten wollten. Erst eine Verletzung von Nadal liess die Exhibition platzen. Die Tennis-Szene atmete auf. Dabei sind die Tennis-Stars bei weitem nicht die einzigen, die sich von den Saudis hofieren lassen. Die Boxer Anthony Joshua und Andy Ruiz Jr. tragen ihren Schwergewichts-WM-Rückkampf am 7. Dezember in Riad aus.
- Im Januar wurde in Dschidda der italienische Supercup ausgetragen – Meister Juve besiegte Cupsieger Milan mit 1:0. Im Januar 2020 spielt Juve gegen Lazio.
- Im Februar wurde in Saudi-Arabien erstmals ein Golfturnier der Europa-Tour ausgetragen.
- Die Formel E fährt in Diriyah.
- 2020 führt erstmals die Rallye Dakar in zwölf Etappen durch die saudi-arabische Wüste.
- Am 29. Februar 2020 soll in Riad das höchstdotierte Pferdegalopprennen der Geschichte starten.
- 2020 soll der Boxer Tyson Fury bei den Saudis zu einem Wrestling-Kampf antreten.
- Im Januar wurde in Dschidda der italienische Supercup ausgetragen – Meister Juve besiegte Cupsieger Milan mit 1:0. Im Januar 2020 spielt Juve gegen Lazio.
- Im Februar wurde in Saudi-Arabien erstmals ein Golfturnier der Europa-Tour ausgetragen.
- Die Formel E fährt in Diriyah.
- 2020 führt erstmals die Rallye Dakar in zwölf Etappen durch die saudi-arabische Wüste.
- Am 29. Februar 2020 soll in Riad das höchstdotierte Pferdegalopprennen der Geschichte starten.
- 2020 soll der Boxer Tyson Fury bei den Saudis zu einem Wrestling-Kampf antreten.
Und das Sport-Portfolio der Scheichs wird weiter wachsen. 2021 könnte das erste Formel-1-Rennen über die Bühne gehen. Vielleicht versucht sich dann ein Autorennfahrer als internationaler Diplomat. Wie unlängst Ex-Box-Champion Wladimir Klitschko, als es um den WM-Kampf von Joshua und Ruiz ging. «Ja sicher, Saudi-Arabien steht in der Kritik», sagte Klitschko zur «Bild». Aber er hoffe, dass ein Weltereignis wie die Box-WM «den Menschen dort hilft, freier leben zu können».
Vielleicht trägt der Sport ja tatsächlich ein bisschen zur Öffnung bei: In Saudi-Arabien ist Frauen seit einem Jahr erstmals der Zugang ins Fussballstadion erlaubt. Aber nur unter strengen Auflagen, nur in Begleitung ihrer Familie und ohne freie Platzwahl.
Stan Wawrinka schlägt also in Saudi-Arabien auf. Als gut bezahltes Aushängeschild des neuen Tennis-Showturniers im Dezember. Der Schweizer lässt sich vor den Propagandakarren eines Landes spannen, das die Menschenrechte mit Füssen tritt, Frauen unterdrückt und mit Kritikern und Homosexuellen kurzen Prozess macht. Der Sportler im Fangnetz der Politik, da ist Wawrinka bei weitem nicht der einzige.
Auch Box-Genie Muhammad Ali steckte 1974 in der Diktatoren-Falle. Mobutu Sese Seko, brutaler Alleinherrscher und Diktator des damaligen Zaire, das heute Republik Kongo heisst, holte sich mit viel Geld das WM-Spektakel Ali gegen Foreman ins Land. Als Zückerchen für sein gepeitschtes Volk – und weit wichtiger für ihn: als weltweiter Propagandacoup in eigener Sache.
Der Kampf war für die Boxer sportlich attraktiv, finanziell sowieso. Und in Europa und den USA fand sich kein Organisator, der so viel Geld bezahlen konnte. Was also tun? Ali willigte in den Kampf ein und liess sich auch zu einem persönlichen Besuch beim Diktator verpflichten. Das Foto ging damals um die Welt: Ali und Mobutu, die sich in den Armen liegen, der Kriegsdienstverweigerer und der Schlächter ... Man rieb sich die Augen, das konnte man kaum glauben.
Doch Ali schaffte es mit einer verblüffenden Strategie, da heil wieder rauszukommen. Er nutzte die Wochen in Kinshasa, um den Menschen auf der Strasse ein Gesicht zu geben, sie aufzumuntern, sie stolz zu machen, ihnen Mut zuzusprechen. Jeder Jogginglauf wurde zum Happening mit politischem Statement. Ali stahl Mobutu vor der Weltpresse die Show und Foreman nach dem K.-o.-Sieg in der achten Runde den WM-Titel.
Nun kann man von Wawrinka nicht erwarten, dass er durch die Strassen von Riad joggt, den Menschen Mut zuspricht und die Welt über die Missstände in Saudi-Arabien aufklärt.
Aber ich wünschte mir von ihm, wie auch von allen anderen Sportlern, die sich
so oder ähnlich einspannen lassen, dass sie nicht bloss die Hand aufmachen, sondern auch den Mund. Und dass sie die Aufmerksamkeit, die sie bei ihren
Auftritten bekommen, als Chance sehen, um grosse oder auch kleine Zeichen zu setzen – ganz im Sinne von Nelson Mandelas berühmtem Satz: «Der Sport hat die Kraft, die Welt zum Guten zu verändern». Schön wärs!
Patrick Mäder, Stv. Sportchef
Stan Wawrinka schlägt also in Saudi-Arabien auf. Als gut bezahltes Aushängeschild des neuen Tennis-Showturniers im Dezember. Der Schweizer lässt sich vor den Propagandakarren eines Landes spannen, das die Menschenrechte mit Füssen tritt, Frauen unterdrückt und mit Kritikern und Homosexuellen kurzen Prozess macht. Der Sportler im Fangnetz der Politik, da ist Wawrinka bei weitem nicht der einzige.
Auch Box-Genie Muhammad Ali steckte 1974 in der Diktatoren-Falle. Mobutu Sese Seko, brutaler Alleinherrscher und Diktator des damaligen Zaire, das heute Republik Kongo heisst, holte sich mit viel Geld das WM-Spektakel Ali gegen Foreman ins Land. Als Zückerchen für sein gepeitschtes Volk – und weit wichtiger für ihn: als weltweiter Propagandacoup in eigener Sache.
Der Kampf war für die Boxer sportlich attraktiv, finanziell sowieso. Und in Europa und den USA fand sich kein Organisator, der so viel Geld bezahlen konnte. Was also tun? Ali willigte in den Kampf ein und liess sich auch zu einem persönlichen Besuch beim Diktator verpflichten. Das Foto ging damals um die Welt: Ali und Mobutu, die sich in den Armen liegen, der Kriegsdienstverweigerer und der Schlächter ... Man rieb sich die Augen, das konnte man kaum glauben.
Doch Ali schaffte es mit einer verblüffenden Strategie, da heil wieder rauszukommen. Er nutzte die Wochen in Kinshasa, um den Menschen auf der Strasse ein Gesicht zu geben, sie aufzumuntern, sie stolz zu machen, ihnen Mut zuzusprechen. Jeder Jogginglauf wurde zum Happening mit politischem Statement. Ali stahl Mobutu vor der Weltpresse die Show und Foreman nach dem K.-o.-Sieg in der achten Runde den WM-Titel.
Nun kann man von Wawrinka nicht erwarten, dass er durch die Strassen von Riad joggt, den Menschen Mut zuspricht und die Welt über die Missstände in Saudi-Arabien aufklärt.
Aber ich wünschte mir von ihm, wie auch von allen anderen Sportlern, die sich
so oder ähnlich einspannen lassen, dass sie nicht bloss die Hand aufmachen, sondern auch den Mund. Und dass sie die Aufmerksamkeit, die sie bei ihren
Auftritten bekommen, als Chance sehen, um grosse oder auch kleine Zeichen zu setzen – ganz im Sinne von Nelson Mandelas berühmtem Satz: «Der Sport hat die Kraft, die Welt zum Guten zu verändern». Schön wärs!
Patrick Mäder, Stv. Sportchef