Die Fans kommen an den US Open dieses Jahr doch nicht zu kurz. Zu Beginn des Turniers kam wegen der vielen Absagen der verletzten Top-Männer und dem anschliessenden Favoriten-Sterben eine gewisse Ernüchterung auf. In der unteren Tableau-Hälfte standen bald ausschliesslich Nobodys. Darunter zwar einige talentierte und charismatische Newcomer. Aber niemand, der die nach Superstars lechzenden Zuschauer von ihren Stühlen und die TV-Quoten in die Höhe treiben konnte.
Doch die Rechnung wurde voreilig ohne die Frauen gemacht. Vier US-Girls – oder besser drei Girls und eine Dame – haben die Gunst der guten Auslosung und Verteilung im Spielerinnen-Feld genutzt und die Halbfinals am Donnerstag-Abend zur rein amerikanischen Angelegenheit gemacht. Und das erst noch in Abwesenheit von Tennis-Domina Serena Williams, die – um das Glück im Lande perfekt zu machen – in der ersten Turnierwoche eine Tochter zur Welt brachte!
Venus Williams (WTA 9) beginnt gegen Sloane Stephens (WTA 83), danach folgt die Partie zwischen Coco Vandeweghe (WTA 22) und Madison Keys (WTA 16). «Wir sind von unseren Vorbildern inspiriert», versucht die frühere Hingis-Doppelpartnerin Vandeweghe den Nationalerfolg zu erklären, «jahrelang sahen wir Serena und Venus zu, davor Lindsay Davenport und Jennifer Capriati.»
Sie hätten sich das untereinander ganz fest vorgenommen, sagt Keys, die als letzte des Quartetts ihre Pflicht gegen die Estin Kaja Kanepi erfüllte (6:3, 6:3). «Wir drückten uns gegenseitig fest die Daumen. Der Druck war gross, ich war deshalb ganz schön nervös. Aber jetzt bin ich froh, dass ich mithalten konnte. Das ist so cool! Es bedeutet die Welt für mich.»
Am meisten bedeuten würde es der Mehrheit der Fans wohl, wenn Venus am Ende das Rennen machen würde. Neun Jahre wartet die siebenfache Grand-Slam-Siegerin auf einen achten Triumph. Mit 37 Jahren, nach etlichen Rückschlägen durch eine heimtückische Autoimmun-Krankheit, wäre es ein wahr gewordenes, perfektes Märchen.
Zumal sie dieses Jahr schon zweimal nah dran war. In Australien, wo sie gegen ihre schwangere Schwester verlor. Und in Wimbledon, wo sie der brandneuen Weltnummer 1 Garbine Muguruza unterlag. Für die US-Legende stand das Rasenturnier sowieso von Beginn weg unter einem schlechten Stern: Venus reiste nach dem Autounfall an, bei dem ein älterer Mann ums Leben kam. Zwar wurde sie für nicht schuldig erklärt. Aber so richtig froh schien sie im britischen Sommer nicht mehr werden zu können. Die Zeit wäre also reif, endlich wieder mal für Venus zu schlagen.