Seit seiner Geburt ist die Welt um Duck-Hee Lee still. Aber als er als 7-Jähriger die gelben Filzbälle sah, mit denen sein Cousin (und heutiger Coach) Woo Hyo Chung spielte, kannte er seinen Weg.
Heute ist der behinderte Südkoreaner mit 18 Jahren als aktuelle Nummer 143 der Welt der jüngste Top-200-Klassierte. Der Zweitbeste seines Landes hinter Hyeon Chung (ATP 104).
Entgegen vieler Prognosen klettert der einstige Junioren-Dritte der Welt weiter nach oben. Gewann acht Future-Turniere und zählt dieses Jahr auf der Challenger Tour schon vier Halbfinals und einen Final.
So viel wie Duck-Hee Lee hat noch kein gehörloser Sport-Profi erreicht. Schon gar nicht im Tennis, wo «den Ball hören» eminent wichtig sei, schreibt die US-Zeitung «New York Times». Der Teenager aus Jecheon hört den Ball nicht. Spürt nur gewisse Vibrationen und muss sich auf Handzeichen der Linien- und Schiedsrichter verlassen.
Ist Duck-Hee Lee ein Wunderkind wie Ludwig van Beethoven? Der Deutsche wurde als zehnjähriger Bub taub und dennoch ein Kompositions-Genie. Tennis-Experte Heinz Günthardt meint zu BLICK: «Mit dem Racket geht es nicht um so präzise Töne wie mit dem Instrument. Sowieso klingt das Spiel in jedem Stadion und je nach Platz-Belag anders.» Wer wie Lee gar nie gehört habe, vermisse es auch nicht. «Ich glaube, der Unterschied ist nicht riesig.»
Schnelles Auge statt Gehör
Und doch sind sich viele Stars der Szene einig, dass der Klang von Federers Slice, Nadals Topspin oder Wawrinkas fadengerader Rückhand für die schnelle Reaktion auf höchster Stufe entscheidend ist. «Der Ton gibt die erste Information über den Schlag des Gegners. Noch bevor du den Ball siehst, rennst du los», sagt Ex-Spieler Andy Roddick.
Die New York Times bestätigt den US-Star mit einer Studie des «National Institute of Health»: Menschen reagieren schneller auf auditiven (140-160 Millisekunden) als auf visuellen (180-200) Reiz.
Tennis-Legende Martina Navratilova fühlte sich an den US Open stets vom Lärm der Flugzeuge gestört, nennt das Gestöhne der heutigen Spielerinnen gar Betrug. «Speziell am Netz, wo man blitzschnell reagieren muss, ist man abhängig vom Geräusch», meint sie.
Der heutige Weltbeste, Andy Murray, beklagte in Flushing Meadows den Regen, der aufs neue Stadiondach prasselte. «Wir benutzen die Ohren, nicht nur die Augen. Mit Stöpseln oder Kopfhörern wären wir niemals so gut.»
Duck-Hee Lee ist schon ziemlich gut. Durch Nebengeräusche wird er nicht gestört. Und er hat gerade wegen seines Defizits ein besonders schnelles Auge für die Reflexe des Gegners und die Form des fliegenden Balls entwickelt.
Günthardt, der oft entspannt mit Musik in den Ohren trainiert hat, ist überzeugt: «Das Visuelle ist viel wichtiger als der Ton. Jeder Tennisspieler schafft sich seine Realität selber. Wenn du denkst, ein Geräusch stört, hat es auch Einfluss auf dein Spiel.»
Duck-Hee Lee nennt seine nur 1,75 Meter Körpergrösse als Handicap, nicht die Gehörlosigkeit. Trotzdem traut er sich zu, bester Südkoreaner seit Hyung-Taik Lee (einst Nr. 36) zu werden und an die Spitze zu kommen.
Das Vertrauen legten ihm seine Eltern in die Wiege. Weil sie wollten, dass ihr Erstgeborener möglichst normal und selbstständig aufwächst, schickten ihn Mutter Mi-Ja Park und Vater Sang-Jin Lee auf normale Schulen, kommunizierten nie mit Gebärdensprache.
Sie wählten den Sport als Basis für die Integration in die hörende Welt. «Nicht nur als Hobby», sagt Mama Park, «Duck-Hee sollte damit Geld verdienen, eine Zukunft haben.»
Für den Tennis-Beethoven ist beides nur eine Frage der Zeit.