Jannik Sinner (22) hat seinen steilen Aufstieg vorläufig gekrönt: Der Südtiroler steht seit Montag zuoberst in der Weltrangliste. Ganz Italien ist stolz, mit ihm hat der Stiefelstaat erstmals in der Tennis-Geschichte eine Weltnummer eins.
Der schlaksige 1,88-Meter-Kerl aus dem Pustertal hat bislang eine Bilderbuch-Laufbahn hingelegt. 2020 feierte er den ersten ATP-250er-Titel, 2021 den ersten 500er-Turniersieg, 2022 folgte das erste konstant erfolgreiche Jahr auf hohem Level, 2023 der erste Masters-Erfolg und der Davis-Cup-Gewinn. Und 2024? Da hat Sinner seiner bemerkenswerten Entwicklung die Sahnehaube aufgesetzt. Erst mit dem ersten Grand-Slam-Titel in Australien – und nun mit seinem neuen Ranking als Weltranglistenerster.
Einst wollte niemand mit Sinner arbeiten
Einer, den Sinners Tennis-Märchen nicht überraschen wird, ist Stan Wawrinka (39). Der Romand gehört derselben Management-Agentur an wie der junge Norditaliener. Beide stehen sie bei Starwings Sports um Geschäftsführer und Gründer Lawrence Frankopan unter Vertrag.
Doch dass dem überhaupt so ist, hat auch mit dem Dafürhalten Wawrinkas zu tun. So erzählt es Tennis-Scout Fabio Della Vida gegenüber «Il Tennis Italiano». Das «älteste Tennis-Heft der Welt», wie das Magazin sich selbst bezeichnet, hat Sinner nach dessen Australian-Open-Triumph ein grosses «Special» gewidmet. Darin erzählt Della Vida, wie früh er bereits von Sinner beeindruckt gewesen sei, damals aber noch Schwierigkeiten gehabt habe, das junge Tennistalent der Agentur schmackhaft zu machen.
Als Sinner dann eines Tages das grosse Challenger-Turnier in Bergamo (I) für sich entschied und direkt daraufhin auch ein kleines 25’000-Dollar-Turnier im Trentino (I) gewann, verlor Della Vida die Geduld. Er ging auf seinen Chef Frankopan zu und gab diesem zu verstehen, er möge nun entweder diesen Jungen verpflichten oder aber ihm die Kündigung zuschicken.
An den US Open verblüffte Sinner alle
Nun, ganz ohne Erfolg blieb Della Vida mit seiner Hartnäckigkeit nicht – auch wenn Sinner nicht sofort unter Vertrag genommen wurde. Und genau hier kam Wawrinka ins Spiel, wie Della Vida berichtet: «Eines Abends haben wir uns in Monte Carlo mit Stan Wawrinka zum Essen getroffen. Und irgendwann kamen wir im Gespräch auf Jannik. Lawrence Frankopan wollte eigentlich einen Spieler verpflichten, der schon ein bisschen weiter war. Aber ich habe weiter auf Sinner bestanden. Stan, der ihn noch nicht so gut kannte, hielt zu Lawrence. Auch, um mich ein wenig zu ärgern. Doch der Zufall wollte es, dass Stan daraufhin an den US Open auf Jannik traf und diesen erst in vier Sätzen schlug.» Das Ergebnis damals: 6:3, 7:6, 4:6, 6:3.
Jener starke Auftritt des erst 18-jährigen Sinner habe Wawrinka tief beeindruckt – und auch ihm die Augen geöffnet. Della Vida erzählt: «Stan sagte zu Lawrence schliesslich: Lass dir diesen Jungen nicht entgehen, der ist richtig stark!»
Kurz darauf fanden Sinner und Starwings Sports endlich zueinander. Das war im Jahr 2019. Doch Della Vida scherzt noch heute mit seinem Boss: «Du bezahlst zwar mir den Lohn, aber wenn Stan dir nichts gesagt hätte, hätten wir Sinner womöglich nie genommen.»