BLICK: Hat die kleine Belinda schon von WTA-Finals geträumt, oder träumt ein Kind nur von Grand Slams und der Nummer 1?
Belinda Bencic: Ich habe die Saisonfinals schon verfolgt, als ich noch klein war. Als Kind sah ich die Bilder, die wir nun auch hier gemacht haben. Die acht Jahresbesten posieren, aufgeteilt in vier und vier, aufgeputzt in schönen Abendkleidern. Das hat mich immer fasziniert und ich wollte es einmal selbst erreichen. Gewinnst du einen Grand Slam, bist du beinahe automatisch dabei. Ich gehöre dieses Jahr durch meine Konstanz zu den besten Acht, die um den Weltmeistertitel kämpfen dürfen.
Wie ist das Gefühl, das ganze Jahr zu den Top-Spielerinnen zu gehören?
Ich bin stolz darauf. Es bedeutet, dass du nicht ein, zwei Zufallsturniere gewinnst und daneben oft in der ersten Runde oder gegen schlechter Klassierte verlierst. Beim Dubai-Titel war ich froh, so gut gespielt zu haben. Aber als ich in Moskau die Qualifikation für Shenzhen auf sicher hatte, habe ich mich mega gefreut. Die WTA Finals sind mein Bonus für eine super Saison.
Haben Sie in dieser je aus Verzweiflung geweint, wie in den Jahren zuvor?
Natürlich weinte ich noch nach harten Niederlagen, aber nicht mehr nach jeder. Aus echtem Unglück habe ich tatsächlich nicht mehr geweint, ich hatte keine grosse Krise mehr und bin nicht mehr längere Zeit unzufrieden.
Was haben Sie in der vergangenen Leidenszeit über sich herausgefunden?
Ich habe wohl am meisten über mich gelernt, als ich verletzt war. Es ist nicht einfach, mit Niederlagen umzugehen. Aber gar nicht zu spielen, vermisste ich tatsächlich sehr. Da merkte ich, wie sehr ich Tennis liebe, wie gerne ich spiele und wie ich auch diese Achterbahn der Gefühle in meinem Leben brauche.
Worauf sind Sie in Ihrer Entwicklung am meisten stolz?
Wohl schon darauf, dass ich es hierhin geschafft habe. Dieses Ziel hatte ich mir schon Anfang Jahr vorgenommen. Woche für Woche habe ich die Resultate gebracht, die es dazu braucht – das heisst, ich bin ausgeglichener geworden, auch darauf bin ich stolz.
In Wimbledon waren Sie enttäuscht, die Emotionen nicht im Griff zu haben. Haben Sie sich mental gebessert?
Auf jeden Fall, wir haben gute Arbeit geleistet. Ich spiele in den entscheidenden Momenten am stärksten und kann grossen Druck aushalten. Natürlich schaffe ich daran immer noch – wie alle Spielerinnen. Die mentale Herausforderung ist eine nie endende Geschichte im Tennis.
Arbeiten Sie konkret mit einem Mentaltrainer oder Psychologen daran?
Nein, die Verbesserung hat sich einfach so ergeben. Am besten lerne ich aus Niederlagen, dieses Jahr hat mir eben dieser Match in Wimbledon gegen Alison Riske am meisten gegeben. Das Gleiche ist mir danach nicht mehr passiert – ich habe nie mehr einen solchen Vorteil abgegeben und mich derart aufgeregt. Von Riske habe ich gelernt, dass ich es so nicht mehr machen darf.
Andre Agassi sagte einmal, das Auf und Ab in der Karriere zeige, dass nicht er selbst, sondern das Tennis launisch sei...
Da hat Agassi irgendwie recht. Heute gewinnst du, bist im Hoch mit den Emotionen und schon morgen fällst Du vielleicht ins Tief. Im Match selbst gewinnst du den Punkt, danach verlierst du wieder einen, musst dich aber trotzdem konzentrieren – die Gefühle ändern sich konstant und mega schnell. Am besten balancierst du das wohl aus, indem du Siege etwas weniger feierst und nach Niederlagen etwas weniger traurig bist. Aber das ist auch für mich sehr schwierig – obwohl ich neben dem Platz eine sehr positive Person bin. Da bin ich zwar auch nicht ruhig, sondern eher emotional. So ist halt mein Charakter.
Dank dem Sie aber auch so gut sind. Ist es also eine Gratwanderung?
Genau so ist es. Wegen meiner Art spiele ich oft gut, manchmal ist es auch zu viel. Ob man positiv in ein Match geht oder einen schlechten Tag hat – man muss permanent ausgleichen. Und wir Frauen sind manchmal ja noch launischer, das müssen wir dann auch noch ausblenden! Aber diese Saison habe ich die Balance etwas besser gefunden.
Die haben Sie auch im Umfeld gefunden – ist auch das ein Schlüssel zum Erfolg?
Ich weiss, dass ich das eigentlich in jeder Teamkonstellation gesagt habe. Aber dass es so wie jetzt am besten ist, zeigt sich ja in meinen Resultaten. Jede Spielerin muss die beste Situation für sich erst finden. Dafür braucht es auch schlechte Erfahrungen, um gewisse Umstände auszuschliessen. Wenn du herausfindest, was dich glücklich und zufrieden macht, führt das letztlich zum Erfolg.
Trennen Sie, Fitnesstrainer Martin Hromkovic und Ihr Vater-Coach Ivan Privates und Berufliches immer noch so gut?
Da haben wir überhaupt keine Schwierigkeiten. Neben dem Platz sehe ich meinen Papi als Papi und Martin als Freund. So leben wir alle zusammen und haben es sehr gut. Ich persönlich kann das noch genau so gut trennen wie zu Beginn unserer Beziehung.
In Moskau coachte Martin Sie auf der Spielerbank. Gewinnt er im Team immer mehr an Bedeutung?
Nein, er ist ja kein Tennistrainer. Aber da er ja immer dabei ist und hört, was mein Papi mir sagt, weiss er, was ich brauche. In Moskau sagte er mit zwischen den Games keine Dinge zum Tennis, erinnerte mich allenfalls an taktische Ratschläge, die mein Vater zuvor am Telefon gegeben hatte. Ich fand das eigentlich mega lustig. Ihm gelang es super, mich zu beruhigen, das nächste Game gewann ich immer – obwohl er zunächst extrem nervös war, als er auf den Platz kommen sollte (lacht).
Mussten Sie ihn beruhigen?
Ich hatte ihm gesagt, dass ich ihn auch auf den Platz hole, wenn ich 6:0, 5:0 führe...
Wie frisch sind Sie noch nach dieser langen Saison?
Nach Wuhan und Peking war ich recht müde. Aber seit Moskau reite ich auf der zweiten Welle der Euphorie. Zunächst fiel die Anspannung etwas ab. Aber jetzt, wo ich hier die Atmosphäre spüre und die anderen Spielerinnen sehe, fühlt es sich an, als stünde ich am Anfang oder in der Mitte der Saison. Ich bin so dankbar, dass ich hier bin! Auch in den Trainings fühle ich mich körperlich wirklich gut. Das ist anders als zum Saisonende an normalen Turnieren.
Was ist am Turnier in Shenzhen noch anders?
Dass nur acht Spielerinnen da sind, da muss jede wir viel mehr neben dem Tennis machen. Das Fotoshooting ging von halb zwei bis acht Uhr abends, bei der Auslosung waren alle dabei, die Medienarbeit dauerte eineinhalb Stunden. Dafür bekommen wir viele schöne Geschenke – das ist sehr cool! Shiseido ist Hauptsponsor, kosmetisch werden wir also verwöhnt! Ich glaube, ich muss einen extra Koffer für die Heimreise kaufen.
Zunächst steigt nun Ihr erster Match, der erste gegen die Weltnummer 1!
Ashleigh Barty spielt sicher mehr Slice und Topspin, das wird auf diesem eher langsamen und unregelmässigen Platz noch schwieriger. Ich muss mich vor allem auf mein Spiel konzentrieren. Aber alle fragen mich, wie ich meine Gruppe finde. Das kann ich gar nicht sagen – hier wählst du nicht aus, alle sind gut.
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