Marin Cilic, Sie haben 20 Millionen Dollar verdient, sind die Nummer 4 der Welt und haben die US Open 2014 gewonnen. Doch für den Grossteil unserer Leser dürften Sie ein Unbekanntersein. Wer sind Sie?
Ich stamme aus einem kleinen Ort mit nur 5000 Einwohnern, der bei den Katholiken sehr berühmt ist. Medugorje. Mehr als eine Million Pilger kommen dort jedes Jahr hin. Ich und Ivan Dodig wuchsen zusammen auf. Er ist im Doppel Grand-Slam-Champion geworden und schon mehrmals an den ATP Finals dabei gewesen. Für uns, aus diesem kleinen Dorf, ist dies sehr erstaunlich. Als wir begannen zu trainieren, hatten wir nur einen Tennisplatz. Tennis war für mich ein Traum. Ich hatte immer Goran (Ivanisevic, Anm. der Redaktion) als Idol. Während meiner ganzen Karriere war ich sehr fokussiert aufs Training.
Mit 14 Jahren zogen Sie dann wegen den besseren Trainingsbedingungen zu ihrem Götti nach Zagreb.
Ja. Wenn ich zurückblicke, kann ich die Trainings, die ich verpasst habe, an einer Hand abzählen. Vielleicht sinds zwei oder drei in meiner bisherigen Karriere. Ich war immer sehr engagiert, mich zu verbessern, hart zu arbeiten und bin bescheiden. Ich nehme die Dinge ernst, Schritt um Schritt. In schwierigen Lagen lasse ich den Kopf nicht hängen und schau positiv nach vorne.
Sie sagten, Sie stammen aus einem Dorf mit vielen Pilgerbesuchen. Wie ist ihr Verhältnis zur Kirche?
Ich bin sehr katholisch. Ich wurde in einer sehr katholischen Art aufgezogen. Jeden Sonntag gingen wir in die Kirche. Ich mochte das.
Waren Sie schon einmal beim Papst in Rom?
Ja, ich habe Papst Benedikt und Papst Franziskus gesehen. Leider habe ich sie nie persönlich getroffen, aber ich war nahe dran bei einer Audienz auf dem Petersplatz. Während des Turniers in Rom wird immer ein Ausflug für eine kleine Gruppe von Spielern organisiert. Speziell beim letzten Mal, bei Papst Franziskus, hatte ich Gänsehaut. Das war eine fantastische Erfahrung.
Wie war es mit 14 Jahren schon die Familie zu verlassen?
Einerseits war es grossartig. Daheim hätten die Eltern vielleicht mehr kontrolliert wegen den Hausaufgaben oder anderen Dingen. So war ich freier und entspannter, wie es einem als Teenager halt gefällt. Andererseits war es weg von der Heimat und der Familie nicht leicht. Ich musste mich selbst mehr fordern, musste früher reifer und unabhängiger sein. Um im Tennis Erfolg zu haben. Nebst der Schule stand ich jeden Tag auf dem Platz.
Wer hat Sie in ihrer Karriere am meisten geprägt?
Das ist eindeutig Bob Brett, mit dem ich schon in jungen Jahren gearbeitet habe und der bis 2013 mein Trainer war. Einen so erfahrenen Coach als Mentor zu haben, war für mein Spiel ideal. Ich habe viel von ihm gelernt. Ohne ihn hätte ich viel länger an die Spitze gebraucht.
Nebst Goran Ivanisevic ist auch Ivan Ljubicic, der aktuelle Coach von Roger Federer eines ihrer Idole. Wie ist ihr Verhältnis zu ihm?
Er war immer ein guter Freund von mir, als ich auf die Tour kam. Damals war er die Nummer 3 der Welt und stand mir immer mit Tipps zur Seite. Ich bewunderte immer seine Professionalität und wie er aus sich das Maxmum herausholte.
Sie sind auch ein grosser Fussball-Fan, zum Beispiel der AC Milan.
Das ist wahr. Ich verfolge den Fussball sehr. Weil wir aber stetig herumreisen, ists nicht immer ganz einfach auf dem Laufenden zu bleiben. Ich versuche es aber.
Was halten Sie von Ricardo Rodriguez? Zufrieden, wie er spielt?
Doch, doch. Ich muss aber gestehen, dass ich eher mit den kroatischen Spielern verbunden bin. Auch wenn ich die AC Milan unterstütze, bin ich gut befreundet mit Mandzukic, Modric oder Rakitic.
Rakitic stammt aus einem Dorf nicht weit von Basel.
Ich weiss. Ivan hat mir mal erzählt, dass er als Bub auch Tennis gespielt habe und sich dann zwischen Fussball und Tennis entscheiden musste. Ich glaube, er hat ganz gut gewählt.
Kroatien kämpft wie die Schweiz noch in der Barrage um die WM-Teilnahme. Schaffen es Ihre Landsleute gegen Griechenland?
Ich hoffe sehr. Die Griechen sind speziell in einer Barrage ein schwieriges Team. Sie spielen hart. Wir haben in der Quali nicht überzeugt. Aber die Spieler sind erfahren und wir werden die Gewinner sein.
Wie sind Ihre Gefühle als Basel-Titelverteidiger?
Im Rückblick habe ich mich in den letzten zwölf Monaten als Spieler weiterentwickelt. Ich verstehe mich selbst jetzt besser. Teile meines Spiels sind besser geworden. Ich bin auf gutem Weg, mein bestes Niveau zu erreichen. Ich hoffe, ich kann die positive Erfahrung vom letzten Jahr wiederholen.
Als Nummer 4 sind Sie so gut klassiert wie noch nie. Kanns noch weiter nach oben gehen?
Es sind nicht mehr viele Nummern übrig. Aber die Zahl 4 zeigt mir, dass ich extrem gut gearbeitet habe. Ich bin konstanter als je zuvor mit meinem Tennis. In meinen letzten sechs Turnieren habe ich fünfmal mindestens die Halbfinals erreicht. So kann ich die Jungs an der Spitze herausfordern. Andererseits ändert sich für mich nicht viel, ob ich die 4, 6 oder 8 bin. Ich konzentriere mich einfach aufs Tennis. Es wird immer Auf und Abs geben.
Viele Stars sind zurzeit langzeitverletzt. Ist das ein Problem fürs Tennis?
Meiner Ansicht nach ist es Zufall. Die Spieler an der Spitze sind, ich möchte nicht das Wort ‚alt’ verwenden, schon viele Jahre auf der Tour. Novak, Andy, Stan oder auch Nishikori und Raonic sind schon lange in den Top 10 oder 15. Es spielt keine Rolle, wieviele Turniere es gibt. Man stellt sich seinen eigenen Plan zusammen, der einem zusagt.
Es braucht also keine grundlegenden Änderungen?
Nein, nicht zwingend. Ich meine, Roger verpasste das zweite Halbjahr 2016 und kam stark zurück. Er hat während seiner Karriere Turniere und Ruhepausen immer ideal geplant. So kannst du den Körper fitter halten. Der Kalender ist lang, ich hätte ihn auch gern etwas kürzer. Aber welches Turnier soll man dann rauswerfen?
Haben Sie den verlorenen Wimbledon-Final gegen Federer rasch verdaut gehabt?
Ich war für einige Tage enttäuscht, dass ich nicht die besten Schläge hatte. Das war psychologisch schwierig. Ich wusste, dass ich grossartiges Tennis während der Rasensaison zeigte, aber ausgerechnet im Final gegen Roger nicht.
Bereuen Sie es, im Final angeschlagen gewesen zu sein?Natürlich. Aber ich möchte nicht, dass der Wert von Rogers Finalsieg geschmälert wird. Er spielte ein unglaubliches Turnier. Grossen Glückwunsch nochmals.
Wie ist ihre Beziehung zur Schweiz? Sie spielten schon in Gstaad, Genf und Basel.
Ich mag es in der Schweiz zu spielen. Die Bedingungen sind ideal. In Gstaad erreichte ich meinen ersten ATP-Halbfinal 2006 und in Genf 2005 meinen ersten Challenger-Titel. Alles gute Erinnerungen wie auch der Basel-Titel letztes Jahr. Leider habe ich von der Schweiz sonst nichts gesehen. Ich fahre sehr selten Ski, vielleicht komme ich nach meiner Karriere mal dazu.
Sie engagieren sich seit Juni 2016 mit der Marin Cilic Stiftung für Kinder und deren besserer Ausbildung, wurden dafür auch mit dem «Arthur Ashe Humanitarian Award» geehrt. Was bedeutet das für Sie?
Die Auszeichnung rührt mich. Ich bin sehr engagiert in wohltätiger Arbeit. Meine Stiftung möchte jungen Menschen die Chance geben, im Sport, der Kunst, der Kultur. Ich stamme selber aus einem kleinen Dorf und konnte mit dem Umzug nach Zagreb profitieren. Da bin ich sehr dankbar. Viele Kinder in ärmeren Regionen können dies nicht. Vielleicht gibt es viel mehr Mozarts oder Michael Jordans. Da möchte ich helfen.
Möchten Sie selber auch mal Familie haben?
Absolut. Dieses Jahr habe ich mich verlobt. Nun bereite ich mit meiner Verlobten Kristina die Hochzeit vor. Das Datum und so weiter. Aber es besteht keine Eile. Wahrscheinlich wird es nächstes Jahr soweit sein.