Vor drei Jahren beginnt in Paris die märchenhafte Auferstehung von Timea Bacsinszky – vom Hotel zurück an die Weltspitze. Alleine im Auto fährt sie die über 500 Kilometer von Lausanne in die Stadt, die seither eng mit ihrer Karriere verknüpft ist. «Es war ein Witz, was ich machte. Aber es war der Wendepunkt.» Vor einem Jahr folgt der Höhepunkt – mit der Halbfinal-Qualifikation bei den French Open.
Timea Bacsinszky, was ist es für ein Gefühl, wieder in Paris zu sein?
Viele Emotionen und sehr viele schöne Erinnerungen hängen an diesem Turnier. Ich habe in Paris unglaubliche Momente erlebt. Hier spüre ich jedes Mal dieses Kribbeln, diese Aufregung, diese Vorfreude, hier anzukommen. Und ich bringe immer viel Schweizer Schokolade mit, die ich in der Kabine an die Menschen verteile, die im Schatten arbeiten, aber dieses Turnier erst möglich machen. Für mich fühlt es sich ein bisschen so an, als würde ich in einen Klub gehen, wo ich alle kenne.
Hat sich das Gefühl verändert, nachdem Sie im letzten Jahr die Halbfinals erreicht haben?
Es hat mir gezeigt, zu was ich fähig bin und mein Ziel ist es, das zu wiederholen. Das ich es im letzten Jahr in die Halbfinals geschafft habe, ist märchenhaft. Aber ich erwarte deswegen nicht mehr von mir als im letzten Jahr oder in den Jahren zuvor. Ich gehe jedes Turnier mit der gleichen Einstellung an.
Mehr Druck verspüren Sie nicht?
Es kümmert mich nicht, was andere sagen und denken. Vom dem Moment an, wo du Aussergewöhnliches leistest, gibt es Menschen, die viel über dich reden, so ist das eben – weil unsere Resultate und unser Handeln öffentlich sind. Aber ich setze mich deswegen nicht mehr unter Druck. Nervös bin ich immer und ich weiss nicht, wie ich mich 30 Minuten vor dem Spiel fühle. Aber das ist überall so.
Wie haben Sie sich auf Paris vorbreitet?
Ich war eine Woche in Lausanne. Es ist schön, zuhause zu sein und im eigenen Bett zu schlafen. Für mich ist es sehr wichtig, ein paar Nächte in Lausanne zu verbringen. Mit meiner Familie zusammen zu sein und mir Zeit für mich zu nehmen. Es macht mich ausgeglichen und hilft mir, mit mir selber im Reinen zu sein. Ich mache das schon seit drei Jahren so und das funktioniert hervorragend für mich. Wie sagt man so schön: Ändere nie ein Team oder eine Taktik, die dich gewinnen lässt.
Fühlen Sie sich besser als im Vorjahr?
Sicher habe ich mehr Erfahrung als im letzten Jahr, dafür habe ich weniger Spiele gewonnen. Andererseits war ich auf Sand erfolgreicher. Man kann immer alles vergleichen, aber im Tennis fühlt sich keine Situation gleich an. Jede Auslosung ist anders. Es gibt Gegnerinnen, die mir mehr liegen und solche, die mir nicht liegen. Auch das Wetter spielt eine Rolle. Und es gibt Dinge, die du nicht vorhersehen kannst. Direkt vor dem Match oder direkt nach dem Match. Darum versuche ich, nicht zu viel zu vergleichen. Dimitri (Trainer Zavialoff, Anm. d. Red.) sagt mir immer, ich solle das nicht tun. Und Dimitri sagt viele gute Dinge (lacht).
Welche Lehren ziehen Sie aus dem Fed-Cup-Wochenende in Luzern?
Was vor, während und nach diesem Wochenende passiert ist, hat mir geholfen, zu verstehen, dass ich für mich spiele und für niemanden sonst. Ich bin, wie ich bin und jeder reagiert anders. Bei mir hat das vielleicht auch mit meinen schlechten Erfahrungen aus der Kindheit zu tun. Es hat mir gezeigt, dass ich kein Roboter und nicht unantastbar bin. Ich bin niemandem etwas schuldig. Gar niemandem.
Wie oft haben Sie den Halbfinal gegen Serena Williams vom Vorjahr noch einmal durchgespielt?
Diese Niederlage hat mir sehr weh getan, aber ich habe keine Albträume deswegen. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Es ist so, wie es ist. Für mich geht es darum, die Lehren daraus zu ziehen. Mich zu fragen, wieso ich nicht fähig war, diesen Match zu gewinnen. Wieso ich mein Niveau gegen Serena nicht steigern konnte. Es ist einfach, aus dieser Niederlage zu lernen.
Lernen Sie mehr aus Niederlagen?
Champions lernen auch aus ihren Siegen. Ich möchte Siege nicht kleinreden. Fragen Sie Roger Federer oder Novak Djokovic, wie sie diese Sieger-Mentalität entwickelt haben. Sie saugen dieses Gefühl auf und bewahren es in ihren Herzen auf.
Sie sind heute die Nummer 9 der Welt, wie fühlt sich das an?
Es erfüllt mich extrem mit Stolz. Ich möchte nicht aufhören, mich weiterzuentwickeln, ich möchte vorwärts kommen. Im Tennis, im Privatleben und mit allen Projekten, die ich im Kopf habe. Wir wissen ja nicht, wo uns das Leben hinführt.
Spüren Sie, dass sich Paris nach den Terror-Anschlägen im letzten Jahr verändert hat?
Weil ich erst seit Donnerstagabend in Paris bin, kann ich das noch nicht genau sagen. Aber es ist schrecklich, was hier passiert ist. Alle Attentate lösen in mir eine unvorstellbare Traurigkeit aus. Es ist etwas, das mich tief im Herzen erschüttert.
Wie sehr beschäftigt Sie das?
Ich sage mir, dass der Tod etwas ist, das ich nicht kontrollieren kann. Vielleicht sind wir irgendwann zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich möchte nicht mehr Angst haben deswegen. Egal wer, egal wo, egal wann – wir wissen nicht, was das Leben bringt. Wir können auch draussen auf der Strasse überfahren werden. Wir Menschen wollen alles um uns herum kontrollieren. Und wenn wir merken, dass wir nicht alles kontrollieren können, macht uns das Angst. Es löst eine Beklemmtheit aus.
Schmerzt es, dass Roger Federer nicht dabei ist?
Als ich es erfahren habe, war ich sehr traurig. Ich dachte, das kann nicht möglich sein. Es war unvorstellbar. Als er das letzte Mal nicht dabei war, war ich acht Jahre alt. Es ging mir ans Herz. Aber es gibt immer auch eine gute Nachricht. Jene, dass er im nächsten Jahr zurückkommt.
Sie wisse, dass sie manchmal philosophisch klinge. «Wenn du dich umschaust, gibt es so viele schlimme Dinge um dich herum, Krieg und Elend. Darum gibt es viele kleine Dinge, Momente und Emotionen, die wir schätzen sollten. Ich fühle so.» Für Timea Bacsinszky ist das Märchen zu Ende. Aber das Abenteuer geht weiter.