Als letzten Sonntag die ersten Hochrechnungen der eidgenössischen Wahlen liefen, posierte Marcel Dobler (35) noch im hautengen Bob-Rennkombi in der Lagerhalle eines Mannschaftskollegen. Fotoshooting für das «Bob A-Team».
Wenige Stunden später feierte Dobler mit FDP-Parteifreunden seinen Einzug in den Nationalrat. «Ich war sehr überrascht, dass es im ersten Anlauf geklappt hat», sagt Marcel Dobler, Vater zweier kleiner Kinder.
Mit dem St. Galler FDPler zieht ein sportliches Schwergewicht ins Bundeshaus ein. Dieser Mann ist 100 Kilo schwer und rennt 100 Meter in 11 Sekunden, die breiten Schultern zeichnen sich unter dem Sakko ab. «Ich konnte die Wähler offenbar davon überzeugen, dass ich als Sportler Beharrlichkeit mitbringe und es gewohnt bin, Leistung zu geben», sagt der Frischgewählte, dessen sportliche Karriere als Schüler auf dem Fussballplatz in Rapperswil SG begann.
Nach seiner Lehre als Elektroniker wechselte er in die Leichtathletik, wo er 2009 Schweizer Meister im Zehnkampf wurde. 2,5 Stunden trainierte er damals pro Tag – neben der Arbeit. Bis ihn eine Verletzung stoppte, kurz bevor er sich für die Leichtathletik-EM qualifizieren wollte.
Dobler suchte nach einem Sport, den er trotz spätem Einstieg auf gutem Niveau betreiben kann. Und so kam er über einen Kollegen zum Bobfahren. Im Winter 2014 rauschte er zum ersten Mal durch den Eiskanal in St. Moritz. «Die Kräfte sind unbeschreiblich. Ich erlebte den totalen Kontrollverlust.»
Der Bobsport hatte einen neuen, begeisterten Anhänger. Und einen kräftigen Anschieber mehr. In einer «absolut zusammengewürfelten Truppe» erreichten sie in ihrem zweiten Rennen letzten Januar den 5. Platz im Europacup. Derzeit trainiert das «Bob A-Team» für Europacup-Rennen im November und fährt im Januar im Weltcup in den USA mit.
Eine Session im Bundeshaus wird Dobler deswegen nicht auslassen: «Die Priorität liegt klar auf dem Nationalratsmandat.» Aber natürlich werde er in Bern trainieren müssen, Krafttraining über Mittag oder am Abend. «Es gibt doch eine Bundeshaus-Band. Wieso nicht bald auch eine parlamentarische Krafttrainings-Gruppe? Das würde dem einen oder anderen bestimmt guttun.» Und vielleicht kickt er bald im FC Nationalrat mit. «Als Knipser. Also jener, der vorne die Tore macht.»
In der grossen Kammer selber liegt sein Fokus nicht auf dem Sport, er will nicht besonders für seine Gilde lobbyieren. «Ich wurde primär als Vertreter der KMU gewählt. Als Unternehmer liegt dort meine Kompetenz.»
2001 gründete er mit zwei Studienkollegen Digitec, einen Onlineshop für IT- und Unterhaltungselektronik. 2012 knackte der Umsatz des Start-ups die 500-Millionen-Grenze. In jenem Jahr verkaufte das Gründungstrio 30 Prozent an die Migros. Einen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe soll der orange Riese dafür hingeblättert haben.
Letztes Jahr stieg Dobler bei Digitec aus. «Finanziell wäre es viel interessanter gewesen zu bleiben», sagt er, der nicht über erhaltene Millionen reden mag. «Aber ich will nie den einfachen Weg gehen und wage gerne Neues.»
Nur kleidertechnisch wird sich nichts ändern, in einem Anzug wird man Marcel Dobler kaum je in der Wandelhalle antreffen. «Das wäre nicht authentisch, das bin nicht ich.»
Dobler, das ist der bobfahrende Nationalrat.