Wir schreiben den 29. November 2008: Ein 22-jähriger Bündner namens Carlo Janka fährt bei der Abfahrt in Lake Louise mit der Startnummer 65 in sensationeller Manier auf den zweiten Rang. Nur der Italiener Peter Fill ist um acht Hundertstel schneller.
Zwei Wochen später startet der damals sehr wortkarge «Icemen» mit seinem ersten Weltcup-Triumph beim Riesenslalom in Val-d’Isère eine grandiose Erfolgsserie. Im Februar 2009 wird er Weltmeister im Riesenslalom, ein Jahr danach steht der leidenschaftliche Manchester United-Fan auch als Lauberhorn-Olympia- und Gesamtweltcupsieger da.
Doch dann stürzt der Überflieger erstmals ein Loch. Er erkrankt an einem Virus, der im März 2011 eine Operation am Herzen nötig macht. Wenige Tage nach diesem Eingriff feiert Janka zwar beim Riesen-Klassiker in Kranjska Gora eine triumphale Rückkehr, aber dann kommt der Mann, der sich im ersten Bildungsweg zum kaufmännischen Angestellten hat ausbilden lassen, jahrelang aufgrund von Rückenproblemen nicht mehr auf Touren.
Nur wenige glaubten noch an Janka
Im Februar 2016 gewinnt er zwar bei der Olympia-Hauptprobe in Südkorea in grandioser Manier den Super-G. Bei der richtigen Olympiade 2018 spielt Janka dann aber keine Rolle, weil er wenige Monate zuvor einen Riss am Kreuzband erlitten hat. Spätestens zu diesem Zeitpunkt haben nur noch wenige daran geglaubt, dass Janka noch einmal auf die Siegerstrasse zurückkehren könnte.
Zumal der frischgebackene Vater einer Tochter im letzten Herbst die meisten Gletscher-Trainings verpasst hat, weil es in seinem Rücken so richtig heftig gezwickt hat. Doch jetzt zeichnet sich in Lake Louise elf Jahre nach der ersten Janka-Sensation die ultimative Auferstehung des Obersaxers an. 24 Stunden nach seiner Trainingsbestzeit am Donnerstag setzt Janka im Abschlusstraining einen oben drauf – 58 Hundertstel vor dem Amerikaner Travis Ganong.
Österreichs Olympiasieger Matthias Mayer knöpft er 64 Hundertstel ab. Dieser traut seinen Augen kaum: «Ich bin total überrascht, wie stark Carlo plötzlich wieder Ski fährt. Nach diesen beiden Trainingsleistungen geht er für mich als absoluter Super-Favorit ins Rennen.»
Janka hat die Energie wieder gefunden
SRF-Experte Marc Berthod schlägt ähnliche Töne an: «Carlo hatte ja schon im letzten Winter immer wieder schnelle Abschnittszeiten, aber weil er des Rückens wegen nur noch wenig Krafttraining gemacht hat, fehlte ihm die Energie um die Rennen durchzuziehen. Doch diese Energie hat er jetzt wieder, weil er im Sommer wieder mehr in den Kraftbereich investiert hat. Nun fährt Carlo wirklich wieder konstant stark. Zudem laufen auch seine Ski sehr gut.»
Janka hat seine erste Trainings-Bestzeit fast ausschliesslich auf seine Rossignol-Ski zurückgeführt. Doch was sagt er nach seinem zweiten Ausrufezeichen? «Ich hatte auch diesmal einen sehr schnellen Ski an den Füssen, aber diesmal bin ich auch besser gefahren.»
Und glaubt er selber an seinen ersten Weltcupsieg seit fast vier Jahren? «Natürlich sind auch bei mir die Erwartungshaltungen nach diesen beiden Trainings gestiegen. Ein Rang in den Top-5 wäre für mich super, ein Top-10-Rang ok, alles andere wäre enttäuschend.»
«Janka wird um den Sieg fahren»
ORF-Experte Hans Knauss erwartet einen Fünfkampf um den Sieg: «Klar, Beat Feuz, Vincent Kriechmayr, Matthias Mayer und Dominik Paris werden sich im Rennen noch einmal deutlich steigern. Aber wenn Janka fährt wie im Training, wird er mit ihnen um den Sieg fahren».
Neben Janka machen uns im Abschlusstraining neben Janka auch die Youngstars Marco Odermatt (22, vierter Platz mit Startnummer 70!) und der Zürcher Niels Hintermann (24, Platz 13) Hoffnung. Hintermann zählt seit seiner Kindheit zu den grössten Janka-Fans: «Ich habe früher jeden Zeitungsartikel von Carlo gesammelt. Und ich habe auch in den letzten Jahren nie den Glauben daran verloren, dass er wieder an die Spitze zurückkehren wird. Wenn Janka gesund ist, ist er der beste Skifahrer der Welt.»
Ganz gesund ist Janka zwar noch nicht. «Ich habe nach wie vor Beschwerden. Aber sie sind längst nicht mehr so schlimm wie vor ein paar Wochen» sagt Janka selber. Bleibt zu hoffen, dass dieser Zustand bis zum Rennstart nicht wieder verschlechtert. Einen Wermutstropfen gibts von Marc Gisin. Weil er im zweiten Training eine Sekunde mehr verliert als bei seiner Comeback-Fahrt am Vortag, verzichtet er auf die Abfahrt am Samstag (20.15 Uhr).