Nach dem Rücktritt von Ex-Abfahrts-Weltmeister Peter Müller hat der Kanton Zürich im Ski-Zirkus 24 Jahre lang keine grosse Rolle gespielt. Doch jetzt haben zwei junge Zürcher innerhalb von drei Tagen zwei Siege bei zwei Klassikern eingefahren – nach dem sensationellen Triumph des Bülachers Niels Hintermann (21) in der Alpinen Kombination am Lauberhorn, gelingt Gilles Roulin aus Grüningen im Zürcher Oberland ein Exploit auf der Kitzbüheler Streif.
Im Gegensatz zu Hintermann zwar nicht im Weltcup, aber der 21-jährige Roulin hat gestern das schwierigste Rennen dieser Europacup-Saison gewonnen. Der Start war knapp oberhalb von der brutal steilen Mausefalle, das Ziel am Oberhausberg. «Als ich am Sonntag erstmals die Mausefalle und den Steilhang besichtigt habe, musste ich drei Mal leer schlucken», gibt der Zürcher mit welschen Grosseltern zu.
Doch Roulin wurde von einem der erfolgreichsten Streif-Bezwinger der Geschichte an die gefährlichste Abfahrt der Welt herangeführt – Franz Heinzer hat die Hahnenkamm-Abfahrt drei Mal gewonnen (1991 und zwei Mal 1992) und macht seit zehn Jahren einen exzellenten Job als Swiss Ski-Europacup-Trainer.
Vor der Europacup-Premiere auf der Streif hätte Heinzer aber nicht unbedingt auf einen Sieg von Roulin gewettet: «Ich habe viel eher auf einen Urs Kryenbühel getippt, der im Weltcup bereits auf der extrem schwierigen Piste in Santa Caterina Punkte gewonnen hat. Aber Gilles hat mit seiner feinen Technik in ganz toller Manier den Unterschied ausgemacht.»
Lange bevor er im Europacup erstmals Heinzer (Abfahrts-Weltmeister von 1991) begegnete, war mit Bruno Kernen der Abfahrts-Weltmeister von 1997 massgeblich an der sportlichen Entwicklung von Roulin beteiigt. «Ich habe mit meinen Eltern Ski-Ferien auf der Lenzerheide gemacht, ab dem neunten Lebensjahr bin ich dann aufs Snowboard gewechselt. Doch dank einem Freund meines Vaters bin ich dann in den Genuss von einem Ski-Tag mit Bruno Kernen gekommen. Bruno hat mich dazu motiviert, einem Ski-Club beizutreten.»
Nun könnte das einstige Boarder-Bubi zwölf Jahre nach dem richtungsweisenden Ski-Tag mit Kernen nächsten Freitag in Kitzbühel sein Weltcup-Debüt feiern. Doch Roulin verfolgt einen anderen Plan: «Weil ich vorletzte Woche bereits im Europacup-Super-G in Wengen als Dritter den Sprung auf das Podest geschafft habe, haben mir die Trainer einen Startplatz im Super-G in Kitzbühel gegeben. Doch ich habe mich entschieden, dass ich stattdessen am Freitag in Val-d’Isère einen Europacup-Riesenslalom bestreite. Ich denke, dass das für meine weitere Entwicklung als Rennfahrer mehr Sinn macht.»
Dass sein Horizont weit über die Skispitzen hinaus geht, beweist der Zürcher mit seiner «Nebenbeschäftigung». Der C-Kader-Pilot absolviert ein Jura-Fernstudium. Und dafür wird der Swiss-Ski-Musterschüler am kommenden Wochenende besonders weite Wege gehen: «Nach dem Europacup-Riesen in Val-d’Isère werde ich am Samstag in Freiburg eine Prüfung schreiben. Danach fahre ich wieder zurück zum Europacup nach Frankreich.»
Diese extreme Doppelbelastung gibt Roulin ein Gefühl von Sicherheit: «Der Skirennsport ist nun einmal sehr gefährlich, ein einziger Sturz kann diese Karriere beenden. Deshalb will ich mein Studium mit allen Konsequenzen durchziehen.»
Roulins Ski-Kamerad Hintermann muss in dieser Woche dagegen eine rein sportliche Reifeprüfung ablegen – der Sensationssieger von der Lauberhorn-Kombination trainiert ab Morgen erstmals auf der Original-Streif. Das für heute geplante Training musste wegen starken Schneefällen abgesagt werden.