Unglaublich! Bei Slalom-Halbzeit in Adelboden liegen vier Schweizer in den Top 5. Auf Rang 3 auch der grippegeschwächte Ramon Zenhäusern. BLICK gab er vor dem Rennen Auskunft. Der Walliser blickt auf turbulente Tage zurück.
BLICK: Ramon, im Schweizer Team sind in den letzten Tagen einige Athleten und Trainer an Grippe erkrankt. Blieben Sie verschont?
Ramon Zenhäusern: Leider nein. Ich musste in der Nacht auf Samstag mehrmals erbrechen. Aber jetzt fühle ich mich deutlich besser, bin für den Sonntag zuversichtlich.
Kurz vor Weihnachten mussten Sie Ihre Freundin Tanja Hüberli wegen einer Lungenembolie ins Spital begleiten. Wie geht es ihr?
Den Umständen entsprechend sehr gut. Sie muss im Moment noch Blutverdünner einnehmen. Ende Januar wird sie einen medizinischen Test absolvieren. Danach wird entschieden, ob sie Anfang Februar ins Trainingslager nach Rio einrücken kann.
Welches war für Sie in dieser Zeit der schlimmste Moment?
Es war sehr beängstigend mitzuerleben, wie sie plötzlich nach zwei Tritten beim Treppenlaufen völlig ausser Atem war. Da habe ich mir grosse Sorgen gemacht. Ziemlich eingefahren sind mir auch die Stunden, als ich Tanja nach der Operation im Überwachungszimmer besuchte.
Was ist da abgelaufen?
In diesem Zimmer werden Patienten nur durch einen dünnen Vorhang voneinander abgegrenzt. Deshalb habe ich an Tanjas Bett gehört, wie ein anderer Patient herumgeröchelt oder geschnarcht hat. Sie musste rund 26 Stunden auf dieser Station verbringen. Der absolute Horror!
Hat man in der Zwischenzeit den Auslöser gefunden?
Da muss ich kurz ausholen. Ich trainiere seit Jahren oft im Wasser und habe Tanja wiederholt das Schwimmen schmackhaft gemacht. In Teneriffa wollte sie ein intensiveres Training im Wasser absolvieren, aber nach wenigen Minuten im Wasser hatte sie zwei Quallenbisse am Körper. Die Ärzte sind sich zwar nicht zu 100 Prozent sicher, aber vielleicht haben diese Quallenbisse zu einer Thrombose geführt, die diese Lungenembolie ausgelöst haben könnte.
Ihre Freundin gehört zu den erfolgreichsten Beachvolleyballerinnen Europas. Können Sie von ihrer Sportart Elemente übernehmen, die Sie als Skirennfahrer weiterbringen?
Auf jeden Fall. Sie hat mir Übungen gezeigt, mit denen ich meine Hüfte stärken konnte. Im Sand hochspringen und den Ball übers Netz schmettern – das kommt einem perfekten Rumpftraining gleich.
Immer mehr Skirennfahrer glauben, dass sie ihre Leistungsfähigkeit durch vegetarische oder gar vegane Ernährung steigern können.
Denken Sie auch über eine Änderung des Menüplans nach?
Ich habe mit Tanja den Film «Game Changers» gesehen, wo erfolgreiche Leute erzählen, wie sie ihre Leistung durch fleischlose Ernährung steigerten. Tanja isst seither kaum noch Fleisch. Aber weil es noch keine Studie gibt, wie sich vegetarische oder gar vegane Ernährung langfristig auf einen Sportler auswirkt, esse ich nach wie vor sehr gerne ein Steak. Doch auch ich achte darauf, dass ich nicht zweimal am Tag Fleisch esse.
Sie gehören mittlerweile zu den populärsten Schweizer Sportlern. Gibt es Momente, in denen Ihnen der Rummel lästig wird?
Ich lese derzeit die Biografie von Marcel Hirscher, in der beschrieben wird, wie sehr er den Skisport geliebt hat. Marcel erzählt aber auch, dass ihm das ganze Drumherum oft zu viel wurde. Ich bin im Vergleich zu Marcel auf der Erfolgsskala eine kleine Wurst, kann das trotzdem sehr gut nachvollziehen. Bei mir kommt es zwar nur selten vor, aber manchmal wird es auch mir zu viel. Deshalb geniesse ich jeden Moment auf der Rennpiste, dort hat man seine Ruhe.
Vermissen Sie Marcel Hirscher?
Ich finde es zwar schon gut, dass seit seinem Rücktritt ein Platz mehr frei ist auf dem Podest. Aber als Mensch fehlt er mir. Er ist ein hochanständiger Typ, der als Superstar auch schon vor meinen ersten guten Ergebnissen im Weltcup sehr freundlich mit mir gesprochen hat. Hirscher ist wie Roger Federer.
Seit der 173 Zentimeter kleine Hirscher weg ist, wird das Slalom-Podest regelmässig von gross
gewachsenen Athleten besetzt. In Zagreb haben Sie mit Ihren 2,02 Metern den 2. Rang hinter dem 1,91 Meter langen Clément Noël belegt. Der 1,89 Meter grosse Italiener Alex Vinatzer wurde Dritter. Werden die Riesen den Slalom längerfristig dominieren?
Didier Plaschy behauptet seit vielen Jahren, dass gross gewachsene Athleten im Slalom einen Vorteil haben, sobald sie ihre körperliche Balance vollends im Griff haben. Ich sehe das mittlerweile ähnlich. Es ist für mich eine Augenweide, wenn ich Clément Noël im Slalom zuschaue. Gleichzeitig erwarte ich in Zukunft eine extrem starke Slalom-Mannschaft aus Kroatien, obwohl dort einige nur mit einer durchschnittlichen Körpergrösse ausgestattet sind. Die jungen Istok Rodes und Elias Kolega werden von Ivica Kostelics Vater Ante gecoacht. Was die im Training aufführen, ist brutal. Ich behaupte, dass die auf den Ski mehr als den doppelt so grossen Umfang wie ich trainieren.
Sie wurden jahrelang mit teilweise revolutionären Methoden von Didier Plaschy trainiert, der jetzt als Co-Kommentator beim SRF tätig ist. Hat Didier im TV schon Dinge erzählt, mit denen Sie nicht einverstanden waren?
Didier bittet mich nach seinen Übertragungen immer wieder um ein Feedback. Nach dem Slalom in Val d’Isère habe ich ihm gesagt, dass ich mich nicht immer so weit zum Fenster hinauslehnen würde. Beim Rennen auf der Face de Bellevarde hat er bei der Fahrt von Alexis Pinturault mit der Startnummer 1 behauptet, dass man das schneller fahren könne. Am Schluss hat Pinturault das Rennen mit grossem Vorsprung gewonnen. Aber ansonsten macht er seinen Job sehr gut.
Wie beurteilen Sie die Leistungen der anderen SRF-Ski-Kommentatoren, die zuletzt vom Publikum heftig kritisiert wurden?
Die haben einen verdammt schwierigen Job. Während wir zu Hause vor einem riesigen Bildschirm sitzen, quetschen sich die Reporter im Zielraum in eine enge Kabine, in der es nur einen kleinen Monitor gibt. Aber dass sich diese Leute enorm gewissenhaft auf ihre Einsätze vorbereiten, beweist das Beispiel von Michèle Schönbächler, die mich im letzten Sommer auf den Gletscher in Saas-Fee begleitet hat, um zu sehen, was in diesen Trainingseinheiten genau abläuft. Schauen Sie sich ab und zu ein Skirennen im österreichischen oder deutschen Fernsehen an? Früher habe ich manchmal zu den Ausländern gezappt, aber seit ein paar Jahren schaue ich Ski ausschliesslich im Schweizer Fernsehen.
Würden Sie sich als Patriot bezeichnen?
Ja, ich liebe die Schweiz.
Wie textsicher sind Sie bei der Nationalhymne?
Da habe ich leider noch Defizite. Aber wegen mir wurde bei Skirennen auch noch nicht so oft die Hymne gespielt ...
Zu einem Patrioten gehört auch, dass er das Jassen beherrscht. Bei Ihrem TV-Gastspiel im «Samschtig-Jass» haben Sie aber viele Differenzpunkte kassiert. Was ging da schief?
Moderator Reto Scherrer hat mich interviewt, während ich die Karten aufnahm. Dabei habe ich den Trumpf-Bauer übersehen. Und deshalb in einem Spiel über 40 Punkte mehr gemacht als angesagt.
Lassen Sie uns zum Abschluss über den Slalom am Sonntag in Adelboden reden. Welche Erinnerungen verknüpfen Sie mit Ihrer ersten Begegnung mit dem Chuenisbärgli?
Ich habe als Bub meinen Vater ans Chuenisbärgli begleitet, der dort seit vielen Jahren als Reporter für den Walliser Radiosender RRO im Einsatz ist. Mario Matt gehörte damals zu meinen Vorbildern, weil der Österreicher da schon bewiesen hat, dass man mit einer Körpergrösse von 1,90 Metern die kurzen Slalom-Ski sehr schnell bewegen kann. Ich wollte deshalb unbedingt nach dem Rennen seine Startnummer. Als ich ihn gefragt habe, hat er aber Nein gesagt. Ich habe danach ein kleines, herziges Mädchen auf Matt angesetzt – und ihr hat er seine Nummer gegeben. Und das Mädchen hat sie dann mir weitergegeben.