Hatte Marco Odermatt vor seiner Abfahrt zum Riesen-Drama etwa eine böse Vorahnung? Der Reihe nach.
Am letzten Mittwochabend ist der BLICK-Reporter in Gröden mit Odermatt zu einer Partie Tischtennis verabredet. Vor dem ersten Ballwechsel macht der Chronist den Sieger vom Super-G Beaver Creek auf seine vielversprechende Ausgangslage im Gesamtweltcup. Der Nidwaldner winkt ab: «An den Gesamtweltcupsieg denke ich wirklich überhaupt nicht. Ich weiss schliesslich, wie schnell man in diesem Sport durch irgend eine Verletzung zurückgeworfen werden kann.»
Vier Tage nach dieser Aussage läuft auf der selektiven «Gran Risa» in Alta Badia für Odermatt zunächst alles gut – im ersten Durchgang fährt einzig der Norweger Nestvold Haugen schneller als unser 22-jähriges Top-Talent.
Aber dann nimmt das Drama im Final bereits nach fünf Toren seinen Lauf – Odermatt kommt nach einem «Verschneider» weit von der Ideallinie ab und würgt sich mit grösster Mühe ins nächste Tor. Bei diesem Manöver verliert er auf den späteren Sieger Henrik Kristoffersen eine gute Sekunde. Odermatt nimmt dann aber noch einmal in grandioser Manier Fahrt auf und knöpft dem überragenden Norweger zwei Zehntel ab.
«Sofort Schmerzen verspürt»
Kurz vor Ultimo bekommt sein rechtes Knie aber einen heftigen Schlag ab. «Ich habe den Schmerz sofort gespürt», sagt Odermatt später. Trotzdem kämpft er sich durch die letzten Tore und schwingt mit der fünftbesten Zeit im Ziel ab. Dort sackt er aber mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen und muss mit der Barre in den Notfall-Container gebracht werden.
Schwester Alina vergiesst auf der Tribüne Tränen. Marcos Vater Walti, der am Frühstücksbüffet vor lauter Nervosität keinen Bissen hinunter gebracht, eilt mit sorgenvoller Miene hinterher. Auf eine genaue Diangose müssen die Odermatts aber bis heute warten. Ein MRI in der Zürcher Balgrist-Klinik soll am Vormittag ultimative Klarheit schaffen.
Ein Kreuzbandriss würde für Marco das vorzeitige Ende dieses Winters bedeuten. Beni Matti, Rennchef von Odermatts Ski-Ausrüster Stöckli, rechnet aber eher mit einer anderen Diagnose: «Marco hat sich im Ziel über besonders starke Schmerzen beklagt. Und ein Kreuzbandriss verursacht im Normalfall nicht derart starke Schmerzen. Deshalb glaube ich eher an eine Verletzung im Meniskus-Bereich.» 2017 hat Odermatt wegen einer Meniskus-Verletzung die Heim-WM in St. Moritz verpasst, beim letzten Weltcupfinal hat sich der sechsfache Junioren-Weltmeister am Aussenmeniskus verletzt.
Das eine Verletzung in diesem Bereich auch ganz schnell verheilen kann, hat 1985 Pirmin Zurbriggen bewiesen, welcher rund zwei Wochen nach einer Meniskus-OP in Bormio Abfahrts-Weltmeister wurde. Hoffen wir, dass Marco Odermatt 35 Jahre später eine ähnliche Alpin-Geschichte schreibt. Gegen Abend dürfte die Diagnose an die Öffentlichkeit gelangen.