Gestern Vormittag, es ist kurz vor halb zwölf. Die Schweizer Abfahrer absolvieren ein exklusives Training auf der WM-Strecke «Corviglia». Bei zwei von vier Trainingsläufen verläuft auf der perfekt präparierten Piste unter dem stahlblauen Himmel alles ziemlich reibungslos.
Doch plötzlich ist ein immer lauter werdender Schrei zu hören – es ist die Stimme von Beat Feuz! Was ist denn hier los? Der Kugelblitz hat den ersten Streckenabschnitt nahezu fehlerfrei gemeistert und fährt mit entsprechend hoher Geschwindigkeit auf den Sprung über die Mauer zu. Dann hebt er ab. Seine Augen werden immer grösser, die Anspannung immer heftiger.
Abfahrts-Co-Trainer Vitus Lüönd, bis vor zwei Jahren selber ein furchtloser Weltcup-Abfahrer, flucht während des Flugs von Feuz in seine Videokamera: «Tami, dieser Sprung geht viel zu weit. Wenn das nur gut geht!»
Dank der aussergewöhnlichen Klasse von Feuz hat die Geschichte aber ein Happy
End – er landet nach sagenhaften 84 Metern einigermassen sicher. Und auch sein arg lädiertes Knie bleibt bei diesem Wahnsinns-Satz bis in die Fläche unversehrt.
Sprung zu gefährlich
Für den 29-Jährigen Emmentaler steht aber fest: «An dieser Stelle muss sich bis zur WM etwas ändern, so ist der Sprung zu gefährlich. Und ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich zuvor jemals derart weit gesprungen bin.»
Sein Trainer Sepp Brunner nickt: «Die Mauer ist tatsächlich grenzwertig, da muss vor dem Absprung durch eine Veränderung der Kurssetzung unbedingt das Tempo gedrosselt werden. Aber sonst haben die St. Moritzer einen tollen Job gemacht, die Piste ist hervorragend präpariert.»
Neben dem viel zu weiten Sprung über die Mauer stösst Brunner momentan nur etwas sauer auf: Dass die Amerikaner nicht wie abgemacht mit den Schweizern auf der WM-Strecke trainieren können (im BLICK).
«Unser Alpinchef Stéphane Cattin wusste seit letztem Sommer von unserem Abkommen mit den Amis», erklärt Brunner. «Und er hat das Vorhaben immer unterstützt, damit wir im Gegenzug in ihrem sensationellen Trainingszentrum in Copper Mountain trainieren können. Doch jetzt hat man vor einer Woche alles unterbunden, und das ist nicht in Ordnung.»
Brunners Schlussfolgerung: «Ich erwarte von meinen Chefs, dass sie im November vor die Gruppe stehen und erklären, warum wir in Nordamerika keine guten Trainingsbedingungen mehr vorfinden.»