Es gibt keine aktive Skirennfahrerin, die Sölden besser kennt als Franziska Gritsch (23). Hier wuchs sie auf, hier machte sie ihre ersten Ski-Schwünge, hier trainierte sie tausende Stunden. Eine Situation wie diesmal hat sie aber noch nie erlebt. Keine Zuschauer, kein Bier, keine Party – dafür überall Desinfektionsmittel, Masken und Warntafeln. Corona hat den Weltcup fest im Griff. «Das ist schon bitter. Das Rennen findet praktisch vor meiner Haustüre statt. Doch nun gibt es null Emotionen, nichts», so Gritsch. Sie landet auf Platz 24, was den Frust verdoppelt. Trost gibt es nicht. «Normalerweise ist meine ganze Familie im Zielbereich. Und viele Freunde fahren zum Gletscher hoch. Diesmal durfte jedoch niemand mitkommen, die Regeln sind klipp und klar. Ich verstehe das, hart ist es trotzdem», haucht Gritsch durch ihre Schutzmaske.
Die Szenerie am Fusse des Rettenbachgletschers auf 2670 Meter ist in der Tat trist. Immerhin: Weil es in diesem Jahr früh geschneit hat, sind die Felsen rund um die Piste frisch bepudert. Winter-Feeling, wenigstens das. Aber sonst? Gähnende Leere. Gerade einmal 1390 Personen (statt 25'000) durften rauf – Athletinnen, Betreuer, Staff und Journalisten. Und einige VIPs. Die traditionell lautstarken Fans fehlen an allen Ecken und Enden.
Auf der riesigen fixen Tribüne verlieren sich gerade einmal ein paar Dutzend Menschen, sie stehen da, schauen auf den Rennhang oder die Video-Wall, fingern gelangweilt auf dem Handy rum. Weiter unten, wo normalerweise ein DJ von Hitradio Ö3 die Massen anheizt, ist es gespenstisch. Leicht bekleidete Girls, die auf einer Bühne zum Rhythmus von wabernden Bässen tanzen? Nein, diesmal nicht. Einzig ein Speaker sorgt während der Läufe dafür, dass so etwas wie Weltcup-Normalität herrscht. Ob es ihn braucht, sei dahingestellt.
Die Fahrerinnen stört das Ganze wenig. Wer schon mal bei einem Weltcuprennen in Lake Louise (Ka) oder Val d’Isère (Fr) war, weiss: Dort gibt es seit jeher Geisterrennen – einfach weil sich niemand für den Frauen-Weltcup interessiert. Im Party-Mekka Sölden ist das anders, da sorgt der Alkoholkonsum schon mittags bei Hunderten für Gleichgewichtsstörungen. Gejubelt und gejohlt wird trotzdem. Aber nicht 2020.
«Es ist wirklich ungewöhnlich ruhig, auch im Städtchen. Ich habe damit aber kein Problem», sagt Michelle Gisin (26). Sie konzentriere sich sowieso auf sich selbst. Mit Erfolg. Die Engelbergerin wird Vierte und beste Schweizerin. Auch Lara Gut-Behrami (29), die Achte wird, bläst ins gleiche Horn. «Im Fussball macht es schon einen Unterschied, ob Fans da sind oder nicht. Da gibt es auch einen Heimvorteil. Wir aber sind wie immer am Berg und fahren runter. Auf unsere Leistung hat das keinen Einfluss», so die Ehefrau von FC-Genua-Spieler Valon Behrami (35). Etwas anderes macht ihr mehr Sorgen: «Der Markt leidet unter den fehlenden Zuschauern. Und damit auch die Leute, die von ihm abhängig sind.» Wendy Holdener (27) vermisst die Fans dagegen schon. «Im Ziel war es so still, niemand feierte, es gab kein Jubel – es war einfach komisch», so die Schwyzerin.
Zurück zu Gritsch, die enttäuscht den Zielraum verlässt. Sie blickt in die Zukunft. «Es sind aktuell harte Zeiten. Aber sie werden vorübergehen. Ich weiss nicht wann, aber hoffentlich bald.»