Thomas Tumler ist in Samnaun GR in einer besonderen Umgebung gross geworden. Einen Steinwurf von seinem Elternhaus entfernt, wohnt mit Martin Hangl eine echte Alpin-Legende. Die beiden Nachbarn haben einen speziellen Bezug zu 1989: Hangl gewann in jenem Jahr in Vail (USA) WM-Gold im Super-G, Tumler erblickte nur wenige Monate später das Licht der Welt.
35 Jahre später sitzen der Altmeister und der Riesen-Aufsteiger der letzten Saison gemeinsam bei einem Espresso im Dorfzentrum. Hangl zeigt dabei Richtung Skilift Musella: «Auf diesem Hang habe ich die Basis zu meiner Karriere gelegt. Und ein paar Jahre nach meinem Rücktritt ist mir hier auch erstmals der kleine Tumler aufgefallen. Obwohl Tommy damals erst sieben oder acht war, ist er saufrech und entsprechend schnell Ski gefahren.»
Das hochprozentige Mittel gegen die Nervosität
Hangl interessierte sich auch deshalb früh für den «kleinen Tumler», weil er einst mit dessen Mutter zur Schule ging. Tumler verlor seine geliebte Mama schon früh, er war erst 19, als sie den Kampf gegen den Krebs verlor. Womöglich beeinträchtigte dieser Schicksalsschlag auch seine sportliche Entwicklung, jedenfalls dauerte es bis zum 26. Lebensjahr, ehe sich Tumler 2016 als Achter beim Super-G in St. Moritz erstmals in den Top-10 eines Weltcuprennens klassierte. Im Dezember 2018 feierte er zudem beim Riesenslalom in Beaver Creek seinen ersten Weltcup-Podestplatz.
Danach allerdings blieben solche Top-Ergebnisse für lange Zeit aus. Phasenweise litt Tumler unter heftigen Rückenbeschwerden. Zudem scheiterte der sensible Edeltechniker immer wieder an seinen Nerven. «Ich war jeweils in der Nacht vor einem Rennen derart nervös, dass ich kaum schlafen konnte.» Letztendlich bekam Tumler, dessen Bruder Julian in Samnaun das elterliche Spirituosen-Geschäft weiterführt, dieses Problem mit einem hochprozentigen Hausrezept in den Griff. «Seit ich am Abend vor dem Wettkampf einen kleinen Whisky-Shot trinke, schlafe ich richtig gut.»
Die eindrückliche Bilanz
Im letzten Winter glänzte der Schweizer Team-Senior denn auch wieder mit starken Ergebnissen – in den fünf letzten Weltcup-Riesenslaloms klassierte sich Tumler ausnahmslos in den Top-8. Beim Finale in Saalbach krönte der bald 36-Jährige seine Saison mit dem dritten Rang. «Der Hang in Saalbach ist wie gemacht für uns Samnauner», ist Hangl überzeugt und liefert den geschichtlichen Beleg für seine These: «Ich habe 1988 beim Weltcupfinal in Saalbach nach einem längeren sportlichen Tief innerhalb von 24 Stunden den Super-G und den Riesenslalom gewonnen. In dieser Phase hatte ich auch das Glück, dass ich mit Pirmin Zurbriggen den damals besten Rennfahrer der Welt in meinem Team hatte. Von ihm konnte ich wahrscheinlich gleich viel lernen, wie du in der heutigen Zeit von Marco Odermatt.»
Tumler stimmt zu: «Ich kann von Odi als Team- und Stöckli-Markenkollege enorm profitieren. Früher habe ich mich eine Woche vor dem Rennen auf ein Material-Setup festgelegt, bis ich mitbekommen habe, dass Odi oft fünf Minuten vor dem Start die Ski wechselt. Irgendwann war mir klar, dass ich das auch machen muss.»
Der schreckliche Sturz
Während Tumler offensichtlich im hohen Rennfahreralter immer stärker wird, erinnert sich Hangl an seinen sportlichen Niedergang kurz nach seinem 27. Geburtstag zurück: «Wir haben damals in Zermatt bei grenzwertigen Bedingungen trainiert. Es lag nur wenig Schnee und die Piste war nicht gut genug abgesichert. Deshalb bin ich nach einem Sturz in den Steinen gelandet. Es hat sechs Stunden gedauert, bis ich im Spital mein Bewusstsein wieder erlangt habe. Dieser Crash hat mir derart zugesetzt, dass ich danach nie mehr richtig in Fahrt gekommen bin. Deshalb habe ich ein Jahr später meinen Rücktritt erklärt.»
Diesen Tiefschlag hat Hangl, der in seiner Heimatgemeinde ein florierendes Sport- und Modegeschäft betreibt, aber längst verdaut. «Während ich unmittelbar nach dem Unfall dem Herrgott immer wieder den Vorwurf gemacht habe, dass er mich in diesem Training ins Verderben geführt hat, bin ich dem lieben Gott heute unendlich dankbar, dass ich derart glimpflich davon gekommen bin. Mir ist klar geworden, dass dieser Sturz auch tödlich hätte enden können.»
Hangl und Tumler teilen Fussballbegeisterung
Hangl gehörte bis zu seinem Unfall in Zermatt zu den besten Fussballern der Ski-Nati, Tumler ist leidenschaftlicher Fan vom FC Bayern München. Er freut sich aber auch, dass ihm in Samnaun gelegentlich eine Legende von Manchester United über den Weg läuft. «Der Holländer Ruud van Nistelrooy verbringt in Samnaun seine Ski-Ferien, zuletzt bin ich ihm im vorigen Winter begegnet. Ruud ist trotz seiner riesigen Erfolge ein bescheidener, richtig liebenswerter Kerl geblieben.»
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 24. Oktober 2024.