BLICK: Lara Gut holte in diesem Winter neun Podestplätze, fünf Mal gewann sie. Der Druck auf sie wird bei der WM enorm sein. Müssen wir befürchten, dass sie daran zerbricht?
Urs Lehmann: Nein, sie wird damit umgehen können.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Lara ist menschlich enorm gereift, ihre Entwicklung ist unglaublich. Sie stand ja schon mit 17 im Rampenlicht. Das war für die zweifache WM-Medaillengewinnerin 2009 in Val-d’Isère keine einfache Situation – jede andere wäre wohl masslos überfordert gewesen. Auch ihr ist nicht alles gelungen. Aber mich hat beeindruckt, wie sie bereits in jungen Jahren alles organisiert hat, um Erfolg zu haben.
Das «Team Gut» und Swiss Ski hatten aber auch Zoff ...
Es war nicht immer alles perfekt, klar. Gut ist aber längst näher an das Team herangerückt, ihr Vater ist ja auch beim Verband angestellt. Lara profitiert vom Team und das Team von ihr.
Ist das der grosse Verdienst von Frauen-Cheftrainer Hans Flatscher?
Er war sicher mitentscheidend. Dank Hans sind wir bei den Frauen seit Jahren im Vorwärtsgang – das ist sensationell. Die Entwicklung ist hervorragend, da steckt eine Super-Dynamik drin.
Lara Gut muss die Medaillen bei der WM aber zuerst gewinnen ...
Das ist so. Und es gibt natürlich Faktoren, die nicht kontrollierbar sind: das Wetter, die Piste, die Gegnerinnen. Für mich war aber spannend zu sehen, wie sich Lara nach dem Gesamtweltcupsieg im letzten Winter gegeben hat. Sie hat nun ein neues Standing als früher, alle schauen sie anders an, da sie ein echter Champion ist. Aber sie hat es gepackt – trotz mehr Medienrummel und Sponsorenanfragen. Lara hat die Reife, sie steht über allem.
Auch der Hype rund um Mikaela Shiffrin scheint Lara nicht zu verunsichern. Einverstanden?
Genau, Lara ist sehr stabil. Sie geht unbeirrt ihren Weg, das gefällt mir. Sie hat keine Scheuklappen, ist aber sehr fokussiert.
Gut polarisiert aber auch. In Courchevel (Fr) und Semmering (Ö) kritisierte sie die FIS öffentlich. Muss das sein?
Als Tessinerin hat sie etwas mehr Temperament als wir Deutschschweizer. Das muss raus! Davon lebt sie auch beim Skifahren. Ich finde: Man soll auch Emotionen zeigen dürfen.
Mélanie Meillard ist eine der positiven Überraschungen des Winters. Mit 18 Jahren hat sie nichts zu verlieren, kann unbelastet an die WM. Liegt eine Sensation wie einst bei Lara für sie drin?
Ich gebe zu, dass ich diesen Gedanken auch schon hatte. Man darf nicht damit rechnen, aber es kann passieren. Sie ist ein extremes Talent und hat auf diese Saison hin nochmals einen sauberen Schritt in der Technik gemacht. Mir gefällt Mélanies Stil. Sie hat schnelle Schwünge, die viel zulassen.
Von Wendy Holdener darf man im Slalom schon fast eine Medaille erwarten ...
Ihre sechs Podestplätze im Weltcup sind hervorragend. Sie hat sich für diese Heim-WM eine gute Ausgangslage geschaffen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Wie viele Medaillen sind für die Schweiz möglich?
Egal, was ich sage: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich letztlich daneben liege, ist riesig. Darum gibt es von Swiss Ski keine offizielle Zahl. Ich sehe es eher aufgrund des Potenzials in den Disziplinen. Und da haben wir, Männer und Frauen gerechnet, in 9 von 11 Bewerben Chancen auf Edelmetall. Wir haben uns in Position gebracht, um zuzuschlagen!