Trotz des sensationellen Abfahrts-Triumphs von Alexis Monney schaut Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann besorgt auf das Weltcup-Wochenende in Bormio zurück. «So dürfen wir in unserem Sport nicht weitermachen. Es darf nicht sein, dass es bei einer Veranstaltung derart viele Verletzte gibt», sagt der 55-jährige Verbands-Chef.
Die Stelvio-Bilanz 2024 ist in medizinischer Hinsicht in der Tat grauenvoll: Nach den üblen Abfahrts-Crashs von Vorjahressieger Cyprien Sarrazin (30), dem Toggenburger Josua Mettler (26) und dem Italiener Pietro Zazzi (30) erwischte es am Sonntag im Super-G auch Gino Caviezel heftig. Gemäss Swiss Ski-Insidern hat sich der Bündner das rechte Knie regelrecht zerfetzt, die WM-Saison ist für den 32-Jährigen gelaufen.
Deutliche Worte von Swiss-Ski-Trainer
Experten wie Österreichs Hans Knauss fordern nach dieser Verletzungsflut Entschärfungen im Materialbereich. Speziell der Abflug von Sarrazin wird von einigen Insidern darauf zurückgeführt, dass der zweifache Kitzbühlsieger seinen Unterschenkel in einen Karbonsocken verpackt, welcher eine zu aggressive und zu direkte Linienwahl zulasse. Der Schweizer Riesenslalom-Cheftrainer Helmut Krug hält dagegen: «Josua Mettler und Lars Rösti sind an der genau gleichen Stelle wie Sarrazin abgeflogen, obwohl sie keine Karbonschützer am Schienbein tragen. Das wahre Problem in Bormio war das gleiche, wie bei den Riesenslaloms in Alta Badia und Val-d’Isère – die Präparation der Piste war nicht gut genug!»
Rösti, der bei seinem Sturz wie durch ein Wunder ohne gravierende Verletzungen davon gekommen ist, beklagt die Unregelmässigkeiten auf der «Pista Stelvio»: «An der Stelle, wo Sarrazin, Josua und ich gestürzt sind, war der Übergang von aggressivem Schnee auf Eis. So etwas darf nicht sein.»
Urs Lehmann, der 1993 in Morioka Abfahrts-Weltmeister wurde, legt den Verantwortlichen der FIS eine Überarbeitung des Weltcup-Fahrplans nahe: «Meines Erachtens ist Bormio der falsche Austragungsort für Speed-Rennen im Dezember, die Rennen auf der Stelvio müssten im letzten Saisondrittel angesetzt werden. Wie viel besser die Bedingungen in Bormio im Februar oder im März sind, habe ich 1995 als aktiver Rennfahrer beim Weltcupfinale erlebt. Da waren nicht nur die Schnee-, sondern vor allem die Lichtverhältnisse viel angenehmer als im Dezember.»
Erste Flutlicht-Abfahrt auf WM-Piste?
Aber welche Station eignet sich besser als Bormio für eine Abfahrt in der Altjahrswoche? Lehmann plädiert für ein revolutionäres Rennen in Österreich: «Im WM-Ort Saalbach-Hinterglemm denkt man daran, in Zukunft eine Sprint-Weltcupabfahrt am Abend unter Flutlicht auszutragen. Ich finde diese Idee grossartig!»
Der ehemalige Hinterglemmer Weltklasse-Abfahrer Bartl Gensbichler (68, 1 Weltcupsieg) bestätigt im Gespräch mit Blick das Interesse an der Austragung eines Flutlicht-Rennens. «Ich fände es grossartig, wenn wir eine Abfahrt zur TV-Primetime durchführen könnten.» Im selben Atemzug macht Gensbichler aber auch klar, «dass wir im nächsten Jahr noch nicht für eine Weltcup-Abfahrt unter Flutlicht bereit sein werden. Für die Realisierung dieses Projekts brauchen wir noch etwas länger Zeit.»