Daniel, haben Sie als Sohn einer Schottin auch schon «Haggis» gegessen?
Daniel Yule: Ja, klar! Warum auch nicht?
Der Gedanke an eine Portion «Haggis» dürfte bei vielen Schweizern ein ekelerregendes Gefühl auslösen, wenn sie erfahren, dass es sich bei Schottlands Nationalgericht um einen gefüllten Schafsmagen handelt.
In der Schweiz werden ja auch in Darm gefüllte Cervelats gegessen. Und wie beim Haggis wissen die meisten Leute nicht genau, welche Zutaten die Cervelat-Füllung beinhaltet. Auch ich nicht. Aber ich kann sagen, dass mir ein ordentlich gewürzter Haggis richtig gut schmeckt.
Im letzten Sommer waren Sie in England an der Hochzeit von Kitzbühel-Sieger Dave Ryding eingeladen. Was gab es da zu essen?
An den detaillierten Menü-Plan kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber es war alles sehr gut.
Ist Ryding neben den Schweizer Teamkollegen Ihr bester Freund auf der Weltcup-Tour?
Dave gehört definitiv zu meinen besten Freunden. Mit ihm kann ich über alles lachen. Und ich bewundere ihn für den aussergewöhnlichen Weg, den er zurück an die Weltspitze gemacht hat. Er ist jahrelang nur auf Kunststoffmatten Ski gefahren, erst mit zwölf hat er sein erstes Rennen auf Schnee bestritten. Zudem ist es halt so, dass ich mit Englisch und Französisch aufgewachsen bin und mich deshalb im Ski-Zirkus öfters mit Franzosen und Engländern unterhalte als mit Österreichern oder Deutschen.
Wie gut verstehen Sie sich mit Norwegens Superstar Henrik Kristoffersen, der von einigen Weltcup-Insidern als «Ekelpaket» bezeichnet wird?
In meiner Zeit als FIS-Athletensprecher hatte ich sehr gute Diskussionen mit Henrik. Aber auch ich habe ihn in Situationen beobachtet, in denen ich mir gedacht habe, dass er sich anders verhalten könnte.
Nennen Sie ein Beispiel.
Ich denke da an den letzten Winter, als Henrik nach dem verpassten Top-Platz beim Slalom in Flachau im Zielraum einen Mülleimer zertrümmerte und danach auch noch einen Kameramann zusammenstauchte. Ich kann nachvollziehen, dass man nach einem mässigen Resultat frustriert ist. Dennoch sollte man meines Erachtens in so einer Situation die Vorbild-Funktion wahren. Ich bin vor einem Rennen, wenn ich angespannt und total fokussiert bin, auch nicht der netteste Rennfahrer im Startgelände. Aber sobald die Ziellinie überquert ist, versuche ich, ein anständiger Mensch zu sein. Denke ich an meine Jugendzeit, tut es mir auch weh, dass man in der Wut einen Skistock verbricht.
Warum?
In meinem ersten Jahr als JO-Rennfahrer glaubten meine Eltern und ich, dass ein Paar Ski für eine Saison ausreichen muss. Doch dann rief meine Trainerin an, um Mama und Papa klarzumachen, dass ich unbedingt ein zweites Paar benötige, weil ich nicht mit einem Riesen-Ski Slalom fahren könne. Meine Eltern haben mir dann für einen Winter ein zweites Paar gemietet. Ich hatte auch immer die ältesten Renndressen getragen. Jetzt im Weltcup habe ich Material im Überfluss. Deshalb würde ich das gerne an junge Rennfahrer weitergeben, die genauso knapp bestückt sind wie ich in meiner Jugendzeit. Dummerweise ist meine Ski-Bekleidung für die meisten JO-Kinder zu gross. Aber meine Skistöcke verschenke ich definitiv lieber, als dass ich sie in der Wut zertrümmere.
Apropos Wut und Frust: Ihr Trainer Matteo Joris behauptet, dass Sie in den beiden letzten Corona-Wintern die Freude am Skisport verloren haben. Haben Sie in dieser Zeit mehr gelitten als andere Athleten?
Ich bin ein Typ, der dann am besten funktioniert, wenn er es mit seinen Mitmenschen lustig hat. Es tut mir enorm gut, wenn ich mit meinen Teamkollegen gemütlich an einem Tisch sitzen und ein paar blöde Sprüche machen kann. Gleichzeitig übe ich meinen Sport besonders gewissenhaft aus. Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, habe ich die Kontakte mit meinen liebsten Mitmenschen in der Covid-Zeit vermieden. Nur Personen, die mir jeweils bei den Corona-Tests ein Stäbchen in die Nase schoben, waren mir in dieser Phase nahe. Ich war auch ganz allein, wenn ich nach einem beschissen gelaufenen Rennen nach Hause kam. Deshalb habe ich zwischenzeitlich tatsächlich den Spass am Rennsport verloren.
Seit die Corona-Beschränkungen aufgehoben sind, laufen Sie wieder richtig heiss. In Madonna feierten Sie kurz vor Weihnachten den ersten Weltcupsieg seit zwei Jahren. Und nun werden Sie beim Heimspiel in Adelboden von noch mehr Fans angetrieben.
Ich freue mich riesig. Sport ist für mich gleichbedeutend mit Emotionen. Es ist etwas ganz anderes, wenn du in den Zielhang vor einer vollen Tribüne einfährst als vor leeren Rängen. Etwas vom Schlimmsten war für mich der Slalom in Schladming, unter normalen Umständen eines meiner Lieblingsrennen. Aber als ich dieses Nachtrennen ohne Publikum bestritt, fragte ich mich ernsthaft: Was mache ich hier überhaupt? Klar, es war immer noch besser, als gar keine Rennen zu bestreiten. Und als Profi müsste ich unabhängig von der Kulisse blaue und rote Torkombinationen meistern können. Doch ich bin mit Publikum definitiv leistungsfähiger.
Durchschnittlich sind die Zuschauerzahlen bei Abfahrten deutlich besser als bei Slaloms. Schmerzt Sie das als Slalom-Spezialist?
Jein. Irgendwie kann ich es ja nachvollziehen, dass die Abfahrt als Königsdisziplin bezeichnet wird. Obwohl ich professioneller Skirennfahrer bin, bin ich dankbar, wenn ich bei einer so brutalen Hochgeschwindigkeits-Abfahrt wie zuletzt in Bormio nicht am Start stehen muss, sondern sie vom gemütlichen TV-Sofa aus verfolgen darf. Ich glaube aber, dass der Slalom immer noch von vielen unterschätzt wird. Slalom ist wirklich ein riesiges Spektakel. Ein Rennen kann genau wie im Vorjahr in Val d’Isère oder in Madonna beim allerletzten Tor auf den Kopf gestellt werden. In kaum einer anderen Disziplin passiert so schnell ein Fehler, was das Ganze besonders spannend macht.
Mit Ihrem Walliser Kumpel Justin Murisier sind Sie bei einem Show-Slalom in Frankreich als Frauen verkleidet gestartet. Wie kam es dazu?
Justin hat mich dazu animiert, nachdem er im Internet einen witzigen Clip einer Dragqueen gesehen hatte. Und ich habe schon lange nicht mehr so gelacht wie während unserer Shopping-Tour in Lausanne. Als ich das optisch perfekte Frauenkleid entdeckt hatte, habe ich Justin bei der Anprobe gebeten, dass er mir am Rücken den rund dreissig Zentimeter langen Reissverschluss schliesst. Justin hat mir dann klargemacht, dass er höchstens drei Zentimeter schliessen könne.
Und wie haben Sie sich als «Dragqueen» auf der Piste geschlagen?
Der von Julien Lizeroux (43, Slalom Vize-Weltmeister 2009, Anmerkung der Redaktion) organisierte Super-Slalom war ungefähr viereinhalb Minuten lang. Justin war schneller als ich. Beim anschliessenden Mittagessen habe ich mich sauschlecht gefühlt. Weil wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel Bier getrunken hatten, wusste ich, dass es mir nicht wegen des Alkohols mies geht. Ich habe dann den BH mit den gewichtigen Brust-Implantaten geöffnet. Danach konnte ich endlich wieder befreit atmen, die Erleichterung war riesig. Durch dieses Erlebnis ist mein Respekt vom Alltag einer Frau noch einmal enorm gewachsen.
Auch wegen diesem Auftritt geisterte das Gerücht durchs Wallis, dass Daniel Yule und Justin Murisier in einer homosexuellen Partnerschaft leben. Haben Sie das mitbekommen?
Bei mir persönlich hat noch niemand nachgefragt. Aber mir ist schon öfters zu Ohren gekommen, dass sich Leute bei Drittpersonen erkundigt haben, ob Justin und ich ein Liebespaar sind. Ein Liebespaar sind wir definitiv nicht, aber richtig gute Freunde. Wenn ich könnte, würde ich ihm einen meiner fünf Weltcupsiege schenken. Ich habe Justin enorm viel zu verdanken.
Inwiefern?
Als ich in den Weltcup kam, war ich ein schüchterner Junge. Justin war für mich wie ein grosser Bruder, der mir viele wertvolle Inputs gab. Und er hat mir mit seiner draufgängerischen Art auch gezeigt, wie man in Verhandlungen mit Ausrüstern oder Sponsoren das Beste herausholen kann.