«Ausser meiner Mutter haben in meiner Familie alle Corona»
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Slalom-Hoffnung Tanguy Nef
«Ausser meiner Mutter haben in meiner Familie alle Corona»

Tanguy Nef gehört zu den prominentesten Schweizer Corona-Patienten. BLICK besuchte das Slalom-Talent in seiner «Quarantäne» in Verbier.
Publiziert: 09.06.2020 um 02:31 Uhr
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Auch wenn die Weltcup-Saison früher vorbei war, konnte sich Tanguy Nef bisher kaum erholen.
Foto: Sven Thomann
Marcel W. Perren

Es ist kurz nach 12 Uhr, als Tanguy Nef in einem asiatischen Restaurant in Verbier erstmals gegen die Müdigkeit ankämpft. «Ich habe in der letzten Zeit sehr wenig geschlafen» gesteht der gebürtige Genfer, während er in seinem Teller mit chinesischen Nudeln herumstochert.

Der hochbegabte Sohn von einer Ärztin und eines Professors blickt auf unruhige Monate zurück. So richtig ungemütlich wurde es für den Slalom-Spezialisten ausgerechnet in der Phase, als er sich im März im Wallis von den Strapazen der Weltcup-Saison erholen wollte. «Ein paar Tage nachdem ich mit meinen Fanclub in Verbier einen wunderbaren Ski-Tag genossen habe, spürte ich plötzlich leichte Kopfschmerzen und stärkere Muskelschmerzen – ich wurde dann genau wie mein in Verbier wohnhafter älterer Bruder positiv auf das Corona-Virus getestet.»

«Gefühlt wie bei einer schwereren Grippe»

Letztendlich haben sich in der sechsköpfigen Familie Nef mit Ausnahme von der Mutter alle mit dem Coronavirus infiziert. Tanguy betreibt Ursachenforschung: «Nachdem Corona Ende Februar in Norditalien zu wüten begann, kamen viele Familien aus Mailand in ihre Ferienhäuser nach Verbier, die ohne es zu wissen das Virus in sich getragen haben. Deshalb avancierte auch dieser Ski-Ort zu einem Corona-Hotspot.»

Physisch hat sich der 23-Jährige, der im letzten Winter bei den Klassikern in Madonna di Campiglio und in Wengen mit den Rängen 6 und 8 sein enormes Potenzial andeutete, zwar relativ schnell erholt. «Ich habe mich nach der Corona-Diagnose gefühlt wie bei einer schwereren Grippe, danach habe ich mich wieder ganz ordentlich gefühlt.»

Nef studiert und jobbt nebenbei

Dafür erschwert Corona bis heute Nefs Alltag als Student. Er absolviert am elitären Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire ein Informatik- und Wirtschaftsstudium. Wegen der Corona-Pandemie sitzt er jetzt nicht wie ursprünglich geplant im Vorlesungszimmer in den USA, sondern in einem Miet-Appartement in Verbier, wo er sich mittels Internet in den Unterricht einloggt. Und das führt aufgrund der Zeitverschiebung von sechs Stunden zu Tanguys Schlafmangel. «Weil wir in dieser Woche extrem viele Prüfungen absolvieren müssen, komme ich derzeit selten vor 1 Uhr ins Bett. Und am Morgen muss ich wieder zeitig für mein Konditionstraining aufstehen.»

Klagen will Nef, dessen Wurzeln in Urnäsch AR liegen, aber nicht – im Gegenteil. «Ich bin überzeugt, dass mich die schulische Belastung als Sportler stärker machen kann» glaubt Tanguy. «Ich habe kürzlich auf Netflix einen Teil von der Michael Jordan Doku ‹The Last Dance› gesehen. Dabei ist mir bewusst geworden, dass Jordan und sein Teamkollege Scottie Pippen auch deshalb so überragende Basketballer waren, weil sie sich von Amerikas Unterschicht nach ganz oben kämpfen mussten. Die meisten Schweizer Sportler haben es dagegen sehr viel bequemer. Und vielleicht ist genau das der Grund, warum wir ausser Roger Federer keinen absoluten Weltsportler haben.»

Deshalb baut sich Nef auf seinem Lebensweg gerne zusätzliche Schikanen ein. Und damit er nicht länger auf das Portemonnaie von seinem Vater angewiesen ist, hat Tanguy in den letzten Jahren besonders hart gearbeitet. «Ein Schuljahr am Dartmouth College kostet 80'000 Franken. Den grössten Teil vom Schulgeld hat mein Papa vorgeschossen. Mittlerweile habe ich ihm dieses Geld zurückbezahlt. Die Einnahmen aus dem Skirennsport hätten zwar dafür nicht genügt. Aber ich bin jetzt schuldenfrei, weil ich neben dem Studium auf dem Schul-Campus auch noch diverse Jobs angenommen habe.» Er ist ein in jeglicher Hinsicht aussergewöhnlicher Sportler, dieser Tanguy Nef.

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