Zürcher Skirennfahrer fassungslos nach Verlust
Hintermann trauert um Familienfreund

Vom Flachland an die Alpine-Weltspitze: Niels Hintermann hat im letzten Winter einen beeindruckenden Aufstieg geschafft. Im letzten Frühling schockte ihn jedoch ein tödlicher Auto-Unfall.
Publiziert: 24.11.2022 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 25.11.2022 um 18:17 Uhr
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Niels Hintermann hat einen ungewöhnlichen Weg gemeistert. Von Zürich aus...
Foto: BENJAMIN SOLAND

Wegen seiner markanten «Zürischnurre» wurde Niels Hintermann zu Beginn seiner Karriere als Abfahrer nicht von allen Berglern für voll genommen. «Ist das unser neuer Physiotherapeut?», fragte Carlo Janka, als der gebürtige Bülacher 2015 erstmals in der Weltcup-Equipe von Swiss Ski auftauchte. Doch spätestens seit letztem Winter wird der Flachländer im Ski-Zirkus von allen ernst genommen: Mit drei dritten Plätzen (Gröden, Bormio, Kvitfjell) und einem Sieg bei der ersten Kvitfjell-Abfahrt hat sich der 27-Jährige an die Weltspitze katapultiert.

Mit dieser Fahrt gewinnt Hintermann die Abfahrt in Kvitfjell
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Alle Favoriten düpiert:Mit dieser Fahrt gewinnt Hintermann die Abfahrt in Kvitfjell

Dass er im Gegensatz zu seinen Teamkollegen nicht in den Bergen, sondern in der Agglomeration der Stadt Zürich wohnt, bezeichnet der Sohn einer Slowenin sogar als Vorteil. «Wenn du als Skirennfahrer im Bündnerland, im Berner Oberland, im Wallis oder in der Innerschweiz lebst, wirst du ständig von skibegeisterten Mitmenschen angesprochen. Gehe ich in Zürich in den Ausgang, ist kaum jemand an meinem sportlichen Werdegang interessiert. Dadurch kann ich hier wunderbar vom Skisport abschalten.»

Privater Tiefschlag im Frühling

Beim Blick aufs Zürcher Grossmünster wird der 98-Kilo-Brocken jedoch traurig. «Hier war im letzten Frühling die Abdankung eines sehr guten Freundes unserer Familie. Er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen», flüstert Niels. «Er gehörte neben meinen Eltern und meinem Bruder zu den wenigen Menschen, die ich um drei Uhr morgens anrufen konnte. Immer noch unfassbar, dass dieser tolle Mensch nicht mehr da ist.»

Um auf andere Gedanken zu kommen, fährt der Abfahrts-Schweizermeister in den Wildnispark Zürich Langenberg. Hier begegnet Hintermann dem Tier, das sein Markenzeichen wurde: das Wildschwein. «Als ich in den Weltcup kam, wurde ich vom italienischen Servicemann Roberto Polesel betreut. Der hat mich aufgrund meines wilden Fahrstils ‹Cinghialone› genannt – auf Italienisch Wildschwein. Kurz darauf habe ich mir einen den Kopf einer Wildsau auf den Helm pinseln lassen. Die Teamkollegen rufen mich jetzt nur noch Cinghi.»

Nächtliches Straftraining

Dass Hintermann auf der Skipiste furchtlos ist, wird besonders bei schwierigen Sichtverhältnissen deutlich. «Beim dritten Platz in Kvitfjell hatte ich wirklich schlechte Bedingungen, in Bormio, wo ich bereits vor meinem diesjährigen Podestplatz in die Top 6 gefahren bin, ist es ebenfalls immer dunkel. Wahrscheinlich kann ich damit gut umgehen, weil ich in meiner Kindheit mit Bruder Sven auch bei den miesesten Bedingungen auf die Piste ging.»

Hintermanns grosse Schwäche war einst die Kondition. Doch vor dem Auftakt in die neue Abfahrts-Saison ist der erste Zürcher Alpin-Weltcupsieger seit Peter Müller (65) überzeugt, dass er auch in dieser Hinsicht einen Schritt nach vorne gemacht hat. Einen besonderen Einfluss auf Hintermann hat Abfahrts-Co-Trainer Willi Dettling. Der Vater von Andrea Dettling war bereits in Jugendjahren Hintermanns Übungsleiter.

«Vor Willi hatten wir damals richtig Schiss, er war ein echter Schleifer. Im Südtiroler Schnalstal hat er uns mal um zwei Uhr morgens für ein Straftraining höchst unsanft aus dem Tiefschlaf geholt», erinnert sich Niels. «Willi Beinhart» 15 Jahre später: «Urs und Niels haben die Nachtruhe nicht eingehalten. Deshalb habe ich sie für ein nächtliches Einlaufen mit 45 Liegestützen, 45 Strecksprüngen und 45 Rumpfbeugen geweckt. Danach waren sie so müde, dass keiner mehr die Nachtruhe gestört hat.»

Schock-Moment in Lake Louise

Für Unruhe im Schweizer Team sorgte Hintermann am Dienstag im ersten Abfahrtstraining in Lake Louise, als er auf der mies präparierten Piste im «Coaches Corner» plötzlich die Kontrolle über die Ski verliert und bolzengerade in Richtung Fangzaun donnert. «Zum Glück ist es mir im letzten Moment gelungen, zumindest ein bisschen zu bremsen. Den Sturz konnte ich zwar nicht ganz verhindern, aber ich bin verhältnismässig sanft im A-Netz gelandet. Mein Körper hat das Ganze schadlos überstanden.» Und somit kann Hintermann am Freitag in der ersten Abfahrt dieses Winters voll angreifen.

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